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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0311

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310

IVI Problematisierungen

man habe daher sofort zu ermitteln begonnen, wer ihm zuletzt Getränke ser-
viert habe.^3 Was bei vielen Chronisten noch gerüchteweise wiedergegeben
wurde, galt Pierre Cochon Mitte des 15. Jahrhunderts bereits als Gewissheit:
Der König war vergiftet worden - und zwar von Ludwig von Orleans, weil
dieser selbst herrschen wollte?^ Es ist weder ein Zufall noch ein Einzelfall,
dass man bei der Suche nach Erklärungen für einen derart ungewöhnlichen
Vorfall wie die Erkrankung Karls VI. eine Vergiftung vermutete.

Ein politisches Handlungsmuster?
Gegenüber der spontanen Affektivität einer legitimen Tötung Jmf) galt
der Giftmord als heimtückisch. Eine Vergiftung bedurfte der Planung und
zielte auf eine heimliche Tötung des Opfers ohne jede Vorwarnung ab - und
war damit geradezu das Gegenteil eines Duells, das auf Absprache und Re-
geln beruhte. Zum Jahr 1422 schildert der Bourgeois die Klagen der Bevölke-
rung, in deren Reihe die Bedrohung durch Giftmorde geradezu selbstver-
ständlich aufgenommen wurde: Ein Großteil der französischen Fürsten habe
bereits den Tod gefunden, sei es durch das Schwert, durch Gift oder Verrat,
ohne Beichte oder auf eine andere schlechte und unnatürliche Weise?'5 Das
Opfer einer Vergiftung wusste nichts von dem Angriff, dessen Ziel es wurde,
und konnte sich folglich nicht angemessen auf den Tod vorbereiten und
beichten. Diese Vorstellung eines unvorbereiteten Todes verursachte vermut-
lich mehr Schrecken, als das Sterben selbst?^ Oft genug war das Gift zudem
nicht nachweisbar, womit die Todesursache unklar blieb. Eine Vergiftung
verblieb also im Bereich des Unsicheren und nicht Nachweisbaren, in der
Sphäre des Gerüchts?^ Die Chronisten spiegeln diese Unsicherheit, indem sie
bei Giftmordvermutungen explizit auf deren Gerüchte-Charakter verwei-
sen?^ Entsprechend lässt sich kaum ermitteln, wie viele Menschen tatsächlich

213 Fes HMcnns disoieni, pni ie prendoieni ei exposoieni snr ie mal, pne on auoii ie roi/, HM maiin pne d i/ssisi
dors dn Mans, empoisonne ei ensorcere ponr desirnire ei donnir ie roi/HMime de France. Froissart,
Oeuvres, Bd. 15, S. 43. Siehe auch Chronique des quatre premiers Valois, S. 324; Chronique du
Religieux, Bd. 2, S. 24. Dazu auch generell Guenee, Folie, sowie Kintzinger, Malefidum, S. 73f.;
Minois, Couteau, S. 26f.; Autrand, Charles VI, S. 286. Zum Gerücht der Vegiftung siehe
Guenee, Folie, S. 63-98.
2M Fi, ponr ce pn'i fsicj despiaisoii a sonore, pni esioii de 1'adance HM dMC de Bretagne conire ie dii son
A^re, ei anssi pn'i fsicj coniendoii a esire roi/ eiA??e monrir sonA^re,/isi empoisonner ie roi/ HM Manz.
Chronique normande de Pierre Cochon, S. 190.
213 La pins grande pariie des seignenrs de France en soni moris a giaiue, on par poisson, on par iradison, on
sans conAssion, on de pMelpne maMvaise mori conire nainre. Journal d'un Bourgeois, S. 178 (§329).
216 Collard, Crime, S. 8.
217 Ebd., S. 65 und 80.
218 Zum Jahr 1388, beim Tod Pierres Aycelin de Montagu, des sogenannten Kardinals von Laon:
OppiiMninr nonnidd enm ueneno daio inierisce. Chronique du Religieux, Bd. 1, S. 562. Zum Jahr
1400 bei zwei französischen Gesandten in London: Fi/n HMcnne rcnommec pne ions ies dena A^reni
ewpoissonnez ei pnoi/ pi'd enA'si, monrni maisire Pierre Biancdei, ei iedii de FingMeudieAd di
poinci, pn'd uomii/Mspnes an sang ciair, doni dA^ dien malade.' mais par iaps de iemps d gnarii. Juve-
nal des Ursins, Histoire, S. 419. Siehe auch Chronique normande de Pierre Cochon, S. 158;
Monstrelet, Chronique, Bd. 3, S. 131, Bd. 5, S. 470; Chronique du Religieux, Bd. 6, S. 60. Vgl. da-
zu Collard, Crime, S. 12-14.
 
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