Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0312

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
31 Formen interpersoneller Gewalt

311

vergiftet wurden. Frank Collard zufolge sind zwischen 500 und 1500 rund 420
Giftmorde (vor allem im Klerus und Adel) sicher nachweisbar, deren Fre-
quenz zum 14. und 15. Jahrhundert statistisch zunimmt. Diese Ergebnisse
besitzen jedoch nur sehr begrenzte Aussagekraft, so Collard: Die Quellen
gäben vermutlich nur einen Bruchteil der Fälle wieder, so dass von einer ho-
hen Dunkelziffer auszugehen sei. Die statistische Zunahme im Spätmittelalter
könne zudem auch allein einer besseren Quellenlage geschuldet sein 3'" Das
einzig messbare, so Collard, sei die subjektive Wahrnehmung.^"
Dass man 1392 beim Zusammenbruch Karls VI. schnell an eine Vergiftung
dachte, zeigt, dass die Angst davor zu diesem Zeitpunkt schon vorhanden
war. Im Untersuchungszeitraum dieser Arbeit ist sie vor allem ab 1375 ver-
stärkt nachweisbar: 1373 wurde die Königin Jeanne de Bourbon krank und
die C/irondjMd des p Maire premiers Vaiois vermutete eine Vergiftung.^' Zum Jahr
1377 berichtet dasselbe Werk von der Krankheit Edwards III. von England
sowie von dessen Träumen, in denen er vergiftet oder auf andere Arten er-
mordet wurde 3^ Die Angst vor einer Vergiftung wurde hier eingebettet in
generelle Mordängste, die den englischen König am Ende seines Lebens
heimgesucht haben sollen. Edward habe seinerzeit seinen Vater töten lassen,
so berichtet die Chronik, so dass seine wahnhaften Ängste nun wie eine Spie-
gelstrafe wirkten: In dem Maß, in dem die Darstellung eines schlechten To-
des' zum Indikator für die Moral und Tugendhaftigkeit eines Lebens wurde,
wirkt hier die imaginäre Gewalt als Zeichen ausgleichender Gerechtigkeit.
Während das Motiv der Vergiftung hier ein Beispiel für einen schlechten,
gewaltsamen Tod unter anderen war, gewann es in der Oironi^MC des regnes
eine stärker politische Kontur: Im Jahr 1378 sei Karl V. von mehreren Fürsten
gewarnt worden, dass König Karl ,der Böse' von Navarra ihn vergiften wolle.
Er habe dazu seinen Kammerherrn, Jacques de la Rue, an den französischen
Hof gesandt, um Karl zu töten. Der Versuch scheiterte und Jacquet gab nach
seiner Festnahme ein Geständnis zu Protokoll, das die königsnahe Chronik
ausführlich überliefert: Zwar wird durch die detaillierte Beschreibung der
Planungen Karls dessen Heimtücke offenkundig, diese Schilderungen neh-
men in dem in der heutigen Edition rund 20 Druckseiten langen Geständnis
jedoch nur eine untergeordnete Rolle ein. Deutlich mehr Raum wurde den
antifranzösischen Verschwörungen und Komplotten Karls von Navarra ein-
geräumt.^ Deren ausführliche Wiedergabe in der des regnes sollte

219 Collard, Crime, S. 39-45. Siehe auch Collard, Pouvoir, S. 168-176.
220 Collard, Crime, S. 40.
221 En cd an mosmoz, ia roi/MC de PrHMCc/Mi MMiadc per MMg CHrHMi OM cmpoisoMMomoMf si ^M'ciic OM perdi
SOM FoM SOMS ei SOM FoM memore. Chronique des quatre premiers Valois, S. 244.
222 Ei comme d HprociM de SH wori, d soMgH per piMsicMrs Jbiz SH wori, p:dz MMC^oiz t?Me OM ie cmpoissoM-
Mod, p:ds t?Me OM ie uoMioii Moi/er, p:ds t?Me soM/iiz ie uoMioii occire. CesiMi roi/ Edanri Huoii Jdii moMrir
soM pere, si doMidoii t?Me OM Me^isi aiMsi de iai. Ebd., S. 261.
223 Chronique des regnes, Bd. 2, S. 284—305, für das Geständnis Jacques' de la Rue siehe ebd.,
S. 286-305. Zum Plan der Vergiftung ebd., S. 295-297. Geradezu beiläufig wird erwähnt, dass
Karl auch den Söldnerführer Seguin de Badefol 1365/66 durch Gift töten ließ, ebd., S. 300f. Sie-
he auch das Geständnis Pierres du Tertre, eines weiteren Beraters Karls von Navarra, ebd..
 
Annotationen