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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0331

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330

IVI Problematisierungen

Ambivalenzen
Die Reaktionen auf Körperstrafen fielen ambivalent aus. Die Drohung des
französischen Adligen Jean II. Le Maingre, genannt Bopcicdpf, etwaigen Auf-
rührern in Genua die Hand abzuhacken, schüchterte in der Schilderung Mi-
chel Pintoins die aufgebrachte Bevölkerung deutlich ein.83 Da so innerstädti-
sche Zwietracht (discordm) abgewandt wurde, erscheint die Androhung dieser
Strafe implizit neutral bis positiv konnotiert. Als Karl der Kühne 1472 einigen
Bogenschützen nach der Einnahme von Neste die Hände abhacken ließ, be-
werteten Thomas Basin und Philippe de Commynes dies jedoch als große
Grausamkeit.^ In der Schilderung Basins rächte sich der Herzog an den Bo-
genschützen dafür, dass sie zuvor einen seiner Boten umgebracht hatten, der
die Bewohner zur Kapitulation auffordern sollte. „Um ihnen Gleiches wider-
fahren zu lassen" 35 Reg Karl die Stadt plündern und niederbrennen, sowie die
Schützen verstümmeln, während - und dieser Zusatz ist für die Bewertung
Basins entscheidend - zur gleichen Zeit die Priester in der Stadt in ihrem vol-
len Ornat niedergemacht wurden. Gerade die Straflosigkeit dieses Sakrilegs
ließ die kollektive Bestrafung der Schützen im direkten Vergleich als „grau-
sam", das heißt unangemessen hart erscheinen. Während es hier das Maß der
Gewalt war, das Basin als überschritten ansah, verwies Philippe de Commy-
nes erklärend auf den aufgewühlten emotionalen Zustand Karls des Kühnen:
Der Herzog sei äußerst erregt gewesen, oder etwas Großes habe ihn innerlich
umgetrieben. Er selbst habe dafür zwei Ursachen genannt: erstens den plötz-
lichen Tod des Dauphins Karl, zweitens den Verlust von Amiens und St.
Quentin im Krieg gegen König Ludwig XI. Die Unbeherrschtheit Karls des
Kühnen war für Commynes eine klare Charakterschwäche des Herzogs, die
ihn zu einem schlechten Herrscher machte.^ Die aus emotionaler Unbe-
herrschtheit resultierende Grausamkeit, die er in Nesle zeigte, war dafür nur
ein weiterer Beleg. Basin und Commynes lehnten dabei das Abhacken der
Hände keineswegs grundsätzlich ab, sondern verurteilten die Verstümme-
lungen lediglich situativ: Die Strafe schien ihnen in den gegebenen Umstän-
den als unangemessen hart.

rir comme iraisires, iarrons. Chronique des quatre premiers Valois, S. 152 (ad a. 1364). PI poMr re
pris ie dii CMiliaMwe, (?Mi, poMr ia diie irai/soM aiMsi^Pie per Pu/, a ia re^Mesie des diz ZlMgIois,/M de-
capiie ei pewdM, fowiwie raison esioii. Chronique des regnes, Bd. 1, S. 35; die Chronik benennt den
Verräter hier fälschlich als Guillaume, vgl. ebd., S. 34, Fußnote 5, mit Verweis auf Chronique
normande, S. 292, Fußnote 2.
83 Pi Mi discordiarMm^bmeMiMM! exO'rparei radicÜMS, siaPPsse Mi owMes, SMP WMÜa awpMiacioMis pMgMi,
aF owMi uerPaii aPsÜMeMies iM/Pria, id precipMe cauereMi Me WMiMO se CMei/ew uei CMiPeiiMMM! Momi-
MareMi. Chronique du Religieux, Bd. 3, S. 80. Zu dieser Strafform siehe Gonthier, Chätiment,
S. 142-145. Zur Bedeutung in literarischen Werken: Ueltschi, Punir.
84 LiMg MomPre assez graMd eMreMi ies deMX poiMgis coMppez. P me despiaisi a dire ceiie crMaMÜe, mais
j'esioie SMr ie PeM, ei eM^Mii dire ^Mei^Me cPose. P^ndi dire ^Me ie dMC esioii passioMMe de^ire si crMei
aoie OM ^Me graMd oaMse ie moMuoii. P eM aiiegoii deMx; i'MMe, d parioii, apres aMÜrMi/, esiraMgeweMi de
cesie wori dM dMC de CMi/eMMe; OMÜre auoii MMg aMÜre despidsir ^Me uoMS auez PieM peM eMieMdre, (?M 'ü
auoii MM werueilieMX despiaisir (?MaMi ii perdiiTwi/aMS ei SaiMoi QMeMÜM, doMi auez oi/ parier. Philippe
de Commynes, Memoires, Bd. 1, S. 216 (111,9).
85 Basin, Louis XI, Bd. 2, S. 124.
88 Mauntel/Oschema, Prince, S. 136-141.
 
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