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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0385

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384

VI Vertiefungen

nams ist im Mittelalter vor allem mit der sogenannten .Bahrprobe' verknüpft:
Der mittelalterlichen Vorstellung nach fing der Leichnam eines Ermordeten in
der Gegenwart des Mörders wieder an zu bluten, da der Geist des Ermor-
deten aufgrund der unaufgeklärten Tat noch im Körper verblieb.^ Das Motiv
der blutenden Leiche trat zunächst in literarischen Quellen auf. seit dem
14. Jahrhundert aber auch in Rechtsquellend? Ein berühmtes Beispiel dürfte
der Leichnam Ludwigs von Orleans sein, der nach Jean Juvenal im Beisein
Johanns Ohnefurcht geblutet und so auf dessen Täterschaft hingewiesen ha-
be.ns
Neben einer solchen Symbolfunktion, die ein Leichnam haben konnte, war
auch seine schlichte An- oder Abwesenheit juristisch von Bedeutung. Als die
Pariser Universität 1367 einen gewaltsamen Übergriff einiger Nachtwächter
auf Studenten mit Todesfolge zur Anklage brachte, fehlte im Wortsinn das
corpMS ddicd: Die Nachtwächter hatten den getöteten Studenten in die Seine
geworfen, so dass lediglich seine Abwesenheit, nicht aber sein Tod zweifels-
frei festgestellt werden konnte. Der junge Mann könne sich womöglich nur
verstecken, so das kaum widerlegbare Argument der Nachtwächter. Der
Prcuof setzte ein Strafmaß fest, das deutlich nach oben korrigiert wurde, als
die Leiche des Studenten einige Zeit später aufgefunden wurde."^
Gegenüber der juristischen Relevanz der vorhandenen Leiche als Beweis-
mittel. war ein fehlender Körper im Begräbniszeremoniell notfalls ersetzbar.
Als Karl von Navarra 1357 seine Getreuen vom Galgen abhängen und bestat-
ten durfte, fehlte die Leiche des Grafen von Harcourt. ..denn er war schon vor
längerem abgenommen worden, man wusste jedoch nicht von wem. obwohl
man vermutete, dass es seine Verwandten gewesen waren."'^o Bei der feierli-
chen Prozession und folgenden Beisetzung ersetzte man den fehlenden
Leichnam durch eine reyresentadon in Form eines leeren Sargs. Ähnliches
schlug auch die Pariser Universität vor. als man die unrechtmäßige Erhän-
gung zweier Kleriker durch den Pariser Prcuof Guillaume de Tignonville süh-
nen wollte: Als öffentlichkeitswirksame Ehrenstrafe sollte Guillaume selbst
die Gehängten oder eine reyresenhzdon dieser vom Galgen abhängen und der
Kirche übergeben V Kann die reyresentadon. vermutlich war eine Effigie oder

Holzhauer. Bahrprobe.
n7 So 1404 in Saint-Branchs (Dep. Indre-et-Loire). wo der Leichnam Perrots im Beisein des ver-
meintlichen Mörders zu bluten begann. Paris. AN. 14. fol. 181 '-182', vgl. Gauvard. Grace
especial. S. 183f.
ns Pi diseMf HMCMMS ie SHMg dM corps sc escreua. Juvenal des Ursins. Histoire. S. 445.
n9 Chronique dite de Jean de Venette. S. 324—326. Zur Leiche als rechtsmedizinisches Beweisstück
siehe Collard. Ouvrir.
i^o AM (?Md giivf MCrieMS froMue dM coMfe & HgrccoMri, car foMC femps auaMf ii auoif esfe osfe; weis PcM
MC sauoif per (?Mi, comNcM t?M PcM SMppospöÜ t?MC cc CMSSCMipM! scs parcMS. Chronique des regnes.
Bd. 1. S. 131.
i7i CoMchd t?MC cc soif repare cf ameMde cf fesdiz de/cudeMrs coM&mpMcz a despeMdre les corps mors desdiz
Jac^Mef cf CardiM dMdif güvf OM rcprcscMfacioM d'iceMiz cf de les porfer a Pegiise de GoMssaiMuüfe ef pMis
a Nofrc-DcMir de Paris. Paris. AN. X7a 14. fol 299. zitiert nach Gauvard. Humanistes. S. 240. In
historiographischen Berichten taucht diese Möglichkeit jedoch nicht auf. vgl. Chronique du
Religieux. Bd. 3. S. 722-728; Nicolas de Baye. Journal [1885-1888]. Bd. 1. S. 229f.; Les chroniques
 
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