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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0405

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404

VI Vertiefungen

Interesse erschien den Autoren nur noch sein Ende: So berichten einige Chro-
nisten, dass Cale von Karl von Navarra unter dem Vorwand, Verhandlungen
mit ihm führen zu wollen, in eine Falle gelockt und dann enthauptet worden
seiV9 Mehr Informationen bietet nur die AnonmzaEe C/irotnde, eine in der
zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts in York kompilierte ChronikV" Ihr Autor
berichtet, man habe den Anführer nackt ausgezogen und dann statt mit einer
Krone mit einem glühenden Dreifuß aus Eisen gekrönt.'^' Dies dürfte als ver-
höhnende Spiegelstrafe dafür zu verstehen sein, dass der Anführer sich zuvor
wie ein „König oder Eroberer"^ habe krönen lassen. Gleichzeitig hebt die
englische AnoMmmEe C/irotnde als einzige Quelle die besondere Bösartigkeit
des Anführers dadurch hervor, dass sie ihm zuschreibt, mehrfach Kinder aus
den Bäuchen ihrer Mütter geschnitten zu haben, um ihr Blut zu trinken.'^* Die
Charakterisierung des Anführers ist damit wiederum weniger eine individu-
elle, sondern eine funktionale, die durch die Einbeziehung drastischer Ge-
waltzuschreibungen auf kollektive Ängste anspielt.
Sowohl der Bastard von Vaurus als auch Guillaume Cale werden von den
Chronisten explizit als schlechte Personen benannt. Ihre Charaktere bleiben
dabei aber holzschnittartig angelegt und ohne psychologische Tiefe. Die Dras-
tik der Schilderungen beim Bourgeois entspringt nicht einer individuellen
Konturierung, sondern topischen Grausamkeitszuschreibungen. Ähnlich
verhält es sich auch mit Guillaume Cale, von dem wir genaueres nur aus ihm
positiv gesinnten Darstellungen wissen - und selbst hier bleiben die Verweise
auf sein ansprechendes Äußeres und seine Redekünste im Bereich des Topi-
schen. Die Schurken in der französischen Chronistik des Spätmittelalters sind
damit keine Individuen, sondern bewusst schematisch konstruierte Figuren:
Ihre Schlechtigkeit wurde vor allem durch die Zuschreibung von sozialen,
ständischen und sexuellen Transgressionen deutlich gemacht, unter denen
Gewalttaten eine herausragende Rolle spielten.

119 Ebd., S. 74f. Knapper: Chronique normande, S. 130; Chronographia regum francorum, Bd. 2,
S. 272f.; Chronique des regnes, Bd. 1, S. 184. Auch Etienne Marcel berichtet in einem Brief vom
11. luli 1358, der Anführer der Jae^Mes sei enthauptet worden, nennt allerdings keinen Namen,
vgl. Perrens, Etienne Marcel [1874], S. 406.
120 Taylor, Origins, bes. S. 60-62; Bulst, Jacquerie, S. 807f.; Galbraith, Introduction, S. XXI-XXIII.
Die in einer Handschrift überlieferte, anonyme Chronik ist vermutlich eine vollständige Kom-
pilation. Die Vorlagen jedoch sind nur partiell bekannt. Bulst, ]acquerie, S. 807, führt Jean le Bel
oder Froissart als mögliche Quellen an, Gransden, Historical writing, Bd. 2, S. 111, vermutet
eine verlorene lateinische Chronik. Die Herkunft der Episode über die Jae^Merie ist damit nicht
bestimmbar. Siehe auch Hansen, Peasants' Revolt, bes. 408f.
121 Ei ie dB Jade prisireMi ei misireMi a sa peMaMMce pMr sa maMueBe ei iMi//;'ereMi sere Ode new soMr MMe
iresedaMde ei ardaMMi iresde dejeue; ei MM aMire edaMde ei ardaMMi iresde mi/sireMi SMr soMM iesi eM OeM
de coMroMMe, ei issBB/Bn/si sa maMuei/s uie a eMsampie des aMires. The Anonimalle Chronicle, S. 42.
Siehe dazu d'Avout, Meurtre, S. 210. Ähnlich auch die um 1433 verfasste Prima Vita Innocentii
VI., S. 320f.: EBer ^Mos/MB eorMM dieiMS capBaMeMs; tpu, tpda perpn'MS se regem Jae^MeorMm MOMMMa-
dai,/MB CMM MMO iripedejeueo eaMdeMi; seM igMBo eoroMaiMS, ei demMm, proMi demerMeai, oeeisMS. Zur
Quelle ebd., S. 570-572, sowie Molinier, Sources, S. 97.
i22Mesme ceBe iemps ie dB Jad BoMedomme, eome domme orgMioMS ei daMiei/M de eoer eome EMei/er pMr sa
prMesse, se/;'si pareMire ses geMiz eoroMer od MMe cercie dore ;*M OeM de coroMMe sieome roi/ OM eoM^MeroMr
eMsi esie. The Anonimalle Chronicle, S. 42.
122 Ebd., Textzitat auf S. 242 Anm. 114.
 
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