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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0406

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31 Ideal und Devianz

405

31 3 Zwiespältige Gestalten
Sowohl die Darstellung des Bastards von Vaurus als auch jene Guillaume
Cales haben gezeigt, dass die Bewertung einer Figur zwar divergieren konnte,
letztlich aber eine Sichtweise quantitativ überwog. So wurde Vaurus zwar
von Robert Blondel als loyaler Anhänger der Valois dargestellt und Guillau-
me Cale in der Oiromiy/e des puahv premiers Vbkos als derjenige, der versuchte,
die /najues zu mäßigen. Ihre Dämonisierung in anderen Quellen erscheint
damit jedoch umso klarer als narratives Konstrukt. An zwei weiteren präg-
nanten Figuren soll im Folgenden untersucht werden, wie unterschiedlich
und kontrovers die von ihnen ausgeübte Gewalt dargestellt und gewertet
werden konnte.

313.1 leanne d'Arc
Aus heutiger Sicht gilt leanne d'Arc geradezu als Inbegriff einer weiblichen
, Heldin' des Mittelalters, beziehungsweise anders denn als Heldin ist sie gar
nicht denkbar. 124 Dabei vergisst man allzu leicht, dass sowohl die Engländer
als auch die mit ihnen verbündeten Bourguignons die fungfrau von Orleans
durchaus kritisch sahen. Tatsächlich bietet die zeitgenössische Chronistik ein
ambivalentes Bild, das feannes Wirken aus unterschiedlichen politischen und
sozialen Blickwinkeln beurteilt, beziehungsweise ihr teils gar keine entschei-
dende Stellung einräumt.i25
Neben dem armagnakisch englisch-burgundischen Gegensatz, der auf po-
litischer Ebene eine unterschiedliche Sicht auf leanne d'Arc bedingte, beein-
flusste auch ihre eigene Biographie die Art, wie leanne gesehen wurde. Signi-
fikant ist hier vor allem feannes Festnahme im Mai 1430, ihre Verurteilung
und Hinrichtung im Mai 1431 und schließlich der Prozess ihrer Rehabilitie-
rung 1455-56326 Noch vor der Festnahme leanne d'Arcs entstand etwa das
Lobgedicht Christines de Pisan, die große Hoffnungen in feannes zukünftiges
Wirken setzte. '27 Gleichzeitig zeigen auch frühe Quellen, dass bereits 1429 die
Meinungen über leanne geteilt waren: Während fean Gerson im funi 1429,
kurz vor seinem Tod, den Glauben an die Gottgesandtheit feannes für fromm
und gerecht erklärte/28 äußerte sich der niederländische Theologe Heinrich

i24 So setzt etwa Kansteiner, Sagbarkeit, unhinterfragt die Deutung Jeanne d'Arcs als ,mittelalter-
liche Heldin' voraus, um ihre Darstellung als solche in Texten des 15. Jahrhunderts und Filmen
des 20. Jahrhunderts zu vergleichen. Für Warner, Joan of Are ist Jeanne eine feministische Hel-
din. Zur ,Karriere' Jeanne d'Arcs in der Neuzeit siehe Müller, Jeanne d'Arc; Krumeich, Jeanne
d'Arc, sowie die Beiträge in: Jeanne d'Arc. Histoire; Images de Jeanne d'Arc und Jeanne d'Arc
oder wie Geschichte eine Figur konstruiert.
126 So etwa in: Les chroniques du Roi Charles VII des Gilles le Bouvier.
126 Zu den Quellen bis Mai 1430: Bouzy/Contamine, Observations; bis Mai 1431: Contamine,
Jeanne d'Arc, S. 297-313. Siehe auch Prietzel, Jeanne d'Arc, S. 140-145 und 195-208. Generell
zur Historiographie über Jeanne d'Arc: Contamine, Naissance.
127 Christine de Pisan, Ditie, S. 36 (§41-43).
128 Gerson, Oeuvres, Bd. 9, S. 661-665 (Nr. 476, De pMeiD AHrchencns;'); siehe dazu auch Hobbins,
Jean Gerson, mit gesonderter Edition (S. 146-155). Zu Jeanne unterstützenden Traktaten siehe
Michaud-Frejaville, Jeanne d'Arc.
 
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