Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0413

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
412

VI Vertiefungen

kaufen, wogegen seine Verwandten 1436 ein Verbot des Königs erwirkten.'^
Zur Lösung seiner finanziellen Probleme suchte er dann offenbar Zuflucht in
der Alchemie und anderen okkulten Praktiken, wie der Beschwörung von
Dämonen.'^*
Ab 1432 begann er, durch seine Diener Kinder entführen zu lassen, die er
quälte, sexuell missbrauchte und dann tötete. Seinen Dienern fiel wiederum
die Aufgabe zu, die Leichen zu verbrennen. 1440 wurde er dann in Nantes
vor Gericht gestellt, jedoch nicht primär wegen dieser Verbrechen, sondern
weil er im Streit um die Herrschaft über Saint-Etienne-de-Mer-Morte (Dep.
Loire-Atlantique) einen Priester in einer Kirche gefangen nehmen ließ und
damit die kirchliche Immunität verletzt hatte. Gleichwohl waren die Untaten
Gilles' bereits gerüchteweise bekannt.'^ Im Oktober 1440 wurde er dann we-
gen Häresie, Sodomie und (von weltlicher Seite) wegen der Kindstötungen
zum Tod durch Hängen verurteilt.
Die Zahl der Opfer, zumeist Kinder, ist kaum zu ermittelnd^ Im kirchli-
chen Prozess wird die Zahl von 140 getöteten Kindern genannt, Monstrelet
und Wavrin sprechen von 160.'^ In der Anklageschrift heißt es dramatisch
zuspitzend, es seien „nicht zwanzig, sondern dreißig, vierzig, fünfzig, sech-
zig, hundert oder eher zweihundert und mehr" kleine Kinder gewesen.'^
Gilles de Rais selbst gab gleich mehrfach zu Protokoll, er könne sich nicht an
die genaue Zahl erinnern.'^ Im Prozess spielten die Morde jedoch nicht die
Hauptrolle: Die 49 Anklageartikel vom 13. Oktober 1440 beginnen mit der
Herleitung und Begründung der bischöflichen Zuständigkeit für den Fall und
der Erörterung institutioneller Strukturen, erst dann kommen der Missbrauch
und Mord an den Kindern zur Anklage, vermischt mit Vorwürfen der Dämo-
nenbeschwörung und Sodomie (§ 15, 21, 27-31 und 36-39), die zusammen mit
Alchemie, Idolatrie, Geomantie und Häresie den dritten Schwerpunkt bilden
(§16-20, 22-26, 32-35 und 40-49).'^ Nach anfänglichem Zögern gestand Gilles

172 Ediert in: Memoires pour servir de preuves, Bd. 2, Sp. 1336-1342. Die Glaubwürdigkeit der
Vorwürfe betonend: Bossard, Gilles de Rais, S. 56-82. Kritisch: Heers, Gilles de Rais, S. 89-112.
Resümierend Ross, Deviancy, S. 367f. Siehe auch Herubel, Gilles de Rais, S. 138-140.
i72 Ausführlicher dazu Laret-Kayser, Gilles de Rais, S. 32-38. Zur Alchemie und Zauberei in der
damaligen französischen Gesellschaft Minois, Charles VII, S. 235-239 und 726-735.
i74 Dowinnw Rgidinw & Rai/s f...J pnampinrcs pnoros innocontos per sc cf pnosdcw snos compiiccs ;ngM-
iassc, infcrcmissc cf indnwanifer frncidassc, cnw cispnc contra natnraw iMxnriassc et uicinn! sodomic
commisissc ac dorridam dewonnw incocacioncm sepe et sepins ^Aissc cf^ri procnrassc, et eis sacri/h
casse et odfniissc, et cnw ipsis pacfnwdcrissc, aiiapne crimina enormia injMridicione nosfra perpefrasse.
Bossard, Gilles de Rais, S. II (Brief des Bischofs, 30.07.1440); siehe auch Bossard, Gilles de Rais,
S. VII-IX (Anhörung der Klagen, 28.09.1440).
i72 Siehe dazu Heers, Gilles de Rais, S. 164f.
176 Bossard, Gilles de Rais, S. XXIV (Anklage §27,13.10.1440); Monstrelet, Chronique, Bd. 5, S. 426;
Jean de Wavrin, Recueil, Bd. 4, S. 286.
177 Ccpcndanf Mit sirc a pris cf^ad propre piMsicnrs pefifs cn/anfs, non pas seniewenf sä, ni fingt, mais
trente, ^narante, cinpnanfc, soixanfe, cent, denx cent et pins, en sorte pn'on ne penf^ade de dcciarafion
precise an sn/'et de nomdre. Bataille, Proces, S. 536 (Relation pyieense de i'acticite de ia conr).
178 Bossard, Gilles de Rais, S. XLVIII-L (Geständnis, 21.10.1440), vgl. ebd., S. 212f.
179 Ebd., S. XVI-XXXI (Anklage, 13.10.1440). Die okkulten Praktiken werden in der jüngeren
Forschung meist unabhängig von den Missbrauchsfällen gesehen: Heers, Gilles de Rais, S. 170;
Laret-Kayser, Gilles de Rais, S. 38.
 
Annotationen