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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0419

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418

VI Vertiefungen

eine Arbeitsstelle gezielt zu ihm kamen 22" oder sogar Schutz suchten: Kinder
waren gefährdet und wurden in Kriegszeiten immer wieder bewusst entfuhrt,
um sie im Heer als Pagen und Helfer einzusetzen oder um Lösegeld zu er-
pressen.^ Es mag Zufall sein, dass der Bourgeois ausgerechnet zum Jahr 1440
berichtet, wie königliche Krieger (die er nur „Diebe" nennt) sogar Neu-
geborene und Kinder entführten, um Lösegeld zu erpressen und wie sie die
Kinder lieber ungetauft sterben ließen, als auf eine Zahlung zu verzichten.^
Das Schweigen des Bourgeois angesichts des Prozesses gegen Gilles de Rais
mag der hier offen zutage tretenden Diskrepanz zwischen legitimer Gewalt-
ausübung im Krieg einerseits und schockierender Grausamkeit aus purer
Lust andererseits geschuldet sein; der Chronist hatte jedoch wiederum keine
Scheu, den Vorwurf des Kindsmords zur bewussten Diffamierung der könig-
lichen Truppen zu nutzten. Erneut zeigt sich, dass es eine einheitliche Sicht
auf Gewalttaten nicht gab, dass sie sowohl moralisch schockieren als auch
zum politischen Argument werden konnten.

31 4 Stereotype der Gewalt
Lenkt man den Blick darauf, wen die Quellen als Opfer oder Ziel von Gewalt
benennen, fällt auf, dass wiederholt bestimmte Personengruppen oder Objek-
te aufgezählt und ihr Leid oder ihre Zerstörung betont werden. Auf persona-
ler Ebene sind dies die Tötung oder Folterung von Priestern, Mönchen und
Kindern sowie die Vergewaltigung insbesondere von Jungfrauen. Auf mate-
rieller Ebene werden vor allem die Plünderung von Kirchen und Klöstern
sowie die Schändung oder Zerstörung von Reliquien beklagt. Die Vorwürfe,
die den Engländern ca. 1418/19 in einem anonymen Traktat gemacht wurden,
sollen hier als Beispiel dienen: Die allegorisch-personifizierte ,Wahrheit'
(oerife) klagte, die Engländer hätten so viele Übel in Frankreich angerichtet,
dass man selbst dann nur ein Zehntel der Schäden begleichen könnte, wenn
man ganz England verkaufen würde:
„Und das, ohne die toten, ungetauften Kinder zu zählen, die verge-
waltigten Nonnen, die missbrauchten Ehefrauen, die entjungferten
Mädchen, die verbrannten Kirchen, die verlorenen und zerstörten Re-
liquien und das ganze Blutvergießen unter Christen."^

220 Ebd., S. 160f.
221 Wright, Knights, S. 71-75.
222 Journal d un Bourgeois, S. 399 (§792-793).
223 Ei lauf & tLmmagez i/ owi/a^ o?' Lmps passt? td & presenf t?Mt?, s; L:L L pai's ti94MgLLrrt? esioL
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ei gasiees, ei L graul ^sioM dt? sang Dresden. L'honneur de la couronne, S. 64f. (DeFais ei appoin-
iewenis).
 
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