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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0445

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444

VIII Schlussfolgerungen

Präsenz von Gewalt
Die Ausgangshypothese, dass die französische Gesellschaft im 14. und
15. fahrhundert stark durch Gewalt geprägt war, hat sich durch die überwäl-
tigende Intensität, mit der die Quellen dieses Thema aufgriffen, als gerecht-
fertigt erwiesen. Der Hundertjährige Krieg und seine Nebenschauplätze in
der Bretagne und Spanien, der mit zunehmender Vehemenz geführte Bürger-
krieg, die personalisierte Konfliktaustragung unter den Adligen, städtische
und ländliche Aufstände sowie die nicht enden wollenden Plünderungen, die
wiederum den Widerstand der Bevölkerung provozierten, brachten ein Aus-
maß an Gewalt mit sich, das den Zeitgenossen selbst als exzessiv und erklä-
rungsbedürftig erschient Die zeitgenössischen Erklärungsversuche schwank-
ten dabei zwischen der generellen Klage über die mangelnde Disziplin der
französischen Ritter und der Verzweiflung über den Hass und die Partikular-
interessen der Fürsten, zwischen der Schuldzuschreibung vor allem an frem-
de' Söldner und der Sorge, Gott wolle Frankreich durch Krieg und Zerstö-
rung für seine Sündhaftigkeit strafen.
Die kriegsbegeisterten Ideale des Rittertums blieben trotz aller zeitgenössi-
schen Kritik attraktiv. Zwar wurde dem französischen Adel nach mehreren
Niederlagen bereits Mitte des 14. fahrhunderts der Vorwurf gemacht, ineffi-
zient und feige zu sein, die ritterliche Idealisierung des Kriegs wirkte jedoch
weiterhin anziehend, versprach sie doch die Aussicht auf Ruhm und Beute.
Die Attraktivität der Kriegführung führte daher ebenso wie ihre organi-
satorische Professionalisierung und ihre zeitliche Verstetigung zu einer Aus-
weitung der vom Krieg betroffenen Gruppend Damit ging die Erosion traditi-
oneller Verhaltensregeln einher, die ohnehin sowohl von den Rittern als auch
von allen anderen Gruppen als ständisch exklusiv verstanden wurden. Die
daraus resultierende Divergenz der jeweiligen Handlungslogiken führte so
tatsächlich zu einer verschärften Form der Kriegsführung, so dass zum Bei-
spiel seitens der Städte die gezielte Tötung der Gegner gefordert wurde, statt
ihrer bloßen Gefangennahme (wie es die adlige Praxis vorsah). Die Professio-
nalisierung der Kriegsführung durch Söldner bedingte wiederum, dass nach
Waffenstillständen oder Friedensverträgen Tausende von nun arbeitslos ge-
wordenen Kriegern auf einen erneuten Kriegsausbruch hofften - und sich
derweil auf eigene Rechnung plündernd aus dem Fand versorgten.
Das Machtvakuum um den kranken König Karl VI. und der daraus resul-
tierende Bürgerkrieg machten eine Fösung des Problems lange Zeit nicht nur
unmöglich, sondern verschärften durch weitere Kriegszüge und gezielte At-
tentate auf politische Gegner das Problem sogar noch. Die Fösung lag letzt-
lich in den hohen Rechts- und Normierungsansprüchen der französischen
Monarchie: Das Recht des Königs, Gewalt einzuschränken und Kriegsfüh-
rung zu monopolisieren, war kaum je bestritten worden - womöglich gerade

^ Ob der untersuchte Zeitraum gegenüber anderen Epochen stärker oder vergleichbar durch
Gewalt geprägt war, ließe sich nur durch einen detaillierten Vergleich klären, der nicht Anlie-
gen dieser Arbeit war.
^ So etwa Minois, Guerre de cent ans, S. 664-668; Minois, Charles VII, S. 705-712.
 
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