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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0446

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weil es lange Zeit ohnehin nicht durchsetzbar war. Die Stilisierung Bertrands
du Guesclin als loyaler und treuer Krieger im Dienst der Valois jedoch ver-
weist in der Rückschau bereits auf die kommende Entwicklung: Mit dem
Ende des Bürgerkriegs 1435 konnten die bisher nur theoretisch formulierten
Rechtsansprüche der Monarchie umgesetzt werden und mit den 1445 ge-
gründeten Ordonnanzkompagnien richtete Karl VII. die Kriegsführung gänz-
lich auf Zentralisierung und Monopolisierung aus. Er erntete dafür zwar hef-
tige Kritik, der Erfolg aber sprach langfristig für sich und wurde letztlich in
der Erinnerung positiv mit der Person Karls VII. verknüpft.
Die besondere Präsenz der Gewalt im spätmittelalterlichen Frankreich lag
nicht in der Gesellschaft selbst begründet, sondern in einer Summierung von
inneren und äußeren Krisen. In ihrer Wirkung hatten sie jedoch nicht nur eine
temporäre Entgrenzung der Gewalt mit sich gebracht, sondern langfristig
auch einen soziopolitischen und militärischen Wandels

Bewertung von Gewalt
Die Bewertungen von Gewalt schwankten zwischen Faszination und Ab-
scheu. Verglichen mit der tendenziell negativen Sicht auf Gewalt in unserer
Zeit war die Spannweite zwischen dezidiert positiven und negativen Wer-
tungen im Mittelalter erheblich größer/ Adlige Krieger wie der englische
König Heinrich V. oder der Söldnerführer Merigot Marches feierten unver-
hohlen den Krieg und die Möglichkeiten, die er ihnen bot/ während sie als
gesellschaftliche Elite gleichzeitig jede Form aufständischer Gewalt konse-
quent als Störung der gottgegebenen Ordnung ablehnten und dämonisierten.
Bezeichnend für die mittelalterliche Diskussion von Gewaltpraktiken ist,
dass die Beurteilungen einer Handlung häufig ambivalent ausfielen: Kriegs-
und Plünderungszüge, die den Adel begeisterten, stießen wegen ihrer Aus-
wirkungen auf die Bevölkerung und die Wirtschaft auf massive Kritik; Auf-
ständische dürften ihren Griff zur Gewalt als legitime Verteidigung genau
jener etablierten Werte und Ordnungen gesehen haben, die die Elite wiede-
rum durch Revolten gefährdet sah.
Ob eine Handlung Ablehnung oder Akzeptanz fand, war in den wenigs-
ten Fällen durch den Charakter der Tat selbst bedingt. Wirkmächtiger waren
der historische und soziale Kontext sowie die individuelle Sicht desjenigen,
der sie thematisierte und ihr damit überhaupt erst Ereignischarakter verlieh.
Einhellige Urteile sind daher äußerst selten, widersprüchliche Einschätzun-
gen dagegen umso häufiger: Die blutige Einnahme von Soissons im Jahr 1414

6 Dies deckt sich mit neueren kriegssoziologischen Thoerien - so geht Kuchler, Kriege, S. 10f.,
davon aus, dass die Art der Kriegführung abhängig von gesselschaftlichen Strukturen und
Merkmalen ist.
? Brown, Violence, S. 288; Gauvard, Conclusion, S. 380; sowie Gauvard, Violence licite.
s Vgl. das bereits zitierte Diktum Heinrichs V., das Feuer gehöre zum Krieg wie Senf zu Würst-
chen, Juvenal des Ursins, Histoire, S. 561, Textzitat auf S. 77, Anm. 35, bzw. Merigot Marches'
Lobrede auf die Plünderungszüge, Froissart, Chroniques (liv. III & IV), S. 469 (IV,14), Textzitat
auf S. 81f., Anm. 65.
 
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