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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0448

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mordung) erregte entsprechend Abscheu; gleichzeitig nutzte die Obrigkeit
die Sensibilität gegenüber dem Körper, um durch dessen bewusste Zerstö-
rung bei Strafritualen Aufsehen zu erregen und Abschreckung zu bewirken.
Die Bewertungsmaßstäbe von Gewalt blieben im untersuchten Zeitraum
des 14. und 15. Jahrhunderts trotz der erhöhten Gewaltpräsenz weitgehend
konstant. Persönliche Ehre, der Schutz von Wehrlosen, der Einsatz für Ge-
rechtigkeit sowie auf Öffentlichkeit und Symmetrie beruhende Transparenz
waren kollektive Werte, deren Verletzung wiederholt kritisiert wurde.
Auch die Darstellungskonventionen erwiesen sich als weitgehend stabil:
Explizite und detaillierte Gewaltbeschreibungen transportierten in den aller-
meisten Fällen negative Urteile und wurden durch den Einsatz verschiedener
narrativer Mittel gezielt konstruiert, um Abscheu und Schrecken zu provozie-
ren. Entsprechend waren sie stark exemplarisch angelegt: Die beschriebene
Tat sollte über sich selbst hinaus eine Aussage über den Charakter der Täter
oder den moralischen Zustand der Gesellschaft treffen. Positiv gewertete
Gewalt wurde tendenziell weniger detailliert und eher summarisch beschrie-
ben, ebenso wie das Töten und Sterben. Leid und Qual wurden weitgehend
ausgeblendet. Hier scheinen einerseits soziale Tabus und andererseits die
inhaltliche Beschränkung der Historiographie zu greifen: Die Beschreibung
und Bewertung von Gewalt war eng an moralische Wertvorstellungen oder
ständische Tugenden gebunden, die durch Erfüllung oder Verletzung positiv
oder negativ exemplifiziert wurden. Die Thematisierung expliziten Leidens
war hiermit nur in Ausnahmefällen zu vereinen, bei ritterlich orientierten
Chroniken fand Schmerz kaum je Erwähnung. Lediglich bei den auf feinere
stilistische Mittel und Formen setzenden burgundischen RMfon^MCMrs finden
sich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts bis dahin unüblich drastische
Schilderungen von Gewalt.

Akzeptanz von Gewalt
Gewalt war in der mittelalterlichen Gesellschaft nicht nur präsent, sondern in
Form von spontanen Schlägereien wegen Ehrverletzungen, exemplarischen
Hinrichtungen und legitimer Kriegsführung auch als valable Handlungsmög-
lichkeit anerkannte Gerade die Öffentlichkeit, die Sichtbarkeit und die Bere-
chenbarkeit dieser Gewaltformen bildeten die Voraussetzung für ihre allge-
meine Akzeptanz. In dieser Hinsicht beruhten Tötungen im Affekt (die sog.
öffentliche Strafrituale und auch vereinbarte Kämpfe oder Schlach-
ten nicht nur auf kollektiv geteilten Vorstellungen von Recht und Moral, son-
dern bestätigten und erneuerten diese gleichzeitig durch ihre entsprechende
Umsetzung.^" Gewalt war damit nicht Selbstzweck oder Zeichen einer brutali-
sierten Gesellschaft, sondern eine von nahezu allen sozialen Gruppen aner-
kannte soziale Praktik. Gleichzeitig war die Akzeptanz von Gewalt stark an
das Kriterium des Standes gebunden: Sowohl in der Selbst- als auch in der

9 So Gauvard, Violence, S. 1203f.
10 Brown, Violence, S. 289; Gauvard, Violence, S. 1206.
 
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