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Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur — 1.1905

DOI Heft:
Zehntes Heft (Oktober 1903)
DOI Artikel:
Kautzsch, Rudolf: [Rezension von: O. Stiehl, Das deutsche Rathaus im Mittelalter in seiner Entwickelung geschildert]
DOI Artikel:
Bruck, Robert: [Rezension von: Friedrich Haack, Hans Schüchlin, Der Schöpfer des Tiefenbronner Hochaltars]
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https://doi.org/10.11588/diglit.50013#0233

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Oktober-Heft.

Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur.

225

Ein frisch und warm geschriebenes Schluss-
wort zieht die Summe der künstlerischen Würdi-
gung des Stoffes. Man kann dem Verfasser’ nur
aus vollem Herzen zustimmen, wenn er die An-
regungen, die der mittelalterliche Rathausbau auch
dem modernen Architekten noch zu geben vermag,
sehr hoch einschätzt. Ein einziger Satz nötigt
mich noch zu einer kurzen Bemerkung. Der Ver-
fasser stellt die „Gotik" dieser mittelalterlichen
Profanbauten in Gegensatz zur Kathedralgotik und
nennt die übliche, aus einer Analyse dieses Kathe-
dralstils abgeleitete Wesensbestimmung der Gotik
demzufolge einseitig. Ich meine, da ist doch dies
eine noch zu bedenken: Die Gotik erwächst aus
einer folgerichtig entwickelten Lösung der Auf-
gabe, die die Einwölbung der Basilika stellte.
Der gotische Stil ist ganz und gar, in allen Einzel-
heiten, auch in seinem Dekorationssystem, bedingt
durch die Eigenart seines Ursprungs. In der An-
erkennung dieses Sachverhalts sind wir doch wohl
einig, oder sollten es doch sein. Wenn nun ein
Accidens dieses Stils, sein Dekorationssystem, auch
da angewandt wird, wo andere Aufgaben ganz
andere Lösungen fordern, und wenn so folglich
etwas Neues, etwas Anderes entsteht als Kathe-
dralgotik, so ist darum die Wesensbestimmung
„der Gotik“ noch nicht falsch. Es kommt nur
darauf an, was man darunter versteht.
Nun kann uns aber nicht daran liegen, unsere
Begriffsbestimmungen zu verwässern; es gilt viel-
mehr, sie zu verfeinern. Wenn man sich also
überzeugt — und es ist m. E. ein Hauptverdienst
unseres Buches, dass es diese Ueberzeugung wecken
und festigen helfen wird —, dass dem mittel-
alterlichen Profanbau die eigentliche Gotik, von
wenigen interessanten Versuchen abgesehen, fremd
bleibt, dass die Entwickelung der Profanarchitek-
tur vielmehr vom romanischen Stil, der (auch in
Frankreich?) merkwürdig lange festgehalten wird,
zu neuen Bildungen übergeht, die im Kern noch
romanisch, von der Gotik nur das Kleid nehmen,
wenn man das anerkennt, wird man wohl darauf
verzichten, innerlich so verschiedene Dinge, wie
Kathedralgotik und die Profanbaukunst des 14.
Jahrhunderts unter eine Begriffsbestimmung zu-
sammenzwängen zu wollen. Gerade die schönen
Analysen Stiehls selber lassen keinen Zweifel da-
rüber, wohin diese Kunst zielt: nirgends ist die
Baumasse streng organisch im Sinne wirklicher
Gotik durchgegliedert, stets ist die gotische De-
koration Zutat, ist sie, vielleicht abgesehen von
einigen bestimmten Giebelfronten, freie Auflage
auf einer geschlossen wirkenden Fläche. Mit
anderen Worten, sie dient ebenso der malerischen
Wirkung dieser Bauten, wie die freie Gruppierung

der Bauteile, die Auflockerung des Umrisses, die
Reize des verschiedenartigen und verschieden-
farbigen Materials, wie Flachschnitzerei und Be-
malung. Malerisch sind schon die „gotischen“
Bauten des 14. Jahrhunderts, erst recht sind es
die des 15. und 16. Will man sie noch gotisch
nennen — gut. Der Name tut nicht viel zur
Sache. Aber ich meine: wie wir heute ganz all-
gemein mit dem 15. Jahrhundert (richtiger etwa
mit dem Jahr 1380) die neue Zeit in Plastik und
Malerei beginnen, so sollten wir endlich auch für
die entsprechende Phase der Baukunst einen
eigenen neuen entsprechenden Namen haben. Ein
solcher Name würde mehr zur Beseitigung alter
Vorurteile (wie „Entartung“ der Gotik u. s. f.) bei-
tragen, als lange Auseinandesetzungen.
Auch hier muss ich schliesslich noch einmal
hervorheben, wie völlig eins ich mich mit dem
Verfasser in der Anerkennung des positiven künst-
lerischen Werts der Baukunst dieser bisher viel
zu stiefmütterlich behandelten Zeit weiss.
Und nun zum Schluss: wir verabschieden uns
von dem Verfasser mit dem Ausdruck warmen und
herzlichen Dankes für die reiche Gabe, die er uns
geboten hat. Möchten die Anregungen, die sein
Buch dem schaffenden Architekten so gut wie dem
Forscher gewährt, recht reiche Früchte tragen.
Rudolf Kautzsch
Friedrich Haack, Hans Schüchlin, der Schöp-
fer des Tiefenbronner Hochaltars. Studien zur
deutschen Kunstgeschichte. Heft 62. Mit
4 Lichtdrucktafeln. Strassburg. J. H. Ed.
Heitz(Heitz & Mündel). 1905. Mk. 2,50.
Das 36 Seiten starke Heft ist inhaltlich in
fünf Kapitel zerlegt: 1. Das Leben des Künstlers.
2. Der Tiefenbronner Hochaltar von 1469. 3. Hans
Schüchlins Stellung in der Ulmer Tafelmalerei des
15. Jahrhunderts. 4. Zuschreibungen. 5. Ur-
kunden.
Ueber die Lebensdaten des Künstlers konnte
der Verfasser nicht viel neues bringen, und auch
die Urkunden schweigen, besonders in künstleri-
scher Beziehung, wie es uns ja fast ausnahmslos
bei der Forschung über alte deutsche Meister er-
geht. Wer deutsche Urkunden einmal nach dieser
Richtung hin durchgenommen hat, kennt die Ent-
täuschungen, die man dabei empfängt. Das wusste
der Verfasser im voraus, denn in seiner Arbeit über
Friedrich Herlin (Heft 26 der Studien) hatte er
sich bereits schon einmal mit dem Leben und
Schaffen eines alten deutschen Meisters befasst.
Dankbar aber müssen wir sein, wenn doch über
unsere alten deutschen Künstler alles gesammelt
wird, was wir über sie in Erfahrung bringen kön-
 
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