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Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur — 1.1905

DOI Heft:
Siebentes Heft (Juli 1905)
DOI Artikel:
Wulff, Oskar: [Rezension von: Wilhelm Suida, Florentinische Maler um die Mitte des XIV. Jahrhunderts]
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Neumann, Carl: [Rezension von: Paul Vitry, Tours et les châteaux de Touraine]
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https://doi.org/10.11588/diglit.50013#0168

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160

Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur.

Juli-Heft.

meinert worden. Wenn um Mitte des XIV. Jahr-
hunderts in der Malerei ein prinzipieller Gegen-
satz bestand, so bildete einen solchen gegen
die Genannten die Gaddischule, nur durchaus
nicht zu ihren eignen Ungunsten. Die Unter-
schätzung ihrer zentralen Bedeutung hat S. zur
Ueberschätzung seines Helden verführt. T. Gaddis
Schaffen bedeutet denn doch mehr als eine spiele-
rische Fortsetzung sienesischer Kunstweise. Als
architektonisch denkender Künstler trägt gerade
er konstruktive Elemente in die architektonische
wie in die landschaftliche Raumgestaltung hinein,
und diese letztere vor allem findet in Fr. da
Volterra und Agnolos Werken ihre folgerichtige
Fortbildung. Diese echten Florentiner sehen
immer Figur und Szene zusammen, und an diese
Schule als Kristallisationspunkt schliesst sich zu-
letzt jeder neue Fortschritt an. Die beiden
Orcagna und Giovanni bringen nur primitive
Kompositionsformen und ältere Typen der Land-
schaft und der Bildarchitekturen mit oder suchen
Anlehnung. Dass auch die Brüder von der Ge-
fahr, in eine gefällige Flächendekoration zu ver-
fallen, weit entfernt waren, lehrt Andreas Entwick-
lung zum Plastiker und der grossartige Auf-
schwung Nardos zu Raumanschauung und plasti-
schem Gruppenbau unter der Anregung von
Dantes Dichterphantasie. Gemein ist allen dreien
und ihre Ueberlegenheit über Giottos Nachfolger
begründet das, was die oberitalienische Kunst des
Trecento stets auszeichnet — schon im Baptisterium
zu Padua und weiter bei Altichiero —, die sichere
Beherrschung der gut artikulierten Menschen-
gestalt in Ruhestellung oder massvoller Bewegung
und die realistischere Gewandbehandlung. Die
kühneren Wendungen und die Verkürzungen ent-
wickeln hingegen wieder die Florentiner. Giovanni
da Milano als der Jüngere (1450 ist er noch Ge-
selle) hat vor Andrea Orcagna schon eine weichere
Modellierung voraus. Die Vorzüge der neuen
Richtung aber fanden in Florenz willige Aner-
kennung, das lehrt der Vergleich von Taddeos
Figuren mit den ungleich besser proportionierten
und sicherer dastehenden eines Francesco da V.,
Agnolos und Andreas da Firenze, der eine den
Orcagna nähere Zwischenstellung einnimmt. Bei
Spinell o endlich ist der volle Ausgleich erzielt. So
ungefähr dürfte die Stellung der drei oberitalie-
nischen Meister in der Trecentomalerei zu um-
schreiben sein. Es war noch wichtiger, gegen ihre
falsche Abschätzung von vorgefasstem Standpunkt
Einspruch zu erheben, als gegen einzelne Fehlgriffe
der Stilkritik, die keinem auf diesem Gebiet Ar-
beitenden so leicht erspart bleiben und SuidasBeitrag
seinen Wert nicht schmälern. Oscar Wulff

Französische Kunst.
Paul Vitry, Tours et les chäteaux de
Touraine (les villes d’art celebres). 180 S. m.
107 Abb. 4°. Paris, libr. Renouard, Laurens
ed. 1905. Preis 4 Fr.
Tours ist erst im 16. Jahrhundert „Provinz“
geworden. Die Stadt des heiligen Martin und
Gregors von Tours war im Mittelalter eine der
grossen Wallfahrtsstätten Frankreichs. Im 15. Jahr-
hundert hat ein Maler von Tours die Fahne der
Jeanne d’Arc gemalt; vielleicht war es der Lehrer
Fouquets. Dieser grosse Name Fouquets ist es
dann, der die grande epoque der Stadt als eines
Kunstzentrums bezeichnet. Leider sind seine Mo-
numentalmalereien in Notre Dame la riche ver-
loren. Als im Gefolge der italienischen Feldzüge
italienische Dekorateure in die Touraine berufen
wurden, fanden sie blühende einheimische Ateliers
hier vor. Der Minister Ludwigs XII., der Kardinal
von Amboise, hat das Altarrelief für die Kapelle
seines normannischen Schlosses Gaillon aus Tours
bezogen, vom Meister Colombe. Es ist das Relief
mit dem heiligen Georg, das sich jetzt im Louvre
befindet. Denkt man an die Werke von Colombe
und an die heilige Martha in der Madeleine zu
Troyes, so hat man den Eindruck, als seien diese
beiden Städte um die Wende des 15. und 16. Jahr-
hunderts die eigentlichen Herde nationaler franzö-
sischer Plastik gewesen. Zu Beginn des neuen
Jahrhunderts erhalten die Kathedraltürme von
Tours ihre Krönungen, keine gothischen Helme,
sondern Kuppeln, diese aber noch reich geschmückt
mit Krabben und Wasserspeiern. In der gleichen
Zeit .sieht das Loiretal seine schönsten Schlösser
entstehen; die Könige bauen ihre alten Burgen
um; der reiche Beamtenadel folgt ihrem Beispiel.
Diese Schlösser spielen ihre Rolle in der bewegten
Geschichte des 16. Jahrhunderts. Aber die Kunst
findet seit Franz I. ihr Zentrum in der Isle de
France. Diese Tendenz verstärkt sich immer mehr
seit der Klassizismus alles auf eine Formel bringt,
Die Provinz wird nur noch Kopie der Hauptstadt.
Künstler des 17. Jahrhunderts, die viel genannt
werden, der Kupferstecher Bosse und die Vettern
Beaubrun, sind aus Tours; aber sie haben nicht
dort gewirkt.
Der Verfasser dieses anziehenden Buches ist
aus der Schule zweier Männer hervorgegangen, die
den Geist der kunstgeschichtlichen Studien in
Frankreich wesentlich umgestaltet haben, Louis
Courajod und Henry Lemonnier. In diesem Kreis
ist über italienische Kunstinvasion und Klassizismus
hinweg das Interesse für nordische und französi-
sche Kunstart neubelebt worden. Herr Vitry hat
 
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