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Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur — 1.1905

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Elftes/Zwölftes Heft (November/Dezember 1905)
DOI Artikel:
Lichtenberg, Reinhold von: [Rezension von: Maximilian von Groote, Die Entstehung des ionischen Kapitells und seine Bedeutung für die griechische Baukunst]
DOI Artikel:
Popp, Hermann: [Rezension von: C. Baumann, Die künstlerischen Grundsätze für die bildliche Darstellung, deren Ableitung und Anwendung]
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https://doi.org/10.11588/diglit.50013#0269

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Nov./Dez.-Heft. Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur.

2G1

Gottes, ist das Ursprüngliche; die Peripteralanlage
kam erst später ans praktischen Gründen nnd
dem Streben, das Gebäude prächtiger zu gestalten,
hinzu. Um aber seine vorgefasste und unbegründete
Meinung doch irgendwie zu begründen, kommt
Groote dazu, einen von ihm missverstandenen Satz
in Brunns griechischer Kunstgeschichte zu ent-
stellen und willkürliche Schlüsse daraus zu ziehen.
Brunn sagt (II. S. 33) über die ältesten Tempel von
Selinunt: ,,Die Anlage der Cella hat noch keine
bestimmte Beziehung zur Peripteralstellung der
Säulen“, das entstellt Groote; indem er zitiert,
dass, „je älter der Bau, um so unabhängiger Cella
und Säulen von einander sind,“ und folgert selbst-
ständig weiter, „dass sogar die Cella schief zu
der sie rechtwinklig umgebenden Säulenstellung zu
stehen kommen konnte.“ Einen solchen Tempel
gibt es aber nicht, und Groote hat damit nur ge-
zeigt, dass er trotz vieler Literaturangaben doch
so manches in Literatur und Denkmälern über-
sehen hat. Hätte ei’ sich nämlich weiter umge-
sehen, so würde er gefunden haben, dass Brunn
sich hier auf Benndorf (Die Metopen von Selinunt
etc. S. 21) bezieht, wo dieser Gelehrte sagt: „In
den älteren Tempeln fehlt eine organische Ver-
bindung der Cella mit dem Pteroma.“ Und die
beigegebenen Grundrisse zeigen auf das deutlichste,
dass hier von einem „Schiefstehen“ der Cella keine
Bede ist. Der Umgang zwischen Säulen und
Cellawand ist bei diesen Tempeln breiter, als spätei-
üblich ist, und darum fallen die Axen der ganz
parallel zur Säulenstellung laufenden Wände nicht
in die Axen der Säulen, sondern in Intercolumnien;
und auch dieser Umstand wird von Benndorf
(S. 20) aus dem Materiale und der besonderen Be-
stimmung der Cella als Schatzhaus zur Genüge
erklärt.
Man sieht also, Herr von Groote ging von
einer persönlichen, vorgefassten Ansicht aus und
trug zu diesem Zwecke ohne weitere Nachprüfung
aus der Literatur nur die einzelnen Sätze zu-
sammen die ihm diese Ansicht zu stützen schienen,
wobei ihm denn das Unglück geschah, dass er
aus Missverständnis die schief stehende Cella als
Tatsache hinstellte. — Dies die Hauptpunkte, die
richtig zu stehen sind, in den Einzelheiten seiner
Schrift wäre noch mancherlei anderes, was zu
widerlegen ist.
Wenn man aber mit seinen angeblichen For-
schungsergebnissen auf so schwanken Beinen steht,
so wäre es auch angebracht, im ganzen Tone der
Schreibweise etwas mehr Mässigung und akade-
mische Ausdrucksweise anzuwenden. Es macht
doch einen recht peinlichen Eindruck, wenn man
die Ansichten so verdienter Gelehrten wie Kolde-

wey als „Unsinn“ bezeichnet findet, oder anderer
Meinungen „lächerlich“ genannt werden. In
diesem unerfreulichen Tone geht es die ganze
Schrift hindurch; dabei werden, aber die eigenen
Behauptungen oft ohne, jede Begründung als „bis
zur Evidenz sich steigernde Beweise“ aufgefasst,
an denen niemand „noch zu zweifeln wagen“ kann,
und die ganze Schrift endigt mit dem recht an-
massenden Satze: „Freilich, kluge Gelehrte zu
überzeugen, ist nicht so einfach!“ Störend sind
auch mannigfache unrichtige und flüchtige Citate,
sowie, der Umstand, dass der ganzen Schrift nicht
eine Zeichnung beigegeben ist, was bei den vielen
herangezogenen Denkmälern, sei es auch in ein-
fachster Zinkographie, dringend nötig wäre und
manches mühselige Nachschlagen ersparte.
Beinhold Freiherr v. Lichtenberg

Aesthetik.

Baumann C: Die künstlerischen Grundsätze
für die bildliche Darstellung, deren Ableitung
und Anwendung. VI, 185S. Mit 2G AbbiIdgn.
Halle, W. Knapp, 1905. Mk. 5, — .
Durch die eigene Erfahrung sind die Künstler
dazu gekommen, sich bei ihren Arbeiten nur von
ihrem Gesichtssinn oder von ihrem eigenen Em-
pfinden leiten zu lassen. Da jedes Empfinden, also
auch das künstlerische, ein Ausdruck seelischer
Tätigkeit ist und jede seelische Tätigkeit einer An-
regung bedarf, die wiederum durch die Tätigkeit
der Sinne hervorgerufen wird, so geraten wir in
das Gebiet der Physiologie, nnd Psychologie. Verf.
schildert nun zunächst die Beziehungen zwischen
Kunst und Natur, dann das Licht und seine Wir-
kungen in der Natur (Irradiation, Subjektive Nach-
bilder, Kontrastfarben, farbige Schatten, Beleuchtung
in der Natur), das Auge und seine Tätigkeit (Ge-
sichtswinkel, Blickpunkt, Verkleinerung, Augen-
höhe, Ermüdung und Unruhe, Horizont, Zeit- und
Momentbilder, Farben- und Helligkeitsunterschiede,
Gewohnheit und Verstand, subjektives und objek-
tives Empfinden etc.), woran sich eine Physiologie
und Psychologie des Sehens anschliesst, als wissen-
schaftliche Begründung dafür, dass die Menschen,
normale Augen vorausgesetzt, wirklich so sehen
müssen, wie er angibt, und nicht etwa anders.
Dies ist darum wesentlich, weil aus der Art und
Weise, wie wir die umgebende Natur erkennen und
sehen, die Grundlagen hergeleitet werden, welche
für die bildliche Darstellung massgebend sein sollen.
Weiter fortschreitend, zieht er dann aus den ge-
wonnenen Erfahrungen über die Wirkung der Be-
 
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