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Oberrheinische Kunst — 3.1928

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Kautzsch, Rudolf: Ein frühes Werk des Meisters der Straßburger Ekklesia
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https://doi.org/10.11588/diglit.53860#0144

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Rudolf Kautzsch

Zwei von den drei „Büsten“ im Museum sind Originale, eine ist ein Gipsabguß. Die Originale
sind, wie auch die Zettel besagen, die ihnen beigeheftet sind, abgeschnittene Oberteile großer Figuren,
die einst ein Portal der untergegangenen Kirche Ste. Madeleine in Besannen schmückten. Diese Kirche
wurde im 17. Jahrhundert baufällig: 1640 stürzte der Chor ein, 1665 brachen fünf Gewölbe herunter.
Der Bau wurde dann — seit 1754 — niedergelegt und 1746 durch einen Neubau ersetzt, die heute noch
stehende Sainte Madeleine, ein Werk des Architekten Nicolas Nicole aus Besannen1. Beim Abbruch wurden
die erhaltenen Stücke von Liebhabern gerettet und aufgehoben. Aus Privatbesitz kamen sie im Verlauf
des 19. Jahrhunderts in das Museum. Wenigstens zwei von ihnen: die dritte steht heute wieder in der
Kirche, und zwar in dem Raum, der östlich vom Querhaus einen südlichen Nebenchor bildet. Dort findet
sich an der Südwand eine Tafel zum Gedächtnis des Erzbischofs Hugo des Großen, der die Kirche um
die Mitte des 11. Jahrhunderts (!) gestiftet hat. Die Inschrift auf der Tafel lautet: Effigies vera
Hugonis I Antist. Bisunt. per incarnationis saeculum undecimum hujus ins. eccl. colleg.
S. Magdalenes fundatoris, per quem sumus in honore, cujus cor hic sepelitur. Darunter
rechts (klein}: ex vet. inscript. Über der Tafel trägt eine schreckliche Eisenkonsole die Büste, deren
Gipsabguß bei den beiden anderen Originalen im Museum steht. So naiv auch der Glaube ist — übrigens
schon eine Meinung des 18. Jahrhunderts —, die Büste müsse ein Bildnis jenes Erzbischofs Hugo sein,
so dankbar dürfen wir den Irrtum der pietätvollen Verehrer des Kirchenstifters hinnehmen: wer weiß, ob
uns ohne diesen die Büste, das Hauptstück unter den dreien, erhalten wäre2.
Die Kirche Ste. Madeleine, die Stiftung des Erzbischofs Hugo, wurde im Jahr 1221 durch einen
gewaltigen Brand, der das ganze Quartier zerstörte, funditus in Schutt und Asche verwandelt. Alsbald
aber regte sich der löbliche Eifer des Stifts. Und mit Gottes Hilfe ließ sich unter großer Arbeit und mit
schweren Kosten alles wieder herstellen und erneuern3. Ein Erdbeben im Jahr 1267 soll die Kirche
abermals geschädigt haben. Aber wie immer: im Jahr 1281 wurde der Hauptaltar und der Altar
St. Michaels (im Erdgeschoß des erhalten gebliebenen romanischen Turms, das jetzt einen südlichen
Nebenchor bildete) — wiederum? — geweiht. Die spätere Geschichte des Gotteshauses interessiert uns
hier nicht. Erwähnenswert ist höchstens, daß im 14. Jahrhundert (1320) der Chor umgestaltet wurde.
Auch die Kapellen, die man wie so oft den Seitenschiffen anfügte, sind in dieser Zeit errichtet worden.
Eine Gesamtweihe im Jahr 1370 schloß diese Bauperiode ab.
So stand also ganz offenbar dieser Bau des zweiten und dritten Viertels des 13. Jahrhunderts (be-
gonnen nach der Katastrophe des Jahres 1221) in seinen wesentlichen Teilen noch unversehrt da, als um
die Mitte des 17. Jahrhunderts der Zerfall begann (s. oben), den der Abbruch im Jahr 1734 vollendete.
1 Zwei gute Ansichten (die Fassade und das Innere) bei Gurlitt, Die Baukunst Frankreichs (Dresden, Gilbers’sche
Verlagsbuchhandlung, o. J.) I Text S. 23, Tafel 49 u. 50.
2 Wie der oben (s. Anm. 1) zitierte Lichtdruck bei Gurlitt ausweist, befand sich die Büste nebst der Inschrift-
tafel bis vor kurzem im Mittelschiff der Kirche am südwestlichen Vierungspfeiler.
3 Diese und die folgenden Nachrichten entnehme ich dem offenbar zuverlässigen Aufsatz des Archivars Jules
Gauthier: L’ancienne collegiale de Sainte-Madeleine de Besancon et son portail ä figures du XHIe s. im Bulletin
archeologique du comite des travaux historiques et scientifiques 1895. S. 158. Der Aufsatz ist wieder abgedruckt in den
Memoires de la Societe d’emulation du Doubs, 7?- serie, ze volume, 1897. S. 249. Gauthier schöpft in der Hauptsache
aus den Papieren des Abbe J. B. Fleury, der seinerseits den Fleiß des 18. Jahrhunderts ausmünzte. Die Nachrichten
scheinen gut begründet. Außerdem hat mich Herr H. Michel in Besancon aus dem Schatz seines reichen Wissens bereit-
willig und freundlich über mehrere Punkte weiter aufgeklärt. Ich danke ihm auch an dieser Stelle herzlich.

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