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Oberrheinische Kunst — 3.1928

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Schmitt, Otto: Die Friedberger Lettnermadonna
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https://doi.org/10.11588/diglit.53860#0165

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Die Friedberger Lettnermadonna

altars (1290), die Sibotho-Madonna in Eichstädt (1295) und die Würzburger Dreikönigsmadonna (um 1305) ge-
nannt. Vor 1270 ist mir der Typus der Wimpfen-Friedberger Madonna in Deutschland nicht bekannt1.
Dann aber taucht er ungefähr gleichzeitig in den verschiedensten Gegenden auf. Als seine Heimat ist
Frankreich anzusehen, wo seit den 40 er Jahren des 13. Jahrhunderts das für unsere Gruppe charakteristische
Bewegungs- und Drapierungssystem eine große Rolle spielt. Unter den französischen Monumentalmadonnen
vermag ich jedoch ein unmittelbares Vorbild für die Wimpfener oder Friedberger Statue nicht nachzu-
weisen; in keinem Fall sind die Übereinstimmungen so groß wie etwa zwischen der Bamberger Heim-
suchung und ihrem Reimser Vorbild, die sich nur durch persönliche Kenntnis des Originals und damit
durch die Annahme einer Studienreise oder noch wahrscheinlicher längerer, praktischer Tätigkeit des
deutschen Bildhauers in Frankreich erklären lassen. Aber es ist überhaupt fraglich, ob die deutschen
Bildhauer des späteren 13. Jahrhunderts Frankreich noch so regelmäßig besucht haben wie die des
zweiten Viertels. Gewiß gab es auch in der Spätzeit des Jahrhunderts (noch und wieder) deutsche Bildhauer,
die in Frankreich lernten, und für Wimpfen gerade ist dieser Fall direkt bezeugt, aber daneben scheint
damals eine andere Art der Vermittlung westlicher Formen eine Rolle, zu spielen, die vorher keine oder
nur untergeordnete Bedeutung hatte: der Import französischer Kleinkunstwerke, vor allem von Statuetten und
Reliefs aus Elfenbein. In der Tat findet sich unter den zahlreichen französischen Elfenbeinstatuetten, die
wir aus dem 13. und 14. Jahrhundert kennen, häufiger ein Madonnentyp, der mit dem Wimpfen-Friedberger
Schema große Ähnlichkeit hat. Ich denke an jene Madonnen, deren berühmteste die sog. Vierge de la
Ste. Chapelle im Louvre-Museum in Paris ist (Taf. 61, Abb. 3 und 4). Hier findet sich, ähnlicher als bei
allen erhaltenen Werken der Großplastik, das weite und schleifende Zurücksetzen des rechten Fußes, das
scharfe Ausbiegen der Hüfte, die beschriebene Organisation der Gewänder. Die französischen Gelehrten
pflegen freilich die Vierge der St. Chapelle ins frühe 14., allerhöchstens ganz ans Ende des 13. Jahrhunderts
zu datieren2, und die deutsche Forschung ist ihnen darin meist gefolgt. Aber beweist nicht gerade die
mit einer an Gewißheit grenzenden Wahrscheinlichkeit in die 70er Jahre zu datierende Wimpfener Chor-
madonna, die besonders starke Parallelen zur Louvre-Statuette zeigt, daß dieser Typ älter ist? Und es gibt
vielleicht sogar einen urkundlichen Beleg dafür, daß die Pariser Madonna älter sein muß, als gemeinhin
angenommen wird. Wenn auch nicht jeder Zweifel ausgeschlossen ist, so sprechen doch sehr gewichtige
Zeugnisse dafür, daß diese Statuette mit einer berühmten ehemals in der Ste. Chapelle zu Paris aufbewahrten
und regelmäßig in den Schatzverzeichnissen erwähnten Elfenbeinmadonna identisch ist. Nun, diese Inventar-
vermerke gehen zurück bis zu einem Memorial, das frühestens 1265 und spätestens 1279 abgefaßt ist.
Wenn die Louvre-Statuette mit der Vierge de la Sainte Chapelle identisch ist, und dafür sprechen, wie
gesagt, sehr triftige Gründe, dann ist die Statuette spätestens 127g entstanden. Sie kann natürlich auch
noch eine ganze Reihe von Jahren früher entstanden sein, und kein stilistischer Grund hindert uns, sie
in die 60 er Jahre zu datieren. Der Reimser Josefmeister, dessen Stil letztlich die Grundlage unseres Madonnen-
typs bildet, war anscheinend bereits vor der Jahrhundertmitte tätig. Die nach der neueren Auffassung von ihm ab-

1 Die Madonna am Konstanzer hl. Grab, das ich nach wie vor ins dritte Viertel des 15. Jahrhunderts datiere,
ist unverkennbar altertümlicher als die hier behandelte Gruppe. Vgl. über das hl. Grab Rud. Busch in »Oberrheinische
Kunst« Heft 3, 1926, S. 106 oder besser die Frankfurter Dissertation 1924 desselben Verfassers (Maschinendruck).
2 So auch das grundlegende Buch von R. Koechlin, Les Ivoires gothiques francais, Paris 1924, II, S. 41: Le style
de notre Vierge denotant l’extreme fin du XIII s. ou plutöt les premieres annees du XIV.

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