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Grothe, Hugo [Bearb.]
Orientalisches Archiv: illustrierte Zeitschrift für Kunst, Kulturgeschichte u. Völkerkunde der Länder des Ostens — 1.1910/​1911

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Menzel, Theodor: Selanikli Fâik, die Geschichte der Freiheit und die Gedanken des Padischah, [1]: ein Beitrag zu den Entwicklungsphasen der türkischen Freiheitsbewegung
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https://doi.org/10.11588/diglit.69602#0022

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Selanikli Fäik.
Die Geschichte der Freiheit und die Gedanken des Padischah.
Ein Beitrag zu den Entwicklungsphasen der türkischen Freiheitsbewegung.
Nach dem in Konstantinopel 1324 (Finanzjahr = 1326 h = 1908 D) bei Karabet gedruckten Texte ins Deutsche übersetzt.
Von Theodor Menzel-Odessa.

Vorbemerkung.
nfang April 1909, eben als die Reaktion
in Konstantinopel einzusetzen begann,
die zu der Absetzung Sultan Abd-ül-
Hamids und zur Verstärkung des liberalen Re-
gimentes in der Türkei führen sollte, hielt ich im
Reichsdeutschen Hilfsverein in Odessa einen
Vortrag über die türkischen Reformbewegungen in
ihrer gesamten geschichtlichen Entwicklung. Un-
ter den zahlreichen türkischen Neuerscheinungen,
die nach Aufhebung der Zensur in Konstantinopel
wie Pilze nach einem warmen Regen aus der
Erde hervorschossen, und von denen ich über
ein halbes Hundert auf einmal zugesandt erhielt
— über Auswüchse der Despotie, Abhandlungen
über die Verfassung, das heilige Recht, die fremden
Privilegien, die Kapitulationen wie auch mancher-
lei rein literarische Sachen enthaltend, die vor-
mals die Klippe der Zensur nicht hatten zu um-
schiffen vermögen — interessierte mich damals
eine Broschüre von Selanikli Fäik, die unmittel-
bar nach der Wiedereinführung der Verfassung
durch Sultan Abd-ül-Hamid im ersten Freuden-
taumel niedergeschrieben worden war. Alles
erschien noch in rosiges Licht getaucht, Rassen-
und Religionsunterschiede waren verschwunden.
So bedeutungslos auch inhaltlich das Büchlein
ist, es spiegelt getreu die damalige Stimmung
des überwiegenden Teiles der liberalen verfassungs-
treuen Kreise wieder, wenigstens so weit man
sie nach außen bekannt werden lassen wollte.
Die ganze Entrüstung des lange geknechteten
Volkes richtete sich damals nur gegen die Rat-
geber des Sultans, die man ausschließlich für
das ganze bislang herrschende System der Ver-
logenheit und des krassen Spitzelwesens ver-
antwortlich zu machen suchte. Alle Ungerechtig-
keiten und Verbrechen waren angeblich nur auf
ihr Betreiben hin geschehen, ohne daß der schlecht-

berichtete und noch schlechter beratene Sultan,
der nur als willenloses Spielzeug in ihren Händen
erschien, irgend etwas wußte und ohne daß er
daher für irgend etwas haftbar zu machen war.
Man schien zufrieden, die schon im Jahre 1876
dem Lande verliehene Konstitution wieder in
Kraft gesetzt zu sehen und gab sich anscheinend
dem kühnen Glauben hin, Abd-ül-Hamid II.
werde, nach Beseitigung seiner Günstlinge und
des ganzen Schmarotzergeschmeißes, das ihn
umdrängte, plötzlich ein streng konstitutioneller
Monarch werden. Dies ist aus der anspruchs-
losen Schrift Fäiks zu ersehen, die von Loyalität
gegen den Sultan überfließt. Wenige Wochen
später schrieb man anders. —
Ich glaube, als Beitrag zur Charakterisierung
der Entwicklungsstadien der türkischen Kon-
stitutionsbewegung ist das Büchlein nicht ganz
ohne Interesse, zumal es die von einem patrio-
tischen Osmanen selbst geschilderten Gefühle
enthält, die damals weite Schichten des Volkes,
wenigstens in der europäischen Türkei, mit ihm
teilten. Und so gebe ich die wörtliche genaue
Übersetzung.
Von den zum Teil hochinteressanten späteren
literarischen Erscheinungen dieser politischen
Sturm- und Drangperiode gedenke ich demnächst
einige charakteristische Proben zu geben.
Die Geschichte der Freiheit und die Ge-
danken des Padischah.
(S. 3.) Es war im Jahre 1293 h (1876 D).
Die inneren Wirrnisse auf der einen Seite und
die Mißhelligkeit mit Rußland auf der anderen
Seite hatten dem Vaterlande schreckliche Wun-
den geschlagen. Die großherrliche Regierung
befand sich in einer ganz und gar ungewissen
Lage. Daß die Leitung des Landes in der bis-
herigen Weise nicht mehr möglich sein werde,
hatten einige angesehene Staatsmänner voll-


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