Kleine Mitteilungen.
Ausgrabungen.
Die Ausgrabungen zu Abydos und die Frage
der prädynastischen Gräber. In dem soeben er-
schienenen „Archaeological Report 1909—1910 des Egypt
Exploration Fund“ behandelt der ausgezeichnete Ägyptologe
Edouard Naville in seiner Schilderung der letzten Aus-
grabungen zu Abydos die Frage der sogenannten prädy-
nastischen Gräber, d. h. der Gräber, die vor die Zeit der
ersten, Ägypten beherrschenden Dynastien fallen sollen. Man
rechnet die erste Dynastie um 3400 v. Chr. — Die letzt-
jährigen Arbeiten waren zunächst noch auf die königlichen
Gräber zu Omm el-Gaab zu Abydos gerichtet, wo wenige,
aber für die Rekonstruktion der Königsreihen der beiden
ersten Dynastien wichtige Funde gemacht worden sind.
Bedeutsamer waren die Arbeiten an einem von Naville
„gemischter Friedhof“ genannten Begräbnisplatze. Dieser
enthielt Gräber von rein ägyptischem Charakter, ferner
aber eine größere Anzahl sogenannter prähistorischer oder
prädynastischer Gräber und endlich solche, die gemischten
Charakters waren. Das große Interesse dieses Friedhofes
liegt darin, daß er wertvolle Daten zu der Lösung einer Frage
gibt, deren Wichtigkeit wohl nicht geleugnet werden kann.
Ist die Bezeichnung „prädynastisch“ oder „prähistorisch“,
die einer Anzahl in den letzten 20 Jahren gefundener
Gräber gegeben ist, richtig? Oder gehören diese Gräber
einer gleichzeitigen Volksschicht an, die von den wirklichen
Ägyptern zu unterscheiden sind?
Der Name „prädynastisch“ oder „prähistorisch“ gilt
jetzt als so feststehend, daß niemand daran denkt, ihn in
Frage zu stellen. Wer ein ovales Grab findet, in dem ein
Körper in Hockerstellung von Topfwaren umgeben liegt
— welche Topfware einmal ganz grob, ein ander Mal aus
besserem Material hergestellt ist, zuweilen aufgemalte
Ornamente trägt, zumeist aber rot mit schwarzer Einritzung
ist — wer dabei weiter einige Schieferpaletten oder
Feuerstein-Werkzeuge findet, der wird nicht zaudern, hier
ein prähistorisches Grab zu sehen. Und wenn in einem
an solchen Gräbern reichen Friedhof sich auch noch
ägyptische Gräber finden, so wird die Ansicht ausgesprochen,
daß es sich hier um eine prädynastische Stätte, die nachher
von den Ägyptern besetzt und zerstört worden ist, handelt.
Selbstverständlich ist die prädynastische Anlage älter als
die ägyptische Kultur, als deren Kindheitsstadium sie
anzusehen ist. Und die prädynastische Anlage verschwand
mit dem Auftreten einer weiter vorgeschrittenen Zivilisation,
die von der ursprünglichen verschiedene religiöse Ideen
hatte. —
Diese Lieblingstheorie von heute scheint Naville mit
den aus den Ausgrabungen hervorgegangenen Tatsachen
nicht zu stimmen, vielmehr von dem, wie wir jetzt sehen
müssen, grundverschieden zu sein. Wir dürfen heutzutage
nicht mehr annehmen, daß auch der primitive Mensch eine
von unserer und unserer Zeitgenossen Natur so durchaus
verschiedene Anlage gehabt hat; denn wir sehen heutzutage,
daß, je rudimentärer eine Kultur ist, desto heftiger ihre
Anhänger zu ihr neigen. Selbst in hochzivilisierten Ländern
können wir in unserer Zeit der Schulen und der höheren
Erziehung noch bemerken, wie tief eingewurzelt lokale
althergebrachte Sitten und Gebräuche sind; ja, daß selbst
religiöse Ideen noch herrschen, welche auf eine vorchrist-
liche Zeit zurückgehen. Wenn wir nun Ägypten betrachten,
ein über 1500 Kilometer langes Tal, das kein Zentrum
hat, von dem Einflüsse an seine Peripherie laufen, und
wenn wir annehmen, daß dieses lange Tal einmal von
einer eingeborenen Bevölkerung afrikanischen Ursprungs
bewohnt war, die auf der neolithischen Kulturstufe stand,
so kann selbst diese Zivilisation den Nilstrom entlang
nicht überall dieselbe sein. Da wird es Verschiedenheiten
gegeben haben, die durch Jahrhunderte andauern. Wenn
in einem Platz die Steinwerkzeuge und die Topfware
besser gearbeitet sind oder letzterer besser bemalt ist, so
bedeutet dies noch lange nicht verschiedene Perioden in
dieser neolithischen Kultur, vor allem kann man daraus
noch keine chronologischen Schlüsse ziehen. — Nun treten
Eroberer aus einer Rasse, die den Eingeborenen verwandt
sind, die aber eine höherstehende Zivilisation schon erreicht
haben und die andere Ideen über Begräbnis haben, in
diesem Land auf. Diese werden ihre Toten nach ihrer
Fasson begraben, wahrscheinlich werden sie auch Fried-
höfe der Eingeborenen okkupieren, aber die Besitzergreifung
des Landes wird nicht auf einmal geschehen. Der neue
Einfluß wird nicht ein über das ganze Land plötzlich
gefühlter sein und die Eingeborenen werden noch durch
viele Generationen ihre Toten auf ganz die Weise begraben,
wie es ihre Väter taten, wahrscheinlich auch in demselben
Friedhof, auf dem auch die Eroberer ihre Toten nach
ihrer eigenen Weise beisetzten.
Naville zieht daher den Schluß, daß jeder einigermaßen
wichtige Begräbnisplatz seine eigene Geschichte hat, was
Zivilisation und Kultur betrifft. Man darf nicht generalisieren.
Solange nicht das Gegenteil bewiesen ist, muß man sagen,
daß ein zu Memphis gefundener Gegenstand, der der
vierten Dynastie zugeschrieben wird, wenn er in Assuan
zum Vorschein gekommen ist, von ganz anderem Datum
sein kann. Nie darf man glauben, daß die Modifikationen
infolge eines Dynastiewechsels sich sofort durch das ganze
langhingestreckte Land verbreiten konnten. Durch welchen
Kanal erreichten viele Veränderungen die äußersten Enden
und wielange brauchten sie dazu? Weil eine andere
Dynastie zu Memphis oder Theben auf den Thron gekommen
ist, was soll da irgend eine Dorfbewohnerin für einen
Grund haben, um die Perlen ihres Halsschmuckes oder
die Töpfe, in denen sie das Essen bereitet, von anderer
Art herstellen zu lassen oder herzustellen?
Diese Fragen erklären den Wert und das Interesse
dieses „gemischten Friedhofes“. Naville leugnet nicht,
daß in dieser Begräbnisstätte wirklich auch vordynastische
Gräber vorhanden sein können; aber ein Beweis dafür ist
nicht vorhanden. Denn das älteste Grab scheint in dem
Abydoskonzern von Gräbern, der „gemischten Grabanlage“,
nach Naville ein ägyptisches zu sein, das aus einem vier-
Orientalisches Archiv I, 22
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Ausgrabungen.
Die Ausgrabungen zu Abydos und die Frage
der prädynastischen Gräber. In dem soeben er-
schienenen „Archaeological Report 1909—1910 des Egypt
Exploration Fund“ behandelt der ausgezeichnete Ägyptologe
Edouard Naville in seiner Schilderung der letzten Aus-
grabungen zu Abydos die Frage der sogenannten prädy-
nastischen Gräber, d. h. der Gräber, die vor die Zeit der
ersten, Ägypten beherrschenden Dynastien fallen sollen. Man
rechnet die erste Dynastie um 3400 v. Chr. — Die letzt-
jährigen Arbeiten waren zunächst noch auf die königlichen
Gräber zu Omm el-Gaab zu Abydos gerichtet, wo wenige,
aber für die Rekonstruktion der Königsreihen der beiden
ersten Dynastien wichtige Funde gemacht worden sind.
Bedeutsamer waren die Arbeiten an einem von Naville
„gemischter Friedhof“ genannten Begräbnisplatze. Dieser
enthielt Gräber von rein ägyptischem Charakter, ferner
aber eine größere Anzahl sogenannter prähistorischer oder
prädynastischer Gräber und endlich solche, die gemischten
Charakters waren. Das große Interesse dieses Friedhofes
liegt darin, daß er wertvolle Daten zu der Lösung einer Frage
gibt, deren Wichtigkeit wohl nicht geleugnet werden kann.
Ist die Bezeichnung „prädynastisch“ oder „prähistorisch“,
die einer Anzahl in den letzten 20 Jahren gefundener
Gräber gegeben ist, richtig? Oder gehören diese Gräber
einer gleichzeitigen Volksschicht an, die von den wirklichen
Ägyptern zu unterscheiden sind?
Der Name „prädynastisch“ oder „prähistorisch“ gilt
jetzt als so feststehend, daß niemand daran denkt, ihn in
Frage zu stellen. Wer ein ovales Grab findet, in dem ein
Körper in Hockerstellung von Topfwaren umgeben liegt
— welche Topfware einmal ganz grob, ein ander Mal aus
besserem Material hergestellt ist, zuweilen aufgemalte
Ornamente trägt, zumeist aber rot mit schwarzer Einritzung
ist — wer dabei weiter einige Schieferpaletten oder
Feuerstein-Werkzeuge findet, der wird nicht zaudern, hier
ein prähistorisches Grab zu sehen. Und wenn in einem
an solchen Gräbern reichen Friedhof sich auch noch
ägyptische Gräber finden, so wird die Ansicht ausgesprochen,
daß es sich hier um eine prädynastische Stätte, die nachher
von den Ägyptern besetzt und zerstört worden ist, handelt.
Selbstverständlich ist die prädynastische Anlage älter als
die ägyptische Kultur, als deren Kindheitsstadium sie
anzusehen ist. Und die prädynastische Anlage verschwand
mit dem Auftreten einer weiter vorgeschrittenen Zivilisation,
die von der ursprünglichen verschiedene religiöse Ideen
hatte. —
Diese Lieblingstheorie von heute scheint Naville mit
den aus den Ausgrabungen hervorgegangenen Tatsachen
nicht zu stimmen, vielmehr von dem, wie wir jetzt sehen
müssen, grundverschieden zu sein. Wir dürfen heutzutage
nicht mehr annehmen, daß auch der primitive Mensch eine
von unserer und unserer Zeitgenossen Natur so durchaus
verschiedene Anlage gehabt hat; denn wir sehen heutzutage,
daß, je rudimentärer eine Kultur ist, desto heftiger ihre
Anhänger zu ihr neigen. Selbst in hochzivilisierten Ländern
können wir in unserer Zeit der Schulen und der höheren
Erziehung noch bemerken, wie tief eingewurzelt lokale
althergebrachte Sitten und Gebräuche sind; ja, daß selbst
religiöse Ideen noch herrschen, welche auf eine vorchrist-
liche Zeit zurückgehen. Wenn wir nun Ägypten betrachten,
ein über 1500 Kilometer langes Tal, das kein Zentrum
hat, von dem Einflüsse an seine Peripherie laufen, und
wenn wir annehmen, daß dieses lange Tal einmal von
einer eingeborenen Bevölkerung afrikanischen Ursprungs
bewohnt war, die auf der neolithischen Kulturstufe stand,
so kann selbst diese Zivilisation den Nilstrom entlang
nicht überall dieselbe sein. Da wird es Verschiedenheiten
gegeben haben, die durch Jahrhunderte andauern. Wenn
in einem Platz die Steinwerkzeuge und die Topfware
besser gearbeitet sind oder letzterer besser bemalt ist, so
bedeutet dies noch lange nicht verschiedene Perioden in
dieser neolithischen Kultur, vor allem kann man daraus
noch keine chronologischen Schlüsse ziehen. — Nun treten
Eroberer aus einer Rasse, die den Eingeborenen verwandt
sind, die aber eine höherstehende Zivilisation schon erreicht
haben und die andere Ideen über Begräbnis haben, in
diesem Land auf. Diese werden ihre Toten nach ihrer
Fasson begraben, wahrscheinlich werden sie auch Fried-
höfe der Eingeborenen okkupieren, aber die Besitzergreifung
des Landes wird nicht auf einmal geschehen. Der neue
Einfluß wird nicht ein über das ganze Land plötzlich
gefühlter sein und die Eingeborenen werden noch durch
viele Generationen ihre Toten auf ganz die Weise begraben,
wie es ihre Väter taten, wahrscheinlich auch in demselben
Friedhof, auf dem auch die Eroberer ihre Toten nach
ihrer eigenen Weise beisetzten.
Naville zieht daher den Schluß, daß jeder einigermaßen
wichtige Begräbnisplatz seine eigene Geschichte hat, was
Zivilisation und Kultur betrifft. Man darf nicht generalisieren.
Solange nicht das Gegenteil bewiesen ist, muß man sagen,
daß ein zu Memphis gefundener Gegenstand, der der
vierten Dynastie zugeschrieben wird, wenn er in Assuan
zum Vorschein gekommen ist, von ganz anderem Datum
sein kann. Nie darf man glauben, daß die Modifikationen
infolge eines Dynastiewechsels sich sofort durch das ganze
langhingestreckte Land verbreiten konnten. Durch welchen
Kanal erreichten viele Veränderungen die äußersten Enden
und wielange brauchten sie dazu? Weil eine andere
Dynastie zu Memphis oder Theben auf den Thron gekommen
ist, was soll da irgend eine Dorfbewohnerin für einen
Grund haben, um die Perlen ihres Halsschmuckes oder
die Töpfe, in denen sie das Essen bereitet, von anderer
Art herstellen zu lassen oder herzustellen?
Diese Fragen erklären den Wert und das Interesse
dieses „gemischten Friedhofes“. Naville leugnet nicht,
daß in dieser Begräbnisstätte wirklich auch vordynastische
Gräber vorhanden sein können; aber ein Beweis dafür ist
nicht vorhanden. Denn das älteste Grab scheint in dem
Abydoskonzern von Gräbern, der „gemischten Grabanlage“,
nach Naville ein ägyptisches zu sein, das aus einem vier-
Orientalisches Archiv I, 22
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