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Grothe, Hugo [Bearb.]
Orientalisches Archiv: illustrierte Zeitschrift für Kunst, Kulturgeschichte u. Völkerkunde der Länder des Ostens — 1.1910/​1911

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Die Ausstellungen orientalischer Kunst des Jahres 1910.
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Die Ausstellungen orientalischer Kunst des Jahres 1910.

Die Kunst des Islam im Rahmen der
Münchener Ausstellung von Meister-
werken mohammedanischer Kunst.1
Wohl in jedem, der als Laie die Münchener Ausstellung
besuchte, wird sich ein Gefühl des Bedauerns geregt haben,
daß die Ausstellung von Meisterwerken der mo-
hammedanischen Kunst nicht zu einer Darstellung
der mohammedanischen Kunst — ihres Wesens, ihrer Ent-
faltung, ihrer Reife — geworden ist. Daß sie das nicht
wurde, liegt zum guten Teil an der Sache selbst: das
Beste der mohammedanischen Kunst ist — soweit über-
haupt noch vorhanden — unbeweglich; vieles schlummert
unter der Erde, unerkannt, in irgend einem Winkel; vieles
wurde von den Besitzern nicht zur Verfügung gestellt.
Eine Darstellung der mohammedanischen Kunst
in Objekten war somit von vornherein unmöglich. Durch-
führbar wäre nur eine Ergänzung der Objekte durch Ab-
bildungen und Modelle gewesen. Die Ausstellungsleitung
scheint diesen Weg nicht nur nicht für unwürdig, sondern
sogar für wünschenswert gehalten zu haben: in mehreren
Sälen fand man die Tafelwerke einiger Aussteller in Einzel-
blättern ausgestellt (selbst die Titelblätter), dazu kamen
Originalaufnahmen Sarres und Miehlichs von hohem
Interesse und auch ein kleines Modell von Kusair ’Amra.
Es ist schwer verständlich, warum man — trotz der Über-
windung der prinzipiellen Bedenken — nicht die Konse-
quenzen zog und auch andere Tafelwerke in einigen
Sälen ausstellte, die die verschiedenen Gebiete der mo-
hammedanischen Kunst erschlossen hätten. Dann wäre
schon in der Ausstellung zur Darstellung gekommen, was
der Vortragende nachträglich zu bieten suchte: ein Bild
des Gesamtgebäudes der mohammedanischen
Kunst und eine klare Vorstellung von der Stelle,
die die vorhandenen Objekte innerhalb oder außer-
halb des Gebäudes der mohammedanischen Kunst
einnehmen.
Selbst wenn man den Begriff mohammedanischer Kunst
im weitesten Sinne nimmt, als die Kunst, die mit dem Islam
in irgend einem inneren Zusammenhänge steht, sei es,
daß sie von ihm angeregt, gefördert, modifiziert oder auch
gehemmt worden ist, — so gab es in der Ausstellung
noch genug dessen, was außerhalb des Gebäudes der
islamischen Kunst lag. Daß die türkischen Kanonen

1 Unter diesem Titel hielt am 23. November in der Münchener Orien-
talischen Gesellschaft Prof. Hell einen Vortrag, dessen Ausführungen
hier kurz skizziert werden. Da bisher wenig selbständige Urteile über
die Ausstellung erschienen sind (als solches nenne ich das von Roger Fry
in der September- und Augustnummer 1910 des Burlington Magazine) und
unter voller Benutzung und Auswertung des Materials nur
Berichte von den Ausstellungsleitern selber vorliegen (vergl. das Doppel-
heft 8 und 9 der Zeitschrift „Kunst und Kunsthandwerk“, das speziell
die Ausstellung behandelt, und Nr. 2 und 3—4 von Beckers „Islam“),
so dürften die Hellschen Betrachtungen ohne Zweifel Interesse erwecken.
Der Herausgeber.

II.
nicht zur mohammedanischen Kunst zu rechnen sind und
die neapolitanische Figurengruppe (Saal 70) mit ihr so
wenig zu tun hatten wie die äußerst interessante Sammlung
europäischer Gemälde und Gravüren über Sujets der
orientalischen Kulturgeschichte, das mußte auch der Laie
empfinden. Derartige Objekte hätten zusammen mit den
erwähnten Illustrationswerken und evtl, mit Modellen in
eine separate, informatorische Abteilung gehört.
Streng genommen sind aber auch noch zwei andere
Gebieteder orientalischen Kunst nicht in die islamische
einzubeziehen, die in der Abteilung den größten Raum
einnehmen: die Teppiche und die persische Miniatur-
malerei. Freilich, wenn man von der mohammedanischen
Kunst in dem Sinne sprechen will, in dem die Mohamme-
daner ihrerseits die Kunst des Abendlandes (einschließlich
der „Modernen“) als christliche Kunst bezeichnen
könnten — dann gehören Teppiche und Miniaturmalerei
ihr an.
Aber es muß doch auch darauf hingewiesen werden,
daß die Teppichkunst viel älter ist als der Islam, und
daß der Islam an ihr nichts geändert hat; er hat weder
die figürlichen Darstellungen unterdrückt, noch irgend
welche mohammedanische Motive — Koransprüche oder
dergleichen — hinzugefügt. Höchstens die Andeutung
der Nische auf den „Gebetsteppichen“ kann als islamisches
Motiv angesehen werden; der Gebrauch von Gebets-
teppichen ist so alt, wie der Islam selbst. Die Teppichkunst
hat sich innerhalb des Islam ganz beeinflußt entwickelt
und wohl nicht einmal aufwärts entwickelt. Die Typen
der Jagd- und Gartenteppiche sind uralt und können auch in
vorislamischer Zeit nicht anders gewesen sein, als in manchen
ausgestellten Exemplaren des 16. und 17. Jahrhunderts.
Das einzige Verdienst des Islam um die Teppichkunst war
die Förderung des Handels und insofern auch die Ver-
breitung der Kunst nach dem Westen.
Auch die persischen Miniaturzeichnungen und Malereien
gehören im strengsten Sinne nicht zur Kunst des Islam.
Sie sind rein nationale Kunst. Das Persertum hat sich
dem Islam nur halb ergeben: in dogmatischer Beziehung
schuf es sich die Formen des Schiitismus und behauptete
sie inmitten einer orthodoxen Umgebung bis in die Gegen-
wart; auf dem Gebiet der Kunst hat es sich um kein
Bilderverbot gekümmert. Soweit sie nicht bodenständig
war, hat die persische Malerei ihre Anregungen aus der
christlich byzantinischen Welt und aus dem fernen Osten
erhalten, niemals aus dem Schoße des Islam. Und eben-
sowenig hat sie an den Islam abgegeben. Nur im gra-
phischen und ornamentalen Buchschmuck konkurrierten
die Perser erfolgreich mit den anderen islamischen Völker-
schaften.
Natürlich soll mit dieser Klarstellung des Verhältnisses
der Teppichkunst und Miniaturmalerei zur Kunst des Islam
die Bedeutung dieser Kunstzweige selbst oder der Wert
der Ausstellung nicht geschmälert werden; im Gegenteil,
es soll betont werden, daß zwei so wichtige Gebiete der

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