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G. Dehio:
überginge, die corrumpirten hässlichen verworrenen Lettern beibehalten
wollen, da doch die alten und echten in ihrer Einfachheit, Schönheit
und Majestät soviel leichter zu formen und wegen ihrer gleichen Höhe
soviel bequemer zusammenzusetzen sind. 0 dass man doch die Hand
der Drucker dazu zu zwingen vermöchte! . . . .« Nun folgen Ausein-
andersetzungen über die einzelnen Buchstaben, eine ziemlich wüste
Gelehrsamkeit, mit der ich den Leser nicht behelligen möchte. Das
Bemerkenswerthe ist, dass neben dem antiquarischen das Schönheits-
Interesse mit Nachdruck zu Worte kommt, und dass mit der Reali-
sirung der verkündeten Grundsätze gleich Ernst gemacht wird. Das
ganze Buch, der griechische Epigrammentext wie die lateinische Epistel,
ist durchweg in Gapitalen gedruckt, ohne Vergleich die bis dahin
glänzendste und nicht so bald übertroffene Leistung der jungen typo-
graphischen Kunst.
Ich wende mich dem zweiten Tractate zu. Ob derselbe auf
Anregung von Lascaris’ Sendschreiben entstanden ist oder sonst irgend-
wie in positiver Beziehung dazu steht, kann, wie gesagt, zur Zeit nicht
beantwortet werden. Dagegen steht ein anderer Weg der Untersuchung
uns offen, ich meine die Vergleichung mit den übrigen aus jener Zeit
erhaltenen Lehrschriften verwandten Inhalts. Von Schedel führt der
nächste Gedanke auf seinen grossen Mitbürger, Freund und Nachbar
Albrecht Dürer. Der den Buchstaben gewidmete Abschnitt in
dessen Buch von der »Underweysung der messung mit dem zirckel
und richtscheyt« ist allbekannt. Wir wissen jetzt, dass Dürer nicht,
wofür er lange gegolten hatte, der erste überhaupt auf dieser Bahn ist,
sondern dass er, wie in den andern, so auch in diesem Theile seiner
Kunstlehre die Arbeit seiner italienischen Vorläufer nach Kräften sich
zu nutze gemacht hat. R. Schöne, der zuletzt über diesen Gegenstand
gehandelt hat3), glaubt als Dürer’s Quelle den entsprechenden Theil
von Luca Pacioli’s, des berühmten Mathematikers, »divina proportione«
erkannt zu haben, wie seinerseits Pacioli — nach Schöne — einen
Tractat des als Inschriftensammler bekannten Felix Felicianus benuzt
hätte. Diese Behauptungen, mit so gutem Schein sie ausgesprochen
sind, gehen dennoch auf falscher Fährte. Der Eintritt des Schedel’schen
Anonymus in die Reihe der zu discutirenden Schriften4) führt zu einem
3) In der Ephemeris epigraphica I. 1872.
Der Text des Felicianus ist in Parallele mit dem betreffenden Stück von
Pacioli’s Buch von Schöne a. a. 0. abgedruckt. Zu einem deutlichen Resultate ge-
langte ich jedoch erst, als ich Gelegenheit fand, auf der Pariser Nationalbibliothek
von einem vollständigen Exemplar der ausserhalb Italiens äusserst seltenen »divina
proportione« Einsicht zu nehmen.
G. Dehio:
überginge, die corrumpirten hässlichen verworrenen Lettern beibehalten
wollen, da doch die alten und echten in ihrer Einfachheit, Schönheit
und Majestät soviel leichter zu formen und wegen ihrer gleichen Höhe
soviel bequemer zusammenzusetzen sind. 0 dass man doch die Hand
der Drucker dazu zu zwingen vermöchte! . . . .« Nun folgen Ausein-
andersetzungen über die einzelnen Buchstaben, eine ziemlich wüste
Gelehrsamkeit, mit der ich den Leser nicht behelligen möchte. Das
Bemerkenswerthe ist, dass neben dem antiquarischen das Schönheits-
Interesse mit Nachdruck zu Worte kommt, und dass mit der Reali-
sirung der verkündeten Grundsätze gleich Ernst gemacht wird. Das
ganze Buch, der griechische Epigrammentext wie die lateinische Epistel,
ist durchweg in Gapitalen gedruckt, ohne Vergleich die bis dahin
glänzendste und nicht so bald übertroffene Leistung der jungen typo-
graphischen Kunst.
Ich wende mich dem zweiten Tractate zu. Ob derselbe auf
Anregung von Lascaris’ Sendschreiben entstanden ist oder sonst irgend-
wie in positiver Beziehung dazu steht, kann, wie gesagt, zur Zeit nicht
beantwortet werden. Dagegen steht ein anderer Weg der Untersuchung
uns offen, ich meine die Vergleichung mit den übrigen aus jener Zeit
erhaltenen Lehrschriften verwandten Inhalts. Von Schedel führt der
nächste Gedanke auf seinen grossen Mitbürger, Freund und Nachbar
Albrecht Dürer. Der den Buchstaben gewidmete Abschnitt in
dessen Buch von der »Underweysung der messung mit dem zirckel
und richtscheyt« ist allbekannt. Wir wissen jetzt, dass Dürer nicht,
wofür er lange gegolten hatte, der erste überhaupt auf dieser Bahn ist,
sondern dass er, wie in den andern, so auch in diesem Theile seiner
Kunstlehre die Arbeit seiner italienischen Vorläufer nach Kräften sich
zu nutze gemacht hat. R. Schöne, der zuletzt über diesen Gegenstand
gehandelt hat3), glaubt als Dürer’s Quelle den entsprechenden Theil
von Luca Pacioli’s, des berühmten Mathematikers, »divina proportione«
erkannt zu haben, wie seinerseits Pacioli — nach Schöne — einen
Tractat des als Inschriftensammler bekannten Felix Felicianus benuzt
hätte. Diese Behauptungen, mit so gutem Schein sie ausgesprochen
sind, gehen dennoch auf falscher Fährte. Der Eintritt des Schedel’schen
Anonymus in die Reihe der zu discutirenden Schriften4) führt zu einem
3) In der Ephemeris epigraphica I. 1872.
Der Text des Felicianus ist in Parallele mit dem betreffenden Stück von
Pacioli’s Buch von Schöne a. a. 0. abgedruckt. Zu einem deutlichen Resultate ge-
langte ich jedoch erst, als ich Gelegenheit fand, auf der Pariser Nationalbibliothek
von einem vollständigen Exemplar der ausserhalb Italiens äusserst seltenen »divina
proportione« Einsicht zu nehmen.