ilhelm Schmidtbonn.
Jn dem Gedenkbuch für Wilh. Schäfer (zum
50. Geburtstng)hat Wilh. Schmidtbonn das Schaffen des
Freundes geschildert als O.ual und Erlösung, als einen
Austand, in dem die Engel anfangen zu singen, während
das Stöhnen der Teufel fich noch dagegen bäumt.
Gerade so mußte er ihn sehen, weil das der Punkt ist,
wo er mit ihm verwandt ist. Sein ganzes Schaffen ist
ein Ringen um Erlösung von quälenden Trieben, Leiden-
schaften, Wallungen, voll urtitanischem Trotz und welt-
umspannender Liebe. Jmmer wieder vermischen sich
O.ual und Erlösung, Anfang und Ende. Mit Schäser,
wie er ihn sieht und will als den Gestalter der „deutschen
Seele", liebt er und sieht er in sich und in der Welt all-
überall den „gotischen Menschen, eckig, ungebärdig, aber
voll unirdisch-gläserner Aartheit, arm scheinend und
Reichtum verschwendend, stumm und voll unterwühlen-
der, hochdrängender Inbrunst". Er ist der brünstige
Sehnsüchtige, der wilde Glückssorderer, der gegen rasende
Ichsucht den Gottesstaat des Rechts und der Liebe
ausbauende wahrhaft soziale Dichter, der aus allen
Enttäuschungen, welche der unreine Erdenmensch ihm
bereitet, sich slüchtet zur allumsassenden, allerlösenden,
ewig mit sich einigen Kreatur, der Urmutter all der
Kräste, die in uns Menschen lebendig sind, ohne sich in
glücklicher Selbstverständlichkeit entsalten zu können. Ein
latenter Austand der Ekstase waltet in jedem Werk des
Dichters, ja, man möchte sagen, in jedem Wort, in
einer gewissen bebenden Starrheit sast unbehilslich aus
den slüchtigen Leser wirkend, bis sie sich besreit zur
lodernden Flamme oder zum langsam und ties aus-
glühenden und die Gebilde seines Schöpsergeistes von
innen durchstrahlenden mystischen Feuer.
Geboren ist der Dichter an einer landschaftlichen und
volksartlichen Grenzscheide am Mittelrhein, unmittelbar
südlich von der Grenze zum Niederrheinischen, in einem
Kaufmannshause am Bonner Markt, wo das Landvolk
täglich sich einfindet, um sich mit dem Stadtvolk zu ver-
ständigen, mit den Erzeugnissen zugleich auszutauschen
seine Gedanken und Wünsche; wenige Schritte vom
alten Rhein, der nach Süden und Norden den Blick
eröffnet in zwei Welten von ursprünglichster Verschieden-
heit; stromaufwärts heitere Gegenden von romantischem
Reiz, beginnend mit der Silhouette des Siebengebirges
und an klaren Tagen sich verlierend in dustig-blauen
Andeutungen serner märchenhaster Sonnenländer, ewig
wechselnde Szenerien von fark?ger Vielsältigkeit, belebt
von unbekümmert heiteren Menschen, die, wie einer
ihrer liebenswürdigsten Darsteller, der 1901 gestorbene
Ernst Muellenbach, sagte, vor allen Dingen eines ver-
stehen, sich die drei Karnevalstage in Stückchen über das
ganze Jahr zu verteilen, die ganz dem Tag leben und
ihn täglich im Rheinweindust mit einem neuen Flimmer-
goldüberzug vergolden. Hinter den letzten Häusern der
alten Stadt aber, wo einst das römische Castrum stand
und noch heute der Straßenname des Rosentals an die
mittelalterliche Niederlassung der Freudenmädchen er-
innert, beginnt ein anderes Land. Um die Siegmündung
breitet eine stille Rheinlandschast mit ihren blassen
//
Abendstimmungen einen letzten melancholischen Aauber
über das wartende Land. Die Sehnsucht schlägt hier
mit jedem Abend von neuem ihre tausend Augen auf,
die den in die sinkende Sonne Hinabwandernden aus
nllen Büschen weitgeöffnet anblicken, sie singt dem
vom rauschlos heiteren Tag Unbefriedigten ihr leises
Lied in den Wellen des Stroms, die unbehindert über
die ungedämmten breiten Ufer gleiten, sie erlischt in
den zarten blassen Tönen des Horizonts oder sie schreit
aus in den Gluten eines blutig-flammenden Sonnen-
untergangs. Mit dieser Landschaft ist die sehnsüchtige
Seele des Knaben verwachsen. Mit ihren stilleren
tieferen Menschen mitzuleiden, mitzuwünschen, mit-
zusordern, ist ihm Schicksal und Besiimmung. Und mit
ihren Augen dichtet er das schöne Oberland um zu
einem Schlarassenland der Ersüllungen, zu einem
symbolischen Paradies. Er hat schon äußerlich nichts
von dem schlagfertigen, tanzenden und singenden
Menschenschlag des Mittelrheins, dieses dem Aufall und
dem Alltag Gewachsenen. Gedrungen und wuchtig ist
Gestalt und Gang, still und verhalten,abervollquellender
Leidenschaft und tiefer Lebenssehnsucht seine Seele, die
aus den sragenden Augen und der freien Stirn blickt.
Die lieblich-heitere Rheinlandschaft kann ihn natür-
lich nicht mehr befriedigen, wenn sie einmal, schnell
ersaßt und genossen, den symbolischen Glanz verloren
hat, den die Jugendphantasie ihr geliehen. Stille
einsame Jnseln im Meer oder die Küste der Nordsee
werden dem zu sich Erwachten bald der liebste Aufent-
halt, oder die schwer zugängliche, dem Herdenmenschen
sich verschließende erhabene Welt des Hochgebirges. Das
Ringen der lebengebärenden Urkräfte der Natur, jen-
seits von Gut und Böse,wächst ihm in die eigene Seele.
Er gibt sich ihr hin mit einer Jnbrunst, die einen
urzeitlichen und urewigen Charakter trägt, bis er sich
selbst als Baum und Busch sühlt, als Wind und Woge,
als Tier und Gott, der allbelebend in allen Dingen
wirkt. Aber diese Allheit erlebt er nicht, wie der Goethe-
sche Faust in „Wald und Höhle" als harmonisches Abbild
der in sich befriedigt ruhenden Gottheit, sondern als
einen leidenschaftlichen Kampf aller gegen alle. Aber
einen heiligen Kampf ewiger Notwendigkeit, der selbst
das Leben ist. Alles hat Recht, was lebt und wirkt.
Gott osfenbart sich im Lebensdrang und Lebenssturm.
Jeder kann dem Leben nur dadurch dienen, daß er sich
durchsetzt in seiner Art, daß er die Natur sich auswirken
läßt gegen alle starren hemmenden Schranken, die ihm
naturfremdes Wollen der naturfremd Gewordenen auf-
türmen. Jede solche individuelle Auswirkung schafft
allein das, was man das Glück nennen kann. Und
jeder Mensch wie jedes Ding der allgewaltigen Natur
hat sein Recht auf sein Glück. Seine Grenzen sindet
dieses Recht aus Glück nur da, wo es in Konflikt gerät
mit den sozialfundierten Rechten aller anderenMenschen.
Zu ihnen treibt es den Dichter, wenn er sich stark und
selbständig gemacht hat im Einswerden mit der Natur.
Dann stürzt er sich in die tobende rasende Meerflut
der leidenschaft- und sehnsuchtdurchwühlten Großstadt.
Und nun sieht er sie kämpsen um ihr Recht auf Glück.
Er erlebt in jedem den neuen Kampf gegen alle, die
anders sind und anders wollen, und er versteht ihre
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Jn dem Gedenkbuch für Wilh. Schäfer (zum
50. Geburtstng)hat Wilh. Schmidtbonn das Schaffen des
Freundes geschildert als O.ual und Erlösung, als einen
Austand, in dem die Engel anfangen zu singen, während
das Stöhnen der Teufel fich noch dagegen bäumt.
Gerade so mußte er ihn sehen, weil das der Punkt ist,
wo er mit ihm verwandt ist. Sein ganzes Schaffen ist
ein Ringen um Erlösung von quälenden Trieben, Leiden-
schaften, Wallungen, voll urtitanischem Trotz und welt-
umspannender Liebe. Jmmer wieder vermischen sich
O.ual und Erlösung, Anfang und Ende. Mit Schäser,
wie er ihn sieht und will als den Gestalter der „deutschen
Seele", liebt er und sieht er in sich und in der Welt all-
überall den „gotischen Menschen, eckig, ungebärdig, aber
voll unirdisch-gläserner Aartheit, arm scheinend und
Reichtum verschwendend, stumm und voll unterwühlen-
der, hochdrängender Inbrunst". Er ist der brünstige
Sehnsüchtige, der wilde Glückssorderer, der gegen rasende
Ichsucht den Gottesstaat des Rechts und der Liebe
ausbauende wahrhaft soziale Dichter, der aus allen
Enttäuschungen, welche der unreine Erdenmensch ihm
bereitet, sich slüchtet zur allumsassenden, allerlösenden,
ewig mit sich einigen Kreatur, der Urmutter all der
Kräste, die in uns Menschen lebendig sind, ohne sich in
glücklicher Selbstverständlichkeit entsalten zu können. Ein
latenter Austand der Ekstase waltet in jedem Werk des
Dichters, ja, man möchte sagen, in jedem Wort, in
einer gewissen bebenden Starrheit sast unbehilslich aus
den slüchtigen Leser wirkend, bis sie sich besreit zur
lodernden Flamme oder zum langsam und ties aus-
glühenden und die Gebilde seines Schöpsergeistes von
innen durchstrahlenden mystischen Feuer.
Geboren ist der Dichter an einer landschaftlichen und
volksartlichen Grenzscheide am Mittelrhein, unmittelbar
südlich von der Grenze zum Niederrheinischen, in einem
Kaufmannshause am Bonner Markt, wo das Landvolk
täglich sich einfindet, um sich mit dem Stadtvolk zu ver-
ständigen, mit den Erzeugnissen zugleich auszutauschen
seine Gedanken und Wünsche; wenige Schritte vom
alten Rhein, der nach Süden und Norden den Blick
eröffnet in zwei Welten von ursprünglichster Verschieden-
heit; stromaufwärts heitere Gegenden von romantischem
Reiz, beginnend mit der Silhouette des Siebengebirges
und an klaren Tagen sich verlierend in dustig-blauen
Andeutungen serner märchenhaster Sonnenländer, ewig
wechselnde Szenerien von fark?ger Vielsältigkeit, belebt
von unbekümmert heiteren Menschen, die, wie einer
ihrer liebenswürdigsten Darsteller, der 1901 gestorbene
Ernst Muellenbach, sagte, vor allen Dingen eines ver-
stehen, sich die drei Karnevalstage in Stückchen über das
ganze Jahr zu verteilen, die ganz dem Tag leben und
ihn täglich im Rheinweindust mit einem neuen Flimmer-
goldüberzug vergolden. Hinter den letzten Häusern der
alten Stadt aber, wo einst das römische Castrum stand
und noch heute der Straßenname des Rosentals an die
mittelalterliche Niederlassung der Freudenmädchen er-
innert, beginnt ein anderes Land. Um die Siegmündung
breitet eine stille Rheinlandschast mit ihren blassen
//
Abendstimmungen einen letzten melancholischen Aauber
über das wartende Land. Die Sehnsucht schlägt hier
mit jedem Abend von neuem ihre tausend Augen auf,
die den in die sinkende Sonne Hinabwandernden aus
nllen Büschen weitgeöffnet anblicken, sie singt dem
vom rauschlos heiteren Tag Unbefriedigten ihr leises
Lied in den Wellen des Stroms, die unbehindert über
die ungedämmten breiten Ufer gleiten, sie erlischt in
den zarten blassen Tönen des Horizonts oder sie schreit
aus in den Gluten eines blutig-flammenden Sonnen-
untergangs. Mit dieser Landschaft ist die sehnsüchtige
Seele des Knaben verwachsen. Mit ihren stilleren
tieferen Menschen mitzuleiden, mitzuwünschen, mit-
zusordern, ist ihm Schicksal und Besiimmung. Und mit
ihren Augen dichtet er das schöne Oberland um zu
einem Schlarassenland der Ersüllungen, zu einem
symbolischen Paradies. Er hat schon äußerlich nichts
von dem schlagfertigen, tanzenden und singenden
Menschenschlag des Mittelrheins, dieses dem Aufall und
dem Alltag Gewachsenen. Gedrungen und wuchtig ist
Gestalt und Gang, still und verhalten,abervollquellender
Leidenschaft und tiefer Lebenssehnsucht seine Seele, die
aus den sragenden Augen und der freien Stirn blickt.
Die lieblich-heitere Rheinlandschaft kann ihn natür-
lich nicht mehr befriedigen, wenn sie einmal, schnell
ersaßt und genossen, den symbolischen Glanz verloren
hat, den die Jugendphantasie ihr geliehen. Stille
einsame Jnseln im Meer oder die Küste der Nordsee
werden dem zu sich Erwachten bald der liebste Aufent-
halt, oder die schwer zugängliche, dem Herdenmenschen
sich verschließende erhabene Welt des Hochgebirges. Das
Ringen der lebengebärenden Urkräfte der Natur, jen-
seits von Gut und Böse,wächst ihm in die eigene Seele.
Er gibt sich ihr hin mit einer Jnbrunst, die einen
urzeitlichen und urewigen Charakter trägt, bis er sich
selbst als Baum und Busch sühlt, als Wind und Woge,
als Tier und Gott, der allbelebend in allen Dingen
wirkt. Aber diese Allheit erlebt er nicht, wie der Goethe-
sche Faust in „Wald und Höhle" als harmonisches Abbild
der in sich befriedigt ruhenden Gottheit, sondern als
einen leidenschaftlichen Kampf aller gegen alle. Aber
einen heiligen Kampf ewiger Notwendigkeit, der selbst
das Leben ist. Alles hat Recht, was lebt und wirkt.
Gott osfenbart sich im Lebensdrang und Lebenssturm.
Jeder kann dem Leben nur dadurch dienen, daß er sich
durchsetzt in seiner Art, daß er die Natur sich auswirken
läßt gegen alle starren hemmenden Schranken, die ihm
naturfremdes Wollen der naturfremd Gewordenen auf-
türmen. Jede solche individuelle Auswirkung schafft
allein das, was man das Glück nennen kann. Und
jeder Mensch wie jedes Ding der allgewaltigen Natur
hat sein Recht auf sein Glück. Seine Grenzen sindet
dieses Recht aus Glück nur da, wo es in Konflikt gerät
mit den sozialfundierten Rechten aller anderenMenschen.
Zu ihnen treibt es den Dichter, wenn er sich stark und
selbständig gemacht hat im Einswerden mit der Natur.
Dann stürzt er sich in die tobende rasende Meerflut
der leidenschaft- und sehnsuchtdurchwühlten Großstadt.
Und nun sieht er sie kämpsen um ihr Recht auf Glück.
Er erlebt in jedem den neuen Kampf gegen alle, die
anders sind und anders wollen, und er versteht ihre
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