Richard Dehrnel
eben diese Handlung war seine Schwäche. So verdankte
Richard Dehmel seine endliche Anerkennung einem
Jrrtum; die Gedichte des Mannes hatten den Bürger
entsetzt und seine Sprache war ihm ein Hohn gewesen;
nun ahnte er etwas von großer Feierlichkeit, von er-
habenem Schwung, von philosophischer Gebärde: er sah
seine Jdeale erfüllt und Richard Dehmel konnte eingehen
in den Gnadenkreis seiner Dichter.
Er hat seitdem kaum Neues geschaffen, d. h. er hat
seinem Bild keine wesentlichen Aüge mehr hinzugefügt;
er hat eine Auswahl seiner Gedichte zuerst billig, dann
teurer ins Volk bringen, er hat zu seinem fünfzigsten
Geburtstag eine zehnbändige Gesamtausgabe und nach-
her eine dreibändige Auswahl auf den Weihnachtstisch
geben können; er ist das geworden, was man einen
berühmten Dichter nennt, aber was seine inbrünstige
Sehnsucht war, Stimme des Volkes zu sein, ist ihm
nicht gelungen; auch seine mit hartnäckiger Leidenschaft
betriebene dramatische Tätigkeit hat ihm weder Wirkung
noch Geltung gebracht. Er war durch seine Anerkennung
gewissermaßen verkapselt, und die Jugend, so unbesorgt
sie mit seinem Kalb pflügte, glaubte schon über die
Achsel nach ihm zurücksehen zu können, als ihm der
Weltkrieg endlich den Eingang in das Herz seines Volkes
zu ösfnen schien.
Er ging in sein einundfünfzigstes Jahr und war
schon eisgrau, als er sich freiwillig meldete. Es war eine
tapfere Tat und ein Sinnbild, auch schien es, als ob
sie so verstanden würde. Seine Kriegsgedichte, zum Teil
von großer Schönheit, kamen wirklich ins Volk und bei
seiner Kompagnie wurde Papa Dehmel anscheinend
eine geliebte Persönlichkeit. Gelegenheit, Tat und Geste
schienen einander zu decken, und doch blieb auch diesmal
die Wirkung aus. Wer sein „Kriegstagebuch" gelesen
hat, weiß warum. Weder die äußere noch die innere
Heerführung Deutschlands konnte den Dichter und sein
Sinnbild brauchen; der mit dem „Blumenstrauß am
Gewehr" nach Frankreich fuhr, kehrte verbittert und
gedemütigt in den „Heimatdienst" der Kaserne zurück,
um zornig aufbegehrend den Ausammenbruch zu erleben.
Seitdem war er eine flackernde Flamme, die eine
schleichende Krankheit ausblies. Auf dem Schlachtfeld
hatte ihn der Tod nicht gewollt, als ob er ihm den
heldischen Abbruch der Geste nicht gönnte, er holte ihn
tückisch heim, wie er so manches Opfer des Krieges
unter der Hand einsammelte.
Nun geschah es zwar, daß die Aeitungen ihm rühm-
liche Worte nachriefen, auch trauerte ein Kreis treuer
Freunde um ihn; aber wer seine Sache kühl und ehrlich
besah, mußte erkennen, daß jenes Beileidstelegramm
des Kanzlers doch die Wirklichkeit seiner Wirkung um-
grenzte. Ein paar Lieder, an den Arbeiter gedichtet — an
seinem Gesamtwerk gemessen, nur Kleinigkeiten — hatten
ihm Wirkung und Liebe gebracht, wie er sie ersehnte.
So ging er als sozialer Dichter aus der Welt, der mit
Inbrunst das Gegenteil gewesen war, der sein einziges
Menschentum gegen Gott und die Welt gestellt hatte,
der allein für sich um Erlösung rang und dessen einzige
sozrale Verbindung mit der Menschheit war, daß er sich
fühlte, daß er als Sinnbild Stimme des
B-lke« werden wollte. R-inl,old Treu.
anfted und Meliur.
Von Paul Ernst.
Ein König war im Lande Erkeldun.
Awölf Söhne hatt' er. Aus dem Haus geflohn
Elf sind wie Schwalben aus dem Neste. Nun
Blieb ihm im Hause noch der zwölfte Sohn.
Manfred, so hieß er, vor den Vater trat,
Strich aus der Stirn die Locken sich und bat:
„Gib mir den Ritterschlag und laß mich reiten;
Sie finden Ehr und Ruhm; auch ich will streiten."
Der Mutter wird das Auge feucht; sie legt
Die Hand leicht auf des Vaters Arm und fleht
Mit stummem Blick. Der Vater unbewegt
Schaut auf den Sohn, der lachend vor ihm steht;
O.uer überm Stuhle liegt sein Schwert; er zieht;
Manfred nun ernst vor seinem Schemel kniet;
Im Namen Gottes und der heil'gen Dinge
Gibt er den Schlag ihm mit der flachen Klinge.
Manfred erhebt sich. Vater, Mutter stehn.
Der Vater auf die Stirn den Kuß ihm drückt.
Der Mutter wagt er nicht ins Aug zu sehn;
Er weiß, sie weint; und wie er still sich bückt,
Und sie ihn zitternd küßt, da fühlt er heiß
Jm Haar der Mutter Träne. Freundlich winkt
Der Vater ihm. An hohen Wänden blinkt
Rüstung gehängt bei Rüstung, nicht zu zählen;
Der Vater lächelt, und der Sohn darf wählen.
Seit Jahren hat er schon gewählt. Er eilt
Mit sicherm Fuß auf eine zu und zeigt.
Der König folgt, und streicht den Bart, und weilt,
Blickt sinnend ihm ins Auge dann und neigt
Sein Haupt gewährend. Aitternd löst die Hand
Manfreds die schweren Waffen von der Wand.
Jn grauen Ieiten waren sie des Ahnen,
Der sie geführt auf märchenhaften Bahnen.
Die Königin die Hände faltend spricht:
„Nur eine Woche noch". Er prüft verstört
Riemwerk, Gelenk und Ketten, hört sie nicht;
„Die Lanze weiß ich, die dazu gehört",
Sagt er zum König, läuft davon im Sturm
Und schleppt sie an: „Sieh nur, nicht einen Wurm
Schwer war die Lanze, seine Rippen keuchten;
Der König prüft, des Sohnes Augen leuchten.
Nun zieht er fort. Still wird's im Königshaus,
Die beiden alten Leute sind allein.
Vor seinen Blicken breitet weit sich aus
Die Welt mit Wiese, Feld und Sonnenschein.
Zu einem Walde leitet ihn sein Pfad.
Baumriesen stehn am Eingang. Wie er naht,
Zum Angriff richtet Lanze er und Zügel,
Dann lacht er auf und sitzt zurück im Bügel.
Ein weiter Saal mit Säulen hoch und dick
Dehnt sich der Wald, die Aweige dicht verschränkt;
Verloren ab und zu ein Sonnenblick
Auf Leberblümchen sich und Weißstern senkt;
Aus faulem Laub ein bitter Düften dringt,
Das Wurzelwerk sich wunderlich verschlingt;
Der Wald ist still, wie Atem angehalten,
Und Manfred ist's, er muß die Hände falten.
Draußen ist Mittag in der Welt und brennt
Die Sonne heiß vom Himmel; kühl und rein
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eben diese Handlung war seine Schwäche. So verdankte
Richard Dehmel seine endliche Anerkennung einem
Jrrtum; die Gedichte des Mannes hatten den Bürger
entsetzt und seine Sprache war ihm ein Hohn gewesen;
nun ahnte er etwas von großer Feierlichkeit, von er-
habenem Schwung, von philosophischer Gebärde: er sah
seine Jdeale erfüllt und Richard Dehmel konnte eingehen
in den Gnadenkreis seiner Dichter.
Er hat seitdem kaum Neues geschaffen, d. h. er hat
seinem Bild keine wesentlichen Aüge mehr hinzugefügt;
er hat eine Auswahl seiner Gedichte zuerst billig, dann
teurer ins Volk bringen, er hat zu seinem fünfzigsten
Geburtstag eine zehnbändige Gesamtausgabe und nach-
her eine dreibändige Auswahl auf den Weihnachtstisch
geben können; er ist das geworden, was man einen
berühmten Dichter nennt, aber was seine inbrünstige
Sehnsucht war, Stimme des Volkes zu sein, ist ihm
nicht gelungen; auch seine mit hartnäckiger Leidenschaft
betriebene dramatische Tätigkeit hat ihm weder Wirkung
noch Geltung gebracht. Er war durch seine Anerkennung
gewissermaßen verkapselt, und die Jugend, so unbesorgt
sie mit seinem Kalb pflügte, glaubte schon über die
Achsel nach ihm zurücksehen zu können, als ihm der
Weltkrieg endlich den Eingang in das Herz seines Volkes
zu ösfnen schien.
Er ging in sein einundfünfzigstes Jahr und war
schon eisgrau, als er sich freiwillig meldete. Es war eine
tapfere Tat und ein Sinnbild, auch schien es, als ob
sie so verstanden würde. Seine Kriegsgedichte, zum Teil
von großer Schönheit, kamen wirklich ins Volk und bei
seiner Kompagnie wurde Papa Dehmel anscheinend
eine geliebte Persönlichkeit. Gelegenheit, Tat und Geste
schienen einander zu decken, und doch blieb auch diesmal
die Wirkung aus. Wer sein „Kriegstagebuch" gelesen
hat, weiß warum. Weder die äußere noch die innere
Heerführung Deutschlands konnte den Dichter und sein
Sinnbild brauchen; der mit dem „Blumenstrauß am
Gewehr" nach Frankreich fuhr, kehrte verbittert und
gedemütigt in den „Heimatdienst" der Kaserne zurück,
um zornig aufbegehrend den Ausammenbruch zu erleben.
Seitdem war er eine flackernde Flamme, die eine
schleichende Krankheit ausblies. Auf dem Schlachtfeld
hatte ihn der Tod nicht gewollt, als ob er ihm den
heldischen Abbruch der Geste nicht gönnte, er holte ihn
tückisch heim, wie er so manches Opfer des Krieges
unter der Hand einsammelte.
Nun geschah es zwar, daß die Aeitungen ihm rühm-
liche Worte nachriefen, auch trauerte ein Kreis treuer
Freunde um ihn; aber wer seine Sache kühl und ehrlich
besah, mußte erkennen, daß jenes Beileidstelegramm
des Kanzlers doch die Wirklichkeit seiner Wirkung um-
grenzte. Ein paar Lieder, an den Arbeiter gedichtet — an
seinem Gesamtwerk gemessen, nur Kleinigkeiten — hatten
ihm Wirkung und Liebe gebracht, wie er sie ersehnte.
So ging er als sozialer Dichter aus der Welt, der mit
Inbrunst das Gegenteil gewesen war, der sein einziges
Menschentum gegen Gott und die Welt gestellt hatte,
der allein für sich um Erlösung rang und dessen einzige
sozrale Verbindung mit der Menschheit war, daß er sich
fühlte, daß er als Sinnbild Stimme des
B-lke« werden wollte. R-inl,old Treu.
anfted und Meliur.
Von Paul Ernst.
Ein König war im Lande Erkeldun.
Awölf Söhne hatt' er. Aus dem Haus geflohn
Elf sind wie Schwalben aus dem Neste. Nun
Blieb ihm im Hause noch der zwölfte Sohn.
Manfred, so hieß er, vor den Vater trat,
Strich aus der Stirn die Locken sich und bat:
„Gib mir den Ritterschlag und laß mich reiten;
Sie finden Ehr und Ruhm; auch ich will streiten."
Der Mutter wird das Auge feucht; sie legt
Die Hand leicht auf des Vaters Arm und fleht
Mit stummem Blick. Der Vater unbewegt
Schaut auf den Sohn, der lachend vor ihm steht;
O.uer überm Stuhle liegt sein Schwert; er zieht;
Manfred nun ernst vor seinem Schemel kniet;
Im Namen Gottes und der heil'gen Dinge
Gibt er den Schlag ihm mit der flachen Klinge.
Manfred erhebt sich. Vater, Mutter stehn.
Der Vater auf die Stirn den Kuß ihm drückt.
Der Mutter wagt er nicht ins Aug zu sehn;
Er weiß, sie weint; und wie er still sich bückt,
Und sie ihn zitternd küßt, da fühlt er heiß
Jm Haar der Mutter Träne. Freundlich winkt
Der Vater ihm. An hohen Wänden blinkt
Rüstung gehängt bei Rüstung, nicht zu zählen;
Der Vater lächelt, und der Sohn darf wählen.
Seit Jahren hat er schon gewählt. Er eilt
Mit sicherm Fuß auf eine zu und zeigt.
Der König folgt, und streicht den Bart, und weilt,
Blickt sinnend ihm ins Auge dann und neigt
Sein Haupt gewährend. Aitternd löst die Hand
Manfreds die schweren Waffen von der Wand.
Jn grauen Ieiten waren sie des Ahnen,
Der sie geführt auf märchenhaften Bahnen.
Die Königin die Hände faltend spricht:
„Nur eine Woche noch". Er prüft verstört
Riemwerk, Gelenk und Ketten, hört sie nicht;
„Die Lanze weiß ich, die dazu gehört",
Sagt er zum König, läuft davon im Sturm
Und schleppt sie an: „Sieh nur, nicht einen Wurm
Schwer war die Lanze, seine Rippen keuchten;
Der König prüft, des Sohnes Augen leuchten.
Nun zieht er fort. Still wird's im Königshaus,
Die beiden alten Leute sind allein.
Vor seinen Blicken breitet weit sich aus
Die Welt mit Wiese, Feld und Sonnenschein.
Zu einem Walde leitet ihn sein Pfad.
Baumriesen stehn am Eingang. Wie er naht,
Zum Angriff richtet Lanze er und Zügel,
Dann lacht er auf und sitzt zurück im Bügel.
Ein weiter Saal mit Säulen hoch und dick
Dehnt sich der Wald, die Aweige dicht verschränkt;
Verloren ab und zu ein Sonnenblick
Auf Leberblümchen sich und Weißstern senkt;
Aus faulem Laub ein bitter Düften dringt,
Das Wurzelwerk sich wunderlich verschlingt;
Der Wald ist still, wie Atem angehalten,
Und Manfred ist's, er muß die Hände falten.
Draußen ist Mittag in der Welt und brennt
Die Sonne heiß vom Himmel; kühl und rein
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