Das Hündchen Kors und Napoleon der Große.
Ja, eine Entschuldigung war in dieser Rede aus-
gesprochen, nämlich so, wie einer etwa sich entschuldigte,
indem er dem andern die Pistole auf die Brust setzte.
Der mit allen Bitterkeiten gekränkte Papst fühlte es
nicht anders. Doch er zuckte mit keiner Wimper. Der
ehemalige Benediktinermönch hatte sich oft schwach er-
wiesen auf seiner dornenvollen Laufbahn; doch hatte es
ihm in seinem Leben auch nicht an Augenblicken gefehlt,
wo er den Eindruck machte wie einer, in dem der Geist
der Stärke wohnt. Ein solcher Augenblick war ihm jetzt
beschert.
„Ich hatte bereits die Ehre," antwortete er kühl,
„Eurer kaiserlichen Majestät keinen Iweifel zu lassen
über die Festigkeit meines Entschlusses in dieser Sache."
„Sie verweigern sich also rundweg mir entgegen-
zukommen," polterte Napoleon heraus, „Sie maßen sich
an, meine bestgemeinten Absichten zu durchkreuzen."-
Der Papst ließ sich auch damit nicht aus seiner kalt-
blütigen Ruhe bringen.
„Ich kann nicht," sagte er mit fast ersterbender
Stimme, denn seine körperlichen Kräfte schienen ihn
immer mehr zu verlassen; „ich kann nicht eine Ver-
sammlung eröffnen, die gegen meine eigenen klaren
Verbote Zusammentritt. Ich allein bin von Gott gesetzt,
Bischöfe zu ernennen und zu berufen, in Frankreich wie
in allen Ländern der Erde."
„Und ich bin natürlich ein Nichts neben Euch,"
spottete der Imperator.
„Du bist der siegreiche Cäsar," sprach der Papst feier-
lich, „der Nachfolger des großen Konstantin und des noch
größeren Karl. Alle weltlichen Angelegenheiten magst
du schlichten und ordnen mit deiner mächtigen Hand,
und Wir sind gern bereit, dir so weit helfend zur Seite
zu stehen. Aber darüber hinaus gibt es Gebiete, wo deine
Macht nicht hinreicht, wo ..."
„Chiaramonti!" schrie Napoleon, seines Iornes nicht
mehr mächtig.
Um dem Papst zu zeigen, wie wenig er sich aus ihm
mache — seine siegreichen Feinde haben es später so mit
ihm selber gehalten —, hatte er den Papst herabsetzend
bei seinem Familiennamen genannt. Aber der an sich
ehrenwerte Name, der jedoch im Munde Napoleons wie
eine Ohrfeige wirken sollte, war kaum hervorgestoßcn,
da geschah etwas ganz Entsetzliches (wie es der schon
genannte große Weimaraner gewiß empfunden hätte)
oder auch etwas sehr Komisches; denn oie großen und
kleinen Ereignisse der Weltgeschichte spiegeln sich ver-
schieden in den Gehirnen, je nach dem Standpunkt,
äußeren oder inneren, des Betrachters, oder auch der
Beschaffenheit seiner Augen.
Also komisch oder entsetzlich: der Täter war jedenfalls
der kleine Kors. Über die Anrede „Chiaramonti" würde
Versieh wohl nicht weiter empört haben; aber die Rechte
des Soldatenkaisers hatte im gleichen Augenblick ihren
Ort in dem Brustlatz verlassen, und wie zum Schlag aus-
holend — er war bekanntlich in der Wut zu allem fähig —
war er gegen den Papst vorgestürzt.
Eine augenblickliche Bewegung war es gewesen.
Schon in der nächsten Sekunde aber wich der Kaiser
jäh und mit einem erschrockenen „Ah!" bereits wieder
einen halben Schritt zurück.
Und das hatte das Hündchen Kors bewirkt, so klein
es war. Die Gefahr, die seinem geliebten Herrn drohte,
und vielleicht auch ein wenig der eigene Schrecken hatten
ihm einen über Wuchs und Kraft hinausgehenden Mut
eingeflößt; damit war der Hund an dem sich nieder-
bückenden Kaiser mit den kurzen Beinen emporgesprun-
gen, und im Nu war da das Entsetzliche — oder das
Komische geschehen.
Selbstverständlich trug der französische Cäsar, im
Unterschied zu dem Römer dieses Namens, zwischen dem
vielgenannten grünen Soldatenrock und seinen Kanonen-
stiefeln noch ein anderes Kleidungsstück am Körper, weiß
von Farbe und, wie es damals die Mode forderte, an
der Vorderseite mit einer sinnreichen Einrichtung ver-
sehen, die an ihrem oberen breiteren Ende beiderseits
mit einem Knopf befestigt zu werden pflegte. Nun ist
eine gewisse Eigentümlichkeit Napoleons allgemein be-
kannt, darin bestehend, daß er beim Auskleiden, seinem
ganzen Wesen und upgestümen Temperament ent-
sprechend, sich nie zum ruhigen Aufknöpfen die Geduld
nahm, sondern sich die Kleider nur so aufriß und herunter-
riß, mochte aus den Haften und sonstigem werden, was
da wollte: also daß vielleicht einer von den goldenen
Knöpfen, wovon eben die Rede war, bereits etwas
zweifelhaft am Faden hielt, und das mag für das schauer-
liche Majestätsverbrechen (crimen luesue Najestatis) des
sonst so harmlosen Hündchens Kors ein mildernder Um-
stand sein.
Darin nämlich bestand seine Untat: es war mit seinen
feinen Jähnchen an die genannte Vorrichtung gefahren,
und darüber war der eine der genannten goldenen
Knöpfe abgerissen . . .
Ob nun Chiaramonti, wie Napoleon ihn zu nennen
beliebte, oder Pius der Siebente, wie er in der Welt-
geschichte heißt, hier trotz Würde und Ernst des Augen-
blicks ein Lächeln doch nicht zu unterdrücken vermocht
hat, darüber schweigt die Geschichte. Wenn sich ihm ein
solches aber wirklich in etwas unvorsichtiger Weise auf
den schmalen und verhärmten Lippen hervorgewagt
haben sollte, ist es gewiß, gleich einer halbgeöffneten
Blütenknospe im eisigen Hauch eines bösen Nordsturms,
sofort erstarrt und erfroren im Wutblick des fast lächerlich
verletzten Cäsars. Dessen Grimm — man sieht, der
Mensch hatte nicht ein Fünkchen Humor — war ins
Maßlose angeschwollen, mit einem Griff wie ein Lämmer-
geier aus der Höhe, erfaßte seine Hand, die dennoch nichts
weniger als den Fängen eines Raubvogels glich, son-
dern, klein und weiß, fast einer Kinderhand ähnelte —
erfaßte diese zierliche Hand das noch zierlichere Hündchen
im Nacken; auf einen Druck seiner Linken öffnete sich
in einem der Riesenfenster des Gemachs eine Umklapp-
scheibe, die man dortzuland Spagnoletten nennt, ein
Ruck des kaiserlichen Arms und das unglückliche Hünd-
chen flog — es hatte leider keine Flügel — eine gute
Strecke in wirbelnder Bewegung wagerecht hinaus und
dann in die Tiefe aus einer Höhe von mehr als hundert
Klaftern . . .
„Majestät!" Flehentlich hatte der Papst die Hände
erhoben; es war bereits zu spät, und voll Entsetzen
blickten seine sonst so milden Augen nach dem fürchter-
lichen Korsen.
Ja, eine Entschuldigung war in dieser Rede aus-
gesprochen, nämlich so, wie einer etwa sich entschuldigte,
indem er dem andern die Pistole auf die Brust setzte.
Der mit allen Bitterkeiten gekränkte Papst fühlte es
nicht anders. Doch er zuckte mit keiner Wimper. Der
ehemalige Benediktinermönch hatte sich oft schwach er-
wiesen auf seiner dornenvollen Laufbahn; doch hatte es
ihm in seinem Leben auch nicht an Augenblicken gefehlt,
wo er den Eindruck machte wie einer, in dem der Geist
der Stärke wohnt. Ein solcher Augenblick war ihm jetzt
beschert.
„Ich hatte bereits die Ehre," antwortete er kühl,
„Eurer kaiserlichen Majestät keinen Iweifel zu lassen
über die Festigkeit meines Entschlusses in dieser Sache."
„Sie verweigern sich also rundweg mir entgegen-
zukommen," polterte Napoleon heraus, „Sie maßen sich
an, meine bestgemeinten Absichten zu durchkreuzen."-
Der Papst ließ sich auch damit nicht aus seiner kalt-
blütigen Ruhe bringen.
„Ich kann nicht," sagte er mit fast ersterbender
Stimme, denn seine körperlichen Kräfte schienen ihn
immer mehr zu verlassen; „ich kann nicht eine Ver-
sammlung eröffnen, die gegen meine eigenen klaren
Verbote Zusammentritt. Ich allein bin von Gott gesetzt,
Bischöfe zu ernennen und zu berufen, in Frankreich wie
in allen Ländern der Erde."
„Und ich bin natürlich ein Nichts neben Euch,"
spottete der Imperator.
„Du bist der siegreiche Cäsar," sprach der Papst feier-
lich, „der Nachfolger des großen Konstantin und des noch
größeren Karl. Alle weltlichen Angelegenheiten magst
du schlichten und ordnen mit deiner mächtigen Hand,
und Wir sind gern bereit, dir so weit helfend zur Seite
zu stehen. Aber darüber hinaus gibt es Gebiete, wo deine
Macht nicht hinreicht, wo ..."
„Chiaramonti!" schrie Napoleon, seines Iornes nicht
mehr mächtig.
Um dem Papst zu zeigen, wie wenig er sich aus ihm
mache — seine siegreichen Feinde haben es später so mit
ihm selber gehalten —, hatte er den Papst herabsetzend
bei seinem Familiennamen genannt. Aber der an sich
ehrenwerte Name, der jedoch im Munde Napoleons wie
eine Ohrfeige wirken sollte, war kaum hervorgestoßcn,
da geschah etwas ganz Entsetzliches (wie es der schon
genannte große Weimaraner gewiß empfunden hätte)
oder auch etwas sehr Komisches; denn oie großen und
kleinen Ereignisse der Weltgeschichte spiegeln sich ver-
schieden in den Gehirnen, je nach dem Standpunkt,
äußeren oder inneren, des Betrachters, oder auch der
Beschaffenheit seiner Augen.
Also komisch oder entsetzlich: der Täter war jedenfalls
der kleine Kors. Über die Anrede „Chiaramonti" würde
Versieh wohl nicht weiter empört haben; aber die Rechte
des Soldatenkaisers hatte im gleichen Augenblick ihren
Ort in dem Brustlatz verlassen, und wie zum Schlag aus-
holend — er war bekanntlich in der Wut zu allem fähig —
war er gegen den Papst vorgestürzt.
Eine augenblickliche Bewegung war es gewesen.
Schon in der nächsten Sekunde aber wich der Kaiser
jäh und mit einem erschrockenen „Ah!" bereits wieder
einen halben Schritt zurück.
Und das hatte das Hündchen Kors bewirkt, so klein
es war. Die Gefahr, die seinem geliebten Herrn drohte,
und vielleicht auch ein wenig der eigene Schrecken hatten
ihm einen über Wuchs und Kraft hinausgehenden Mut
eingeflößt; damit war der Hund an dem sich nieder-
bückenden Kaiser mit den kurzen Beinen emporgesprun-
gen, und im Nu war da das Entsetzliche — oder das
Komische geschehen.
Selbstverständlich trug der französische Cäsar, im
Unterschied zu dem Römer dieses Namens, zwischen dem
vielgenannten grünen Soldatenrock und seinen Kanonen-
stiefeln noch ein anderes Kleidungsstück am Körper, weiß
von Farbe und, wie es damals die Mode forderte, an
der Vorderseite mit einer sinnreichen Einrichtung ver-
sehen, die an ihrem oberen breiteren Ende beiderseits
mit einem Knopf befestigt zu werden pflegte. Nun ist
eine gewisse Eigentümlichkeit Napoleons allgemein be-
kannt, darin bestehend, daß er beim Auskleiden, seinem
ganzen Wesen und upgestümen Temperament ent-
sprechend, sich nie zum ruhigen Aufknöpfen die Geduld
nahm, sondern sich die Kleider nur so aufriß und herunter-
riß, mochte aus den Haften und sonstigem werden, was
da wollte: also daß vielleicht einer von den goldenen
Knöpfen, wovon eben die Rede war, bereits etwas
zweifelhaft am Faden hielt, und das mag für das schauer-
liche Majestätsverbrechen (crimen luesue Najestatis) des
sonst so harmlosen Hündchens Kors ein mildernder Um-
stand sein.
Darin nämlich bestand seine Untat: es war mit seinen
feinen Jähnchen an die genannte Vorrichtung gefahren,
und darüber war der eine der genannten goldenen
Knöpfe abgerissen . . .
Ob nun Chiaramonti, wie Napoleon ihn zu nennen
beliebte, oder Pius der Siebente, wie er in der Welt-
geschichte heißt, hier trotz Würde und Ernst des Augen-
blicks ein Lächeln doch nicht zu unterdrücken vermocht
hat, darüber schweigt die Geschichte. Wenn sich ihm ein
solches aber wirklich in etwas unvorsichtiger Weise auf
den schmalen und verhärmten Lippen hervorgewagt
haben sollte, ist es gewiß, gleich einer halbgeöffneten
Blütenknospe im eisigen Hauch eines bösen Nordsturms,
sofort erstarrt und erfroren im Wutblick des fast lächerlich
verletzten Cäsars. Dessen Grimm — man sieht, der
Mensch hatte nicht ein Fünkchen Humor — war ins
Maßlose angeschwollen, mit einem Griff wie ein Lämmer-
geier aus der Höhe, erfaßte seine Hand, die dennoch nichts
weniger als den Fängen eines Raubvogels glich, son-
dern, klein und weiß, fast einer Kinderhand ähnelte —
erfaßte diese zierliche Hand das noch zierlichere Hündchen
im Nacken; auf einen Druck seiner Linken öffnete sich
in einem der Riesenfenster des Gemachs eine Umklapp-
scheibe, die man dortzuland Spagnoletten nennt, ein
Ruck des kaiserlichen Arms und das unglückliche Hünd-
chen flog — es hatte leider keine Flügel — eine gute
Strecke in wirbelnder Bewegung wagerecht hinaus und
dann in die Tiefe aus einer Höhe von mehr als hundert
Klaftern . . .
„Majestät!" Flehentlich hatte der Papst die Hände
erhoben; es war bereits zu spät, und voll Entsetzen
blickten seine sonst so milden Augen nach dem fürchter-
lichen Korsen.