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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 31.1921

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Heft 4
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Knapp, Albert: Anton Bruckner: zum Verständnis seiner Persönlichkeit und seiner Werke
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https://doi.org/10.11588/diglit.26485#0188

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Anton Bruckner.

D-Moll angenommen hat. Spater hat Wagner von dem
Symphoniker Bruckner gerühmt, daß er der einzige sei,
„dessen Gedanken bis zu Beethoven heranreichen".
Alle, die zu Hugo Wolf in persönliche Beziehungen
zu treten das Glück hatten, sind Jeugen seiner enthu-
siastischen Verehrung für Bruckner gewesen. 1884 mit
Bruckner persönlich bekannt geworden bezeichnete er ihn
als den „Meister", als den „Titanen im Kampf mit den
Göttern", als „den einzigen unter den Lebenden, vor
dem ich mich beuge"; er konnte unermüdlich stunden- und
tagelang die Klavierbearbeitungen der Symphonien Vor-
spielen, um die Herrlichkeiten derselben seinen Freunden
zu offenbaren.
Man sollte denken, daß das Zeugnis dieser drei größten
Musikheroen unter den Jeitgenosscn genügt hätte, uni
Bruckner den unbestrittenen Meisterbrief zu seinen Leb-
zeiten zu sichern. In Wirklichkeit ist er trotz der begeister-
ten Aufnahme, die er bei einer kleinen Gemeinde seiner
Verehrer und Schüler gesunden hat, gerade bei der
herrschenden Wiener Kritik und bei der Mehrzahl der
Berufsmusiker schroffster Ablehnung und häufig genug
feindseliger Verurteilung und Verhöhnung begegnet.
Weingartner hat vor etwa 25 Jahren einmal im
Privatgespräch den Ausdruck gebraucht, er stehe in einem
„Hochachtungsverhältnis" zu Bruckner. So gibt es auch
viele jüngere Musiker, die zu Bruckner in einem Hoch-
achtungsverhältnis stehen, ihn aber doch nicht lieben
können. Für einen ohne Voreingenommenheit an
Bruckner herantretenden Musikbeflissenen ist die Ent-
stehung eines Respektverhältnisses der Mindesterfolg,
vorausgesetzt, daß er etwas von den musikalischen Gesetzen
und ihrer Anwendung versteht und sich die selbstverständ-
liche Mühe gibt, die Werke Bruckners auf diese Gesetze
hin zu untersuchen.
Um auch dem musikalischen Laien einen Begriff davon
zu geben, daß es sich bei Bruckner um besonders hoch-
stehende, den größten Werken der Klassiker ebenbürtige
Kunstwerke handelt, genügt ein Hinweis auf die Art, wie
er die musikalischen Urelemente, Tonleiter und Dreiklang,
Kadenz und Sequenz handhabt.
Wer kann sich dem großartigen Eindruck verschließen,
den die vier Takte lang durch drei Oktaven erst in Achtel-,
dann in Viertelbewegung herabsteigende Tonleiter im
langsamen Satz der 6. ^.-Dur-Symphonie hervorbringt?
August Halm sagt mit Recht: „Kein Komponist hat früher
gewußt, was eine Tonleiter auszurichten, wieviel sie an
Innigkeit, ja sogar an Begeisterung bis zum Grade der
Ekstase auszudrücken vermag." Im Finale der 2. Sym-
phonie ist das Eröffnungsthema aus der abwärts steigen-
den Tonleiter gebildet, im Gloria der D-Moll-Messe ist
das Sündenbekenntnis und die Bitte um Erbarmung
durch dieselbe in wundervoller Weise ausgedrückt, im
Kredo bildet die in Gegenbewcgungen geführte Tonleiter
eine der einschmeichelndsten Stellen von bestrickendem
Reiz. Fast in jeder Symphonie findet man ähnliche Bei-
spiele, und es ist erstaunlich, wie Bruckner mit denselben
Tonfolgen den verschiedensten seelischen Stimmungen
überzeugenden Ausdruck zu verleihen vermag.
Charakteristisch für Bruckner ist, daß eine Reihe seiner
Symphoniethemen in einfachster Weise auf den Drei-
klang gegründet sind oder den Dreiklang zum Inhalt

haben. Aber wie hat Bruckner dieses einfachste, jedem
Kind vertraute musikalische Urelement angewendet?
Wer Ohren hat, Musik zu hören, und möge er noch so
ungebildet und unerzogen sein, wird von der bestricken-
den Schönheit des Hauptthemas im 1. Satz der 4. Ds-
Dur-Symphonie oder der 7. D-Dur-Symphonie einen
Hauch verspüren. Dort ist es ein pathetischer, hier ein
festlich strahlender Dreiklang. Wie verschieden sind dann
wieder die auf den Molldreiklang aufgebauten Eröff-
nungsthemen der beiden D-Moll-Symphonien, der Z.
und 9.?
Man sehe sich den Endsatz der 7. Symphonie einmal
darauf an, was Bruckner aus der Kadenz gemacht hat!
Dieselbe kehrt regelmäßig wieder in mannigfachen Varia-
tionen, anfangs als harmonischer Schlußstein, nachher
als selbständiges Motiv, immer aber mit überraschender
Wucht. Wer kann sich dem überwältigenden Eindruck
entziehen, den die Kadenz im 50. Takt des 1. Satzes der
Romantischen macht, wie sie die Haupttonart in strahlen-
der Schönheit einführt?
Eine andere musikalische Grundformel, die Sequenz,
d. h. die Wiederholung der gleichen Akkordbewegung auf
verschiedenen Stufen der Tonleiter, ist von Bruckner zu
grandioser Wirkung gesteigert worden. Nie ist sie bei
ihm ein aus Verlegenheit geborenes Ausfüllsel, wie wir
es sonst oft als langweilig und trivial empfinden, sondern
immer ein zweckmäßiges, vom musiklaischen Organismus
verlangtes Ausdrucksmittel. Es sei als Beispiel für diesen
Triumph der Sequenz erinnert an die Themengruppe,
die die Überleitung vom Eröffnungsthema zu dem
wuchtigen Hauptthema im 1. Satz der 9. Symphonie
bildet, wo die Sequenz zu einer großartigen Steigerung
verwendet ist. Die überwältigendste Verwertung der
Sequenz finde ich bei Bruckner im Finale der 7. Sympho-
nie; es ist die pompöseste Sequenz in der Musik aller
Zeiten.
Genial ist Bruckner auch in seinen Pausen. Man hat
früher wohl seine Pausen als übertrieben empfunden,
seine 2. Symphonie ironisch als „Pausensymphonie" be-
zeichnet. Mit welcher Weisheit aber in den Symphonien
die Pausen angewendet sind, wird sofort klar, wenn man
den Versuch macht, dieselben auszulassen oder abzu-
kürzen. Bald sind sie der Ruhepunkt, den die in ihren
Tiefen aufgewühlte Seele nach einer gewaltigen Span-
nung braucht, bald sind sie der Ruf zur Sammlung für
neue Eindrücke und Erlebnisse, immer sind sie ein wir-
kungsvolles Ausdrucksmittel. Zu ihrer Rechtfertigung
hat Bruckner einmal Nikisch gegenüber den Ausspruch
getan: „Ja,sehen Sie, wenn ich etwas Bedeutungsvolles
zu sagen hab', muß ich doch vorher Atem schöpfen."
Bruckner ist der „Meisterder Pausen"; außer August Halm
in dem wundervollen Mittelsatz seiner D-Moll-Sym-
phonie für Streichorchester kenne ich niemand, der der
Pause zu so lebendiger Wirkung verhelfen hätte.
Das Ohr braucht nicht musiktechnisch geschult zu sein,
um diesen Gebrauch der einfachsten musikalischen Ur-
formeln als schlechtweg großartig und im Vergleich mit
ähnlichen Bestrebungen selbst der Klassiker als überlegen
zu empfinden. Es ist mit Hilfe der guten Klavierauszüge
auch einem unvollkommenen Spieler möglich, die von
mir erwähnten Beispiele sich zu Gehör zu bringen und

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