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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 31.1921

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Heft 4
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Knapp, Albert: Anton Bruckner: zum Verständnis seiner Persönlichkeit und seiner Werke
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https://doi.org/10.11588/diglit.26485#0189

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AiUou Bruckner.

neue zu suchen. Bruckner hat deshalb auch unter
musikalischen Laien häufig und früh überzeugte Anhänger
und begeisterte Bewunderer gefunden, wenn er bei
Musikern von Fach und solchen, die Anspruch darauf
machten, es zu sein, Verständnislosigkeit, Mangel an
Sympathie, passivem Widerstand, ablehnender Kritik
und selbst erbitterter Feindschaft begegnet ist.
Wie Bruckner zwei und drei selbständige Stimmen
gegeneinander führt, wie er mehrere, oft in ihrem
Charakter ganz verschiedene Themen zu schönstem Iu-
sammenklang bringt, daß harmonische Akkordfolgen sich
ergeben, ist staunenswert. Die Meisterschaft des Kontra-
punktes ist es auch, welche die vierhändige Wiedergabe der
Symphonien so unvergleichlich genußreich macht, be-
sonders wenn man bald die untere, bald die obere Partie
übernimmt.
Von überwältigender Wucht nicht bloß im technischen
Aufbau, sondern auch kn der Klangwirkung des Chors
und Orchesters ist die Fuge am Schluß des Gloria der
T-Moll-Messe. Sie wird sich allerdings nur dem voll-
kommen erschließen, der sie zum Gegenstand des Stu-
diums macht. Der Wirkung des machtvollen Einsatzes
der Umkehrung im Alt, wäbrend der Baß noch mit dem
Thema in normaler Lage beschäftigt ist, kann sich nie-
mand entziehen, selbst wenn er sich der kompositionellen
Kunst nicht voll bewußt ist.
Auch ein. Klavierspieler mit mäßiger Technik kann in
das Verständnis der Brucknerschen Symphonien ein-
dringen, wenn er die verschiedenen Hauptthemen auf-
sucht, wenn er untersucht, wo und wie sie von Bruckner
wiederholt, abgeändert, umgekehrt, gedehnt werden. Er
wird mit wachsendem Staunen sehen, was Bruckner aus
seinen Themen macht.
Wenn er sie in der Durchführung seiner Symphonien
in der Umkehrung bringt, so ist das nie ein bloßes tech-
nisches Kunststück, eine bloße kontrapunktische Spielerei,
wie bei vielen seiner jüngeren Nachfolger, auch öfters
bei Reger,sondern immer vollendete Kunst und vollendete
Schönheit. Das Thema in seiner Umkehrung hat immer
Eigenwert, es ist klanglich und inhaltlich immer ebenso
gut wie ein ebenbürtiges neues Thema; nie haben
Bruckners Umkehrungen und seine Bemühungen, das
Thema und seine Umkehrung gegeneinander kontro-
punktieren zu lassen, etwas Forciertes und Gequältes,
immer sind sie von überzeugender Gewalt und von
untadeliger klanglicher Schönheit und Fülle.
In dieser Beziehung kann Bruckner nur mit Bach
verglichen werden, dem er aber in der Verwertung des
Orchesterklanges überlegen ist.
Nur einige Beispiele von besonders glücklichen Um-
kehrungen:
Im 1. Satz der 8. Symphonie bringt die Durchführung
das 2. El-Dur-Thema in der Umkehrung in Oes-Dur,
auch das 1. Thema erscheint, zeitweise mit dem 2. kontra-
punktierend, in der Umkehrung. Beide Tonfolgen klingen
gleich schön.
Das feierliche mit dem 153. Takt in T-Dur einsetzende,
von dem vollen Orchester piuiüssimo wiedergegebene
Seitenthema im Finale derselben 8. Symphonie wird in
der Durchführung von den Streichinstrumenten allein
zunächst in Ts-Dur wiedergebracht, und tritt dann in

wundervoll klingender Umkehrung auf, wobei der Baß
das Thema in normaler Lage kontrapunkticren läßt.
Besonders machtvoll wirkt die Umkehrung des Haupt-
themas am Anfang der Durchführung im Finale der
4. Symphonie. Bruckner selbst sah dieses Finale als vor-
züglich gelungen an, man konnte ihm eine Freude machen,
wenn man diesen Satz als besonders glücklich bezeichnete.
Er ist kompositionstechnisch vielleicht das vollkommenste
von allen Finales, nicht bloß der Brucknerschen Werke,
sondern der Sonaten und Symphonien aller Zeiten.
Das prickelnd geistreiche Anfangsthema im Finale der
7. Symphonie wird in der Durchführung bei T in kühnster
wuebtiger Umformung zuerst vom vollen Orchester, dann
bei und O in der Umkehrung von den Streichern allein,
endlicb bei <Z, Thema und Umkehrung kontrapunktierend,
mit unerhörter Kraft vom Gesamtorchester gebracht.
Und endlich die grandiose Umkehrung des Haupt-
themas im Adagio der 9. Symphonie, das gewaltigste Bei-
spiel dieser Gattung, das auch von Bach nirgends Über-
boten wird. Welche Wucht erhält diese Umkehrung durch
die Blech- und Holzblasinstrumente, die abwechslungs-
weise in abwärtssteigenden Nonenintcrvallen Schritte
von Titanen verkörpern!
Einen besonderen Reiz hat es zu beobachten, in welch
geistreicher Weise Bruckner seine Themen variiert, wie er
ihnen durch Dehnung oder andersartige Rhythmisierung
oft einen ganz anderen Charakter verleiht. Hier sei auch
der Hinweis gestattet, daß das Trio der 2. Symphonie
so sehr an das Hauptthema des 1. Satzes der Eroika er-
innert, daß von einem Zufall nicht die Rede sein kann.
Welche Kühnheit und welcher Esprit, ein heroisches Motiv
in ein graziöses Gewand zu stecken!
Beispiele von gelungenen Vergrößerungen oder Deh-
nungen der Themen findet man in der schon erwähnten
Gloriafuge der T-Moll-Mcsie, in der Durchführung der
4. Symphonie und im Adagio der 9. Symphonie. Im
13. Takt der Durchführung des 1. Satzes der 8. Sympho-
nie bringen die Hörner in wundervoller Weise das Haupt-
thema in der Vergrößerung,später bekommt das melodische
Seitenthema in der Umkehrung durch die Dehnung eine
überwältigende Kraft, nocb gesteigert dadurch, daß das
Hauptthema in der Vergrößerung damit kontrapunktiert.
Und endlich der in der symphonischen Literatur einzig-
artige Schluß des Finales der 8. Symphonie, in dem die
Hauptthemen der beiden 1 Sätze mit den Themen des
letzten zu einem Akkord von nicht zu überbietender Groß-
artigkeit zusammenklingen.
Jeder musikaliscbe Laie kann sich leicht mit Hilfe der
Klavierauszüge diese Herrlichkeiten zugänglich machen.
Ein anregender Führer in die Brucknersche Welt ist
August Halm, der in seinen Aufsätzen, besonders in
seinem Buch „Die Symphonie Anton Bruckners" das
beste über den Meister gesagt hat. Seine wundervollen
Symphonien und Fugen für Orchester zeigen Bruckners
Einfluß.
Halm gehörte zu der Brucknergemeinde, die sich an-
fangs der 90er Jahre um unfern Lehrer, Professor Emil
Kaufmann in Tübingen, geschart hatte. Kaufmann war
es, der mit seinem kleinen Chor und Universitätsorchcster
die erste Aufführung der T-Moll-Messe in Deutschland
zustande brachte und ihr einige Jahre darauf eine zweite

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