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Białostocki, Jan [Gefeierte Pers.]
Rocznik Muzeum Narodowego w Warszawie: In memoriam Jan Białostocki — 35.1991 [erschienen] 1993

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II. Ostatnie prace Jana Białostockiego
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Białostocki, Jan: Die " Irdische Höle" in der Kunst des 19. Jahrhunderts: Bemerkungen und Ergänzungen aus östlicher Sicht
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https://doi.org/10.11588/diglit.19643#0196

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Umgestaltung der sozialen und ókonomischen Lebensumstande, die der industriellen
Revolution, einer plótzlichen und raschen Urbanisierung, zu verdanken waren; die
intensivierten Verbindungen zwischen den schnell wachsenden Agglomerationen und
industriellen Zentren in verschiedenen Landem, die durch den Fortschritt in den Trans-
portmitteln verursacht wurden, haben ihre Spiegelung in den damals entstandenen Bildern
gefunden4.

Die Welt hat sich zwischen 1800 und 1900 ungeheuerlich verandert. Zwischen der
Franzósischen und der Rusischen Revolution — 1789 bis 1917 — wurde das Gesicht
Europas vollig umgestaltet. Aus einer agraren und traditionell hierarchischen Gesellschaft ist
eine industrielle geworden, in welcher jedoch dem potentiell machtigsten sozialen Element,
der Arbeiterklasse, jeder der Bedeutung dieser Klasse entsprechende Einfluss auf das
politische System verweigert wurde. Von einer auf dem Lande konzentrierten Lebensform
haben sich die Vólker zu einem Leben entwickelt, das sich grundsatzlich in den Stadten
abspielte. Wie die Energieąuellen und die sie nutzende Technik, die den Rahmen der
taglichen Existenz ausmachten, hat sich auch die Gesellschaft umgestaltet, ais sich die
machtige soziale Gruppe der Arbeiter gebildet hatte. Wahrend in der ersten Jahrhundert-
halfte die nationalen Tendenzen am starksten waren — und sie entschieden noch immer liber
die polnischen und ungarischen Aufstande auch in der Jahrhundertmitte — haben sich in der
zweiten Halfte des Jahrhunderts viel starker die Klassenverbindungen und entwickelt und
ausgewirkt.

In einer so veranderten Welt sind neue Bilder erschienen, die die neuen Bedingungen des
Lebens, des Empfindens, und des Denkens widerspiegelten. Der auf die untersten Klassen
gerichtete Blick einiger Kiinstler hat zu einer allmahlichen Ausbildund neuer Bilderkreise
beigetragen, in welchen das Leben der Bauern und Arbeiter, das oft nicht leichte Schicksal
der namemlosen, in dieser vollkommen umgestalteten Welt lebenden Menschen sein Abbild
gefunden hat.

Es ist wahr, dass schon seit dem Mittelalter die Vertreter aller Gesellschaftsschichten in
der Kunst dargestellt zu werden pflegten. Sie traten ais die kleinen Elemente eines
iibergreifenden Systems der ideologisch aufgefassten sozialen Wirklichkeit auf. Landarbeiter
und Handwerker sind innerhalb dieses Systems ais notwendige Bestandteile der ganzen
Struktur erschienen. Sie sind aber nie ais individuelle Menschen aufgetreten, dereń
Standpunkt und dereń Erlebnisse einer kiinstlerischen Darstellung wiirdig gewesen waren.
Sie wurden — in den spatmittelalterlichen Kalenderbildern — ais niitzliche und notige
Faktoren einer hierarchischen Weltstruktur aufgefasst. Auch in Hans Behams Planeten-
kinderbildern, in Hans Holbein des Jiingeren Totentanz, in Jost Ammans Stdndebildern haben
die niedrigen sozialen Stande den ihnen gebiihrenden Platz erhalten. Das geschah aber nicht
aus Interesse an ihnen, sondern weil sie ais ein zwar am wenigsten wiirdiges, aber
unvermeidliches Element der ganzen Struktur der Gesellschaft angesehen wurden.

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