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Białostocki, Jan [Gefeierte Pers.]
Rocznik Muzeum Narodowego w Warszawie: In memoriam Jan Białostocki — 35.1991 [erschienen] 1993

DOI Heft:
I. Po śmierci Jana Białostockiego: Wspomnienia i nekrologi
DOI Artikel:
Wiegand, Wilfried; Białostocki, Jan [Gefeierte Pers.]; Białostocki, Jan [Bearb.]: Mitteleuropa als Aufgabe: zum Tod des Kunsthistorikers Jan Białostocki
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https://doi.org/10.11588/diglit.19643#0129

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MITTELEUROPA ALS AUFGABE

ZUM TOD DES KUNSTHISTORIKERS JAN BIAŁOSTOCKI

U nter den Kunsthistorikern unserer Zeit gehórte er zu jenen raren Autoren,
die fachwissenschaftliche Kompetenz und schriftstelerische Darstellungsgabe scheinbar
miihelos miteinander verbinden. Wie Ernst Gombrich und Andre Chastel war auch Jan
Białostocki ein Meister wissenschaftlicher Essayistik, der sich in Thema und Stil zwar
niemals bei einem gróseren Publikum anbiederte, der vielleicht auch niemals jenen weiten
Leserkreis fand, den er verdient hatte — der aber in jeder seiner Arbeiten eine Diskussion
eróffnete, die iiber das engere Sachproblem móglichst weit hinausreichte und dereń
anregende Kraft in der Fachwelt nicht selten nach Jahrzehnten noch zu spiiren war.

Wie in einem Teil unserer gestrigen Ausgabe kurz gemeldet, ist der polnische Gelehrte am
25. Dezember im Alter von siebenundsechzig Jahren in Warschau gestorben. Er hatte dort
seit 1956 die Gemaldegalerie des Nationalmuseums geleitet und daneben seit 1962 ais
Professor an der Universitat gelehrt. Die Hartę der neuen Militarregierung bekam er 1982 zu
spiiren, ais sie gegen den reformfreudigen Warschauer Kulturkongress vorging, dessen
Organisationskomitee Białostocki angehórt hatte. Die Ohnmacht des Intellektuellen
gegeniiber dem Staat und die Machtlosigkeit Polens hatte Białostocki freilich schon in
jungen Jahren erleben mussen, ais er 1944 im Zusammenhang mit dem Warschauer Aufstand
in ein Konzentrationslager gebracht wurde.

Die Antwort, die er in seinen kunsthistorischen Arbeiten gab, war — lange, ehe das
Schlagwort in Mode kam — ein Pladoyer fur Mitteleuropa, fur eine Kulturgemeinschaft, in
der die Randgebiete anders sind ais das Zentrum, aber deshalb nicht schlechter, vielmehr ais
gleichberechtigte Partner selbststandige Leistungen hervorbringen. In seinem Kompendium
Spatmittelalter und beginnende Neuzeit, erschienen ais Band 7 der Propylaen-Kunst-
geschichte, hat er versucht, das fiinfzehnte Jahrhundert aus diesem Blickwinkel zu sehen. Die
Vision einer vielstimmigen europaischen Kultur macht Białostocki zu einem modernen
Humanisten und erklart wohl auch die Verfuhrungskraft seiner Schriften, die sich ihr
Publikum gewissermassen selbst erschaffen: Es sind Appelle an den Europaer im Leser.

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