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Schrader, Hans [Editor]
Die Archaischen Marmorbildwerke der Akropolis (Textband) — Frankfurt a.M.: Klostermann, 1939

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https://doi.org/10.11588/diglit.49902#0031
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EINLEITUNG

LVeine Ausgrabung hat unsere Vorstellung von den Heiligtümern griechischer Frühzeit in
gleichem Maße erhellt wie die Funde auf der Akropolis von Athen. Unser spätantikes Griechen-
bild, gedankenblaß, ästhetisch steif und erdenfern, schien wie durch einen verborgenen
Blutstrom plötzlich belebt, als die Dämonen-, Götter-und Menschengestalten aus jahrtausend-
langem Verschüttetsein wieder auftauchten und die Betrachtenden in Staunen setzten, ja
erschreckten durch die urtümliche Kraft und ungeahnte Buntheit ihrer Erscheinung'). Alle diese
Weihegaben, Statuen und Inschriften sind Ausdruck eines knabenhaft frohen, fast liedhaften
Dankes an die Göttin der Stadt, die homerische Jungfrau und zugleich noch pelasgische
Mutter, die ihren Lieblingen Verstandeshelle und Tapferkeit, Kunstfertigkeit und Gewinn
gegeben hat: geltend der ΔΙΟΣ ΜΕΓΑΛΟΦΡΟΝΙ ΠΑΙΔΙ ATHENA.
Weihegaben dieser Art haben einst alle Heiligtümer der Frühzeit bevölkert, wenn auch gewiß
nicht so kostbare2). Aber nur in Athen sind sie erhalten geblieben, weil die Erde sie frühzeitig
genug schützend geborgen hat. Denn all diese Marmor- und Bronzewerke sind von den
Athenern selbst nach der Zerstörung der Akropolis durch die Perser im Jahre 480 im Heilig-
tum der Göttin vergraben worden. Die zerschlagenen Weihgeschenke gehörten nun einmal
der Göttin. Man wollte sie ihr nicht entziehen und verbaute sie deshalb als Füllmasse in die
notwendigen Anschüttungen der neu und größer zu gestaltenden Akropolis der klassischen
Zeit. Nun sind jedoch Mädchenfiguren nicht nur Göttinnen und Jünglingsfiguren nicht nur
Göttern geweiht worden. Die Zeit Drakons (Ende 7. Jhs.) hat männliche Figuren, bisweilen
Kolosse bevorzugt. Das Jahrhundert der großen Tyrannen des Mutterlandes hat überwiegend
Mädchensiguren geweiht. Als dann am Ende des Jahrhunderts die Tyrannen stürzten, über-
wogen wieder Jünglingsbilder in den Heiligtümern. So sind auch auf der Akropolis des 6. Jahr-
hunderts die Mädchenfiguren in der Überzahl.
Die Frage nach Sinn und Bedeutung dieser Mädchenstatuen ist seit langem gestellt, aber noch
nicht mit Sicherheit beantwortet3). Die Athener haben sie einfach Mädchen (Koren) ge-
nannt. Als man sich nach den Ausgrabungen mit diesen Figuren zu beschäftigen begann,
meinte man zuerst, sie seien Bilder der Göttin selbst, obwohl diese Statuen niemals göttliche
Attribute haben und auch andere Göttinnen der Akropolis Empfängerinnen dieser Weih-

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