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Schrader, Hans [Editor]
Die Archaischen Marmorbildwerke der Akropolis (Textband) — Frankfurt a.M.: Klostermann, 1939

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https://doi.org/10.11588/diglit.49902#0213
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STEHENDE MÄNNER

298 Tafel 115, 116
Akro. 665. Kuros-Torso. Gef. 1887 nordöstl. vom Erechtheion; nach Kavvadias-Kawerau (S. 33—4) in der
Aufschüttung unter dem türkischen Kuppelbau dort; nach Wolters (a. O. 267) in der „Mauer nahe der
Tholos“ ( türk. Kasematte, S. 263; s. a. JdJ. 43, 1928, 177). Marmor: kristallinisch, bläulich; Lepsius:
grobkörniger Inselmarmor. Höhe 96 cm. Breite in den Schultern 45 cm, in den Hüften 25 cm.
Ansatz des Halses und Nackenhaares erhalten, r. Unterarm und Hand von Schrader angefügt. Die Ober-
schenkel sind schräg gebrochen: der 1. von vorn nach hinten; der r. unterhalb des Knies.
Oberfläche vorn stark zerstört; nach den tiefen Rissen am I. Oberschenkel und schwärzlicher Färbung eher
durch Brand,als durch Wasser (Payne). Die r. Hälfte der Rückseite vom Haar bis r. Glutäus verwittert, der
r. Oberarm jedoch ganz intakt.
Die männliche nackte Figur steht im Typus der ,Apollines‘ da. Schultern und Leib liegen streng frontal;
das 1. Bein ist energisch nach vorn, das r. wenig zurückgesetzt. Die Arme sind frei gearbeitet; die Innenseite
der Fäuste haftete mit einem kleinen Steg am Oberschenkel. R. unterhalb der (modernen!) Befestigung der
r. Hand Rest des antiken puntellos, 30,5 cm über Oberfläche der modernen Basis, 24,5 cm über Bruchende
des r. Oberschenkels. Der puntello 1. war größer (ca. 3,5 cm hoch); er saß höher (37 cm über Basisober-
ssäche) und weiter vorn. Die 1. Faust lag also höher, der Arm war schärfer gewinkelt als der rechte. Dazu
stimmt, daß die Bruchssäche des 1. Oberarmes schräg zum Kreuz hinabführt, während der r. Oberarm
senkrecht verläuft. Der 1. Oberarm war also näher an den Körper und weiter zurückgenommen, der Ellen-
bogen stärker gebeugt, die Hand höher und dichter am Schenkel gelagert. Dieselbe Unterscheidung findet
sich auch beim Kritiosknaben. Sie ist dort aber in der Gesamthaltung durchgeführt, hier auf die Arme be-
schränkt, da Schultern und Leib fest in einer Ebene liegen, das 1. Bein dem Kanon folgend (H. Schaefer,
Alte Orient Bd. 23, 27 ff.) vorgesetzt ist. Die Haltung der Arme steht in verhaltenem Chiasmus zu der der
Beine. — Die Haare fallen als quergewellte Masse in den Nacken und schließen mit dem Kontur der Schul-
tern ab (Deonna a. 0. 115 Taf. IX, Nr. 245; S. 118). Diese sind flächig angelegt, von seichter, orna-
mentaler Furche umzogen. Das Rückgrat ist als kräftige Senke angegeben, das Kreuz stark eingezogen.
Die Glutäen springen knapp, aber kräftig heraus; sie wirken eher klein über den massigen Schenkeln, deren
Breite in der Seitenansicht ausfällt. Die Partie des r. Knies ist voll und reich modelliert.
An der zerstörten Vorderseite sind die sparsam angelegten Schlüsselbeine zu erkennen; die Brustmuskeln
sind knapp vom Brustkorb abgesetzt, in ssacher Schwingung begrenzt bis zu den Schultern hingezogen.
Reicher ist die Modellierung der Schultern und des elastisch gespannten r. Armes, zumal in der Armbeuge,
deren Drehung nach vorn im Handgelenk wieder aufgehoben ist. Das Handgelenk ist schmal und knapp mit
scharf heraustretendem Knöchel gearbeitet, die Hand hager, langestreckt. Die Finger sind kantig angelegt,
schräg gelagert und zur Faust geschlossen, der Stein innen stehen gelassen. Eine Hautfalte zieht sich vom
Ansatz des Zeigefingers schräg unter den Daumen hin. Die reiche, differenzierte, zugleich sehnig-straffe
Bildung der Hand ist der der Füße des Reiters Rampin (Nr. 424, 470 Abb. 243, 244, 246—248) eng verwandt.
Ebenso steht der Rumpf in seinem kubischen, im Querschnitt rechteckigen Bau dem des Reiters Rampin
nahe; doch ist die Modellierung weniger kantig und streng, der Umriß ssüssiger und elastischer. In Einzel-
heiten ist die Formgebung sehr ähnlich, vgl. außer der Hand das r. Knie mit dem Fragment Nr. 4112
(Abb. 239—240). Es liegt daher nahe, den gleichen Meister anzunehmen, der bald nachdem Reiter Rampin
den Kuros fertigte (um 540 v. Chr.).
Zeitlich am nächsten steht der Münchener Kuros (Glyptothek Nr. 47a, BrBr. 661/2). Eng verwandt in dem
vierkantig festen Bau des Rumpfes, der mächtigen Breite der Schenkel, der Führung der Arme (deren
Haltung aber nicht unterschieden ist), derFurchenzeichnung des Rückens, entbehrt er der federnden Gespannt-
heit im Wuchs des Ganzen wie in der Bewegung der Glieder, der strasfen Eleganz der Umrißlinien, der reichen
Disferenziertheit der Einzelformen. Ist unser Torso, mit einigem Abstand vom Reiter Rampin, um 540 ent-
standen, so stellt der Münchener Kuros ein gleichzeitiges Werk schlichteren Charakters dar.
Lepsius 70 Nr. 20. AM. 12, 1887, 267 (Wolters). Rumpf, GN. 4 II 23. Bulas, Chronogja 19. Payne 43, 71
Taf. 97—98. Gnomon 14, 1938, 73 (Lullies).

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