Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 8.1917-1918

DOI issue:
Achtes Heft
DOI article:
Willi Wille!
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37114#0131

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
mißgeborensten Leser fühlen. Willis Rekord in der leiblich-
seelischen Verdreckung schlägt doch niemand — geben Sie sich
keine Mühe, Herr v. H.mü
Wird man es nun für möglich halten, daß gerade Willi eine
Anrührung absolut solitärer Art in sich empfand, wie sonst nur
vereidigte Religionsstifter, Philosophen, Genies und besonders
Tatmänner höchster Ordnung? Wie soll ich das nur glaub-
haft, nur einleuchtend machen! Ich will mir alle Mühe geben,
bis selbst Chamberlain mir gerührt zugesteht: ja, Mynona, es
ist dir gelungen; du hast das Herz mir bezwungen. Ein tausend-
prozentiger weiserer Autor als ich hat das Verdienst mit dem
Schießpulver verglichen: je stärker, sagt er, es komprimiert, also
beeinträchtigt würde, desto drastischer sei die Wirkung, die
Explosion. Setzen wir nun, Spaßes halber, den Fall: Das, was
— in degenerierten, dekadenten, neurasthenischen Menschen —
schauerlichst komprimiert, beeinträchtigt, entstellt, verwahrlost
würde, sei dasselbe, was vornehme Charaktere, mit beneidens-
wertem Augenaufschlage, „Gott" nennen, so müßte, genau im
Falle der in- und extensivsten Kompression und also Verwahr-
losung, diese so abscheulich gehemmte innerste göttliche Selbst-
empfindung nur desto vehementer explodieren. Die Sonne kriegt
die strahlendeste Corona bei Verfinsterungen. Kein Himmel-
blau ist seliger leuchtend als das durch die schwärzesten Wol-
ken dringende. Oh, wie furchtbar irren Sie, wenn Sie meinen,
der Dreck setze keine Reinheit voraus. Im Gegenteil, gerade
nur die makelloseste Reinheit ist der Befleckung fähig; nur die
Urgesundheit der Erkrankung; nur Gott des Teufels. Voraus-
gesetzt wird, wo nur irgend von Irrtum, Sünde, Häßlichkeit die
Rede geht, stillschweigend immer, nolens volens, das Schöne,
Wahre, Gute, Göttliche. Und man sollte es eben nicht still-
schweigend, sondern ausgesprochen, wissentlich und willentlich
voraussetzen — dann würde man den Teufel besiegen; denn im
selben Momente, in welchem sich dieser nicht mehr als etwas
an sich selber Seiendes, sondern nur noch als die Verrenkung
Gottes empfindet, zieht er es vor, sein eigener Orthopäde zu
werden.
Wundern Sie sich also nicht allzu sehr, daß just Willi eines
schönen Tages die erste Anwandlung dessen in sich verspürte.
Willi bedeutet ja eben den Schulfall einer solchen Selbstentdek-
kung des Göttlichen gerade in der fratzenhaftesten Entstellung
und Verrenkung. Sie erkundigen sich höflich nach der Möglich-
keit einer derartigen Depravation der göttlichen Reinheit? Wie
oft soll ich Ihnen betonen, daß Gott kein träges Prinzip, sondern
durch und durch Selbstbemühung ist! Wenn es von Freiheit
und Leben heißt, nur der verdiene sie sich, der täglich sie er-
obern hälfe, so gilt dieses eigentlich von Gott. Seine Bemühung
um sich selber ist aber keineswegs fatal: er muß nicht, ist nicht
gezwungen, sondern frei — und in seiner Freiheit gerade lie-
gen alle Möglichkeiten und Gefahren der niedrigsten Selbstver-
wahrlosung. Immerhin aber ist, und gerade im Falle der tief-
sten Gesunkenheit, das Göttliche mindestens potentiell energisch.
Schuld kann sich nur an der ursprünglichen Unschuld zeigen.
Auf irgend einen der zahllosen Anlässe seiner Verworfenheit
machte Willi die Bekanntschaft mit sich selbst in diesem unschul-
dig, göttlich ursprünglichen Sinne. Diese Bekanntschaft aber
schlug wie ein Blitzstrahl in ihn ein.
In ihm loderte die göttliche Flamme auf, das Freiheits-, Un-
schulds-, Allmachtsbewußtsein, der Urwille, der Schöpfer, das
Allerinwendigste inmitten seiner entsetzlichen psycho-physi-
schen Misere. Schauen Sie sich doch unter Ihren Bekannten
uni! Es gibt kein teuflisches Prinzip; das ist der tollste, der
verderblichste Irrtum: es gibt nur das göttliche Prinzip, den be-
sten, friedlichsten, verträglichsten Willen. Aber, wehe! wenn
man um sich selber nicht diesen Bescheid weiß; wenn man sich
selber in dieser göttlich innersten Bedeutung vergißt, vernach-
lässigt, sich gehen läßt — voilä, das ist der „Teufel", die Unver-
träglichkeit, der Krieg, die Zwietracht: kein Prinzip, sondern
die Selbstvernachlässigung des göttlichen Prinzips. Nicht, als ob
Willi diesen Gedanken deutlich dachte; er war kein Denker,
aber er dachte ihn .... als ein unerhörtes Gefühl, das seine

Muskeln zur Tat schwellte. Zunächst zur Untat, zum Verbre-
chen. Konnte es anders sein? Mit einem einzigen Schwünge
war er über den Müllhaufen seiner Existenz hoch hinausversetzt.
Er, er in seiner innersten Allmachtsbedeutung, in seiner voll-
kommenen Freiheit, sah, wie vom Himmel her, so Sauhirten wie
Kaiser und Könige. Willi schmiß seinen knorrigen Hirtenstek-
ken weit weg und ging durch die Lande, deren Herrn er sich
wußte und fühlte. Sein eigener Name, Wille, befeuerte ihn wie
eine Siegesfahne. Darauf man erschrecke nicht — ermordete
er gegen sechzig Menschen mit eigener Hand: Männer, darunter
Eisenbahnbeamte, Kegelklubmitglieder, Barone, Damenimitato-
ren, einen Philosophieprofessor, ein paar Rentier und einen Kü-
chenchef; dreiundzwanzig Weiber, unter anderem Fräulein Dr.
Käte Mirrschacher, die Kaiserin Kreuzwendeline, fünf alte
Hofdamen, eine Apothekersfrauen, die einhunderteinund-
sechzig Jahre alte Greisin Ganghofer, die Bedürfnisan-
staltsehrenbeamtin Bratenau und ein ganzes Fräuleinstift;
den Beschluß machte er mit einigen Kindern. Er lief Amok,
machte bunte Reihe. Natürlich war es kein Tropen-, aber der
Allmachtskoller. Willi war kein gebildeter Mann, sonst hätte
er sich darüber aufgeklärt, daß Allmacht sich nicht mordsmäßig,
sondern ordentlich auferbauend äußere, widrigenfalls sie ja nur
sich selber, ihre eigene Schöpfung, zerstöre. Darüber darf man
aber nicht ungerecht werden und nicht vergessen, daß Willis
Raserei immerhin streng göttlich intendiert war. Er war ein
schöpferischer Verbrecher; sein Zweck war die ungehemmte
Austragung seiner inwendigen Allmacht; er mußte schonungs-
los gegen alles bereits Vorhandene sein und leistete hierin Er-
staunliches. Es ist keine Kleinigkeit, in unseren so zivilisierten
Zuständen erst nach gelungener Ermordung von mehreren
Dutzend Menschen gefangen gesetzt zu werden.
Selbstverständlich mußte sich Willi ins Irrenhaus verfügen.
Und selbstverständlich dokterten der Psychiater Dr. Futsch und
Pastor Pauke ahnungslos an ihm herum. Sie diagnostizierten auf
Paranoia, und Pastor Pauke gab den Rat, um Willis geheimes
Mordmotiv zu eruieren, die psychoanalytische Methode anzu-
wenden.
Inzwischen aber ereignete sich mit Willin, in der Eremitage
seiner Isolierzelle, ein Wunder. Das Erhabenheitsgefühl, womit
er, von seinem allmächtigen Innnern aus, auf sich als armseligen
Schweinehirten hinsah, intensivierte sich mehr und mehr, bis es
schließlich dermaßen kulminierte, daß er, von diesem innern
Gipfel her, des Schweinehirten wirklich omnipotent wurde.
Willi war jetzt, auch leiblich, ganz und gar in der magischen Ge-
walt seines Innern, des schöpferischen Willens. Pastor Pauken
fiel, noch früher als dem Dr. Futsch, diese Veränderung rein
äußerlich hell in die Augen. Dr Futsch, den er darauf hinwies,
meinte nur: Kerl erholt sich bei der guten Pflege. Aber Pauke ver-
stand es tiefer, verhängnisvoller; er verstand es so, wie Dr.
Fließ es verstanden haben würde, nämlich als Euphorie. „Ge-
ben Sie Acht, Heber Doktor, er flackert noch einmal auf, bevor
er stirbt; eben daher scheint sich nun auch das Verantwortlich-
keitsgefühl wieder einzustellen. Ich gewinne Hoffnung, daß er
bereue." Dr. Futsche blieb skeptisch, beschloß aber, Willin ge-
nauer zu untersuchen.
In der Tat aber begann Willis allmächtiger Wille endlich,
besonnen statt rasend, nach außen zu wirken, zuvörderst auf
Willis eigenen Leib. Schon aber machten sich leiseste An-
zeichen bemerkbar, daß er durch diesen Leib magisch auch auf
andere Leiber, ja auf Lebloses übergreifen könnte. Gewiß, der
einzelmenschliche W)ille, sogar die Summe einzelner Willen
richtet wenig genug und auch dieses Wenige am wirksamsten
nur technisch-mittelbar aus. Hingegen der inwendigste, ek-
statisch in die göttliche Allmacht verzückte einzige Sonnen-
wille ist die magische Kraft aller Kräfte, die Beherrscherin aller
Natur. Analog aber wie es in der Technik lange Zeiten dauert,
bevor man sich einer Naturkraft vernünftig bemächtigen lernt:
analog genügt es nicht etwa, innerlichst allmächtig zu sein, um
mit dieser inwendigen Allmacht auch äußere Wirkungen zu er-
zielen; sondern der göttliche Schöpfer im Innern muß, will er

!25
 
Annotationen