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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 16.1925

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1. Heft
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Gori, Gino Paolo: Einführung zu "Maschinenangst" von Ruggero Vasari
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https://doi.org/10.11588/diglit.47215#0010

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drei Schatten, die Projektionen dreier
Puppen, und reden zu ihm: seine drei Seelen:
Traum, lebendiges Leben und der Wunsch
nach Vernichtung. Und Tonkir reißt der un-
widerstehliche Wirbel mit fort. Jetzt stehen
gegen seine Schwäche seine beiden Gefähr-
ten auf, Bacal und Singar, und beschließen,
ihn zu ermorden. Sie sind dessen aber nicht
fähig. Auch die Frau vermag ihn nicht zu
töten, und will es auch nicht. Denn sie liebt
ihn. Tonkir erkennt seine Niederlage. Und
anstatt von andern die Erfüllung seines Ge-
schicks zu erwarten, zieht er es vor, sich
selbst und zugleich seinen Mechanismen den
Tod zu geben durch eigene Hand, Er stirbt,
und die ganze von ihm geschaffene mecha-
nische Welt stürzt unrettbar in Trümmer und
ins Nichts. Ueber den Trümmern weinen die
Maschinen. Der klagende Schrei der Sirenen
erfüllt den Raum,
Harmonie, bemerkt Orazi, ist die letzte und
essentielle Bedeutung, in der die tragische
Synthese Maschinenangst ausläuft, in schlüs-
siger Konsequenz der Konzeptionen des Fu-
turismus. Das Zentralproblem liegt darin, daß
Tonkir, der Uebermensch, Schöpfer jenes
wunderbaren Reiches, absoluter Herrscher
über die Menschen und Bezwinger der Ma-
terie, der gefühlsmäßig, sexuell und pragma-
tisch den andern Pol der Menschheit, die
Frau besiegt hat, auf der Höhe seiner Macht
die Zwecklosigkeit seiner gewaltigen An-
strengung erkennt, erkennt, daß sein Sieg ein
Wurm ist, der ihm das Gehirn zerfrißt und
ihn rastlos hinter neuen Chimären herhetzt,
Nutzlosigkeit und Eitelkeit, noch verschärft
durch den Konflikt mit dem weiblichen Ge-
schlecht, das überdauert und unveränderlich
bleibt, und obendrein ihn durch das Spiel
tausendfacher Suggestionen den beängstigen-
den Gegensatz zwischen seiner mechanisier-
ten Seele und der rein menschlichen Seele
erkennen läßt.
Tonkir lebt diesen Kontrast bis zur Ver-
zweiflung durch, er versucht Rückkehr in die
Menschlichkeit, — aber diese Rückkehr ist
unmöglich ... Da sein Glaube an sich und
an sein Werk starb und keine Hoffnung
bleibt, verlorene Menschlichkeit wiederzu-
erlangen, fällt der Held als Opfer seines Ge-
schicks.
Man hat richtig bemerkt, daß diese tragische
Dichtung einen neuen Klassizismus bringt,

der im Grunde die eigentliche Essenz des
Futurismus ist. Klassizismus hier gleichbe-
deutend mit Harmonie, und dieser Gleichheit
hat Orazi bereits Rechnung getragen. Aber
die Harmonie liegt hier in der Konzeption,
deren Philosophie die eigentlichen Vorgänge
des Dramas sich unterordnet, Tonkir hat die
Gesetze der Natur und der Menschheit ver-
letzt und zerbrochen. Mit seinem Tode löst
sich das ungeheuerliche Reich, das er schuf,
auf wie Nebel im Wind, und Welt und Men-
schen bauen sich wieder auf und stellen die
Harmonie wieder her, die für immer zerstört
schien.
So daß tatsächlich die Ueberwindung
des Menschen nicht durch die Maschine
erfolgt, sondern durch die Beherrschung
dieser Maschine. Icarus, der moderne
Eroberergeist, muß sich zum Herrn des
mechanischen Gegenspielers machen und
nicht wie der Zentaur zum Halbtier,
zu einem Wesen niederer Art werden.
Wenn man heute der Poesie der Maschine
einen andern Wert beimißt, will man natür-
lich damit nicht, wie einige verstanden haben,
die Größe und den Wert der Mechanisierung
und Zahlwerdung des Menschen verherr-
lichen. Das ist das stillschweigende Pro-
gramm eines Materialismus, dem der Krieg
den Todesstoß versetzte. Die dynamische
und aktivistische Kunst, Spiegel unseres
Seelenzustands der Eroberer und Pioniere,
preist im Gegenteil die Maschine als Werk-
zeug des Menschen, mit der er die Welt sich
unterwirft. Von Jombona bis Conrad ist dies
der Sinn des d’Annunzioschen „Navigare ne-
cesse est". Wenn von Marinetti ausgehend
der Futurismus eine lyrische Verherrlichung
der Maschine wurde, will man damit doch
keineswegs zu einer mechanischen Inter-
pretation der Menschen und der Welt hin-
gelangen, Sondern: Das Lebendige und Herr-
schende ist der Geist. Und Vasari weiß das.
Der veräußerlichte Mechanismus der Ma-
schinen, der nicht als rein äußerer Prunk ver-
standen ist, bildet die lebendige Materie des
Dramas. Der Futurismus der Maschine hat
hier nach Marinetti seinen wahren Dichter
gefunden, der den schallenden und sausenden
Wesen Leben, Körperlichkeit und Blut leiht.
Die Szene stellt sich mit jener Suggestion dar,
unter der das Ding, das Objekt sich ver-
menschlicht und einen neuen einheitlichen
Persönlichkeitsakt gewinnt.

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