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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 16.1925

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11./12. Heft
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Blümner, Rudolf: Razzia
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https://doi.org/10.11588/diglit.47215#0213

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DER STURM
MONATSCHRIFT / HERAUSGEBER: HERWARTH WALDEN

Razzia
Ich stürze in die Garderobe und brülle. Es
sind nur einige Minuten bis zu meinen Auf-
tritt. Ich spiele den Octavio. Her mit dem
Panzer. Halt — erst Maske. Maskä! Ich
werde heute ganz einfach meine große Brille
aufsetzen. Oben, Garderobier, in meinem
Wohnzimmer auf dem Schreibtisch links.
Ach, du lieber Gott, die hat ja gar keinen
schwarzen Hornrand. Ich stehe noch in Unter-
kleidern. Gott im Himmel, ich spiele ja gar
nicht den Octavio. Den spielt ja der — der —
der. Ich spiele ja den — den — den da. Das
Kerlchen, den kleinen Mann. Gott sei gedankt,
Gott. Da hab ich noch Zeit. Da passiert unten
noch vieles. Aber sie singt ja schon. Die
haben da unten ein Tempo. Was hab ich zu
sagen? Das Buch geht ja nicht auf.
Haben Sie kein größeres Buch? Was
hab ich denn zu sagen? Was ist mein
erster Satz? „Sie können ganz langsam
sprechen, der Souffleur sagt Ihnen alles
vor.“ Ich komme doch gleich. Machen
Sie hinten zu. Wie heißt der Satz? „Razzia
für den nämlichen Tonfall.“ Richtig, jetzt
fällt es mir ein. Ich hatte gestern sogar einen
Erfolg, als ich hinaustrat und diese Worte
sagte. Richtig: „Razzia für den nämlichen
Tonfall.“ Razzia! Razzia! Ich hab es ge-
sprochen, wie man sagt: Gnade, oh Herr,
Gnade! Im flehenden Ton, wie ein Bettel-
mönch. Oder wie man sagt: Gnade für meine
Mutter. Razzia für den nämlichen Tonfall!
Mit Zittern in der Stimme. Es hatte Eindruck
gemacht. Ich weiß selbst nicht, warum. Ich
verstehe den Satz gar nicht. Friseur, ich kann
doch nicht so hinausgehen. Ungeschminkt und
mit dem Kneifer. So ist’s recht. Machen Sie
mir das Gesicht ganz dunkel. Gnade, oh Herr,
Gnade. Das ist ja ganz falsch. „Razzia für
den nämlichen Tonfall“, das kann man doch
nicht so sprechen wie: Gnade für meine Toch-
ter. Aber es hat gefallen. Niemand lächelte.
Keiner spottete. Keiner war dagegen. Und

alle hatten es hören müssen. Eine so kleine
Rolle und ein einziger Satz und ich bin oben-
drein der Jüngste. Aber auch der König blieb
ganz ernst. Und er stand sogar mit dem
Rücken gegen das Publikum. Ist das meine
Mütze? Die ist ja aus Katun, geblümtes
Muster, lila. Ach so, die Perrücke ist gleich
dran. Das ist gut, das geht schnell. Ruff,
ruff, ruff. Das macht mich viel kleiner. Jetzt
versteh ich: Razzia heißt — was heißt das?
Ich kann’s ja sehen. Jetzt sehe ich es ja.
„Razzia für den nämlichen Tonfall.“ Hab
ich’s schon gesagt? Ich erinnere mich
gar nicht. Und jetzt steht in der Rolle: Oben
rechts gegen die Sterne ab. Aha, aha, jetzt
versteh ich alles. Aha, ich komme selbstver-
ständlich von den Sternen, deswegen „Razzia
für den nämlichen Tonfall!“ Ich komme von
den Sternen, trete dann etwa vier Meter in
die Breite und sieben bis acht Meter hoch
auf. Alles schwarzes Glanzpapier mit eini-
gen goldenen Sternen drauf. Und dann, wie
gesagt, ganz oben rechts in der Ecke ab in die
Sterne.
Ausdeutung des Traums
Daß Schauspieler vom Theater träumen, ist
nichts ungewöhnliches. Es ist um so häufiger,
je weniger sie in der Wirklichkeit auftreten.
Seitdem mich das Theater als unverdaulichen
Bissen ausgespuckt hat, träume ich oft von
Rollen, deren Text mir unbekannt ist, vom
Ankleiden, das nicht zu Ende kommt und von
Texten, die in Büchern nicht zu finden sind.
Soweit ist der Traum leicht zu deuten. Daß
ich aber den Octavio spielen sollte, bereitet
meiner Auslegung größere Schwierigkeiten.
Ich habe niemals in meinem Leben eine Auf-
führung des Wallenstein gesehen, habe nie in
einer Vorstellung des Wallenstein, auch nicht
als Statist, mitgewirkt. Der Traum geschah
in der Nacht vom 6. zum 7. Oktober um 4.15
früh. Am Tage vorher hatte ich den Besuch
eines jungen Schauspielers gehabt, der mir

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