Verpusterohre
Auch die Flötbesen und Fagonschrubber kom-
men in Pan-Europa leider immer noch viel
zu selten zur Privatsache. Das aufgeweckte
Volksbewußtsein jedes Einzelnen braucht
lange Zeit, um völlig aufzuwachen. Das ist
aber schade, unpraktisch und gar nicht tapfer.
Der Kommissar für Wohlfahrt und Belusti-
gung weist hierdurch auf einen Apparat hin,
der infolge seiner leichten Handhabung allen
Menschen gewissermaßen ans Herz gelegt
werden muß. Aus der Gebrauchsanweisung
geht hervor, daß das Instrument sogar an den
Mund gelegt werden soll.
Es dient der Sauberkeit sowie der begabten
Handhabung in treuer Einheit wohlgemut.
Denn es besteht aus einem gemeinen Stuben-
besen oder Zimmerschrubber, dessen Hohlstiel
sinnvoll zu einer Flöte ausgeartet ist. Die Be-
hörde hofft, daß so der Barrikadenkampf hin-
tertrieben werden kann, indem der Kommu-
nismus zwischen Handwerk und Mundwerk
von allen Radiofreunden im trauten Heim voll-
zogen werden wird. Der optimistische Dezer-
nent schreibt unter Ziffer sechs: „Fege jeder
edle Mitmensch und Genosse sich eins im
Stillen und blase er sich durch das ventilierte
Verpusterohr den feinen Glasstaub politischer
Erregung von der Leber alle Nasen lang.
Wenn das geschieht am dürren Besenholz,
Sie sollen doch sehen, unsere Hausfrauen be-
kommen wieder Lust zum Fegen. Ein wahres
Fegefeuer wird in ihnen erlohen. Die
brennendsten Lohnfragen werden darin ver-
stummen. Und alles geht friedlich mit Musik
vonstatten. Auch die Teppiche und die Ganz-
Matten werden mit Etüden bekehrt. Es geht
endlich voran. Jeder Laie wird in kurzer Zeit
ein fertiger Dilettant. Er folgt einfach dem
voranspringenden Nasenbein, dringt säubernd
in die kleinsten Winkelchen seiner Gewohn-
heit, zwitschert sich ab und zu eins auf seiner
Fegschalmei, und bessert seine seelische Po-
samenterie zusehends. Ganze Konzerte und
Operetten, von Musik-Konzernen ganz zu
schweigen, werden sich hören und sehen
lassen. Kurz, diese Apparate werden die
Physiologie der westeuropäischen Unkultur
berücken und barock bereichern.
Der Herr Dezernent hat bürgerliche Qualitä-
ten, muß man zugeben. Doktor Bierfreund
heißt er infolgedessen, sozusagen „auch
Einer“.
Nach dem Gebrauch wird der Fagottschrubber
geschüttelt und über Nacht, mit den Borsten
gen Himmel, kaltgestellt. Denn das Mund-
wasser gefriert leicht, wenn es nicht gut ab-
läuft. Sollten dennoch Gefriererscheinungen
zu bemerken sein, haut man morgens kräftig
den Apparat kurzerhand um die Litfaßsäule,
damit die betroffenen Eiszapfen warm werden.
Der Flötenstiel wird dann sehr bald auf den
Gedanken platzen, eisern zu erstarken. Er hält
auch länger, wenn man ihn kurz hält.
Dem Erfinder, einem gewissen Kasematt, sei
es anbei gestattet, seine unterschiedlichen Er-
fahrungen mit den ersten Flötbesen bekannt-
zugeben. Genosse Kasematt hatte fünf Ver-
suchsfeger im Keller angestellt, um nicht zu
sagen, „an die Wand gestellt“. Zwei davon
alterten und ergrauten rasch und gingen, so
spukhaft es klingen mag, offenbar aus einem
naheliegenden Rohr-Atavismus, geradenwegs
in die Binsen. Die drei übrigen blieben
standhaft. Kasematt grübelte tief und tiefer,
warum sich wohl nur jene zwei aus dem
Kellerstaube gemacht haben mochten. Hatten
denn die anderen etwa andere soziale Bedin-
gungen gehabt. Hatten sie, die Zurückgeblie-
benen etwa innere Anlässe, gewissermaßen
Unbeweggründe in ihren Holzköpten gehabt,
statische Bedenken gar, die ihnen zugeraunt
haben mochten: „Bleibt, o bleibt, es ist Musik
im Anzuge!“ — Es war eine schockschwere
Not für Kasematt, den Problematiker, gewe-
sen. Endlich aber drang auch in seinen Keller
Licht, und er erkannte Mäuse, Singmäuse, eine
Abart der gemeinen Hausmaus, die der Bota-
niker mit dem Namen mus musculus bezeich-
net. Diese Musikanten hatten Nacht um Nacht
auf den drei standhaften Flötbesen gespielt
und getanzt, so lieblich getanzt und so artig
gepfiffen, daß die Katzen Reißaus genommen
und die Besen ihre Lust gehabt hatten. La-
chend, erlöst und dankbar fing Kasematt die
entzückenden Tierchen, die ihn seit Wochen
vor der abscheulichen Katzenmusik seines
Hinterhauses bewahrt hatten, lud sie in eine
möblierte Pappschachtel und trug sie vorsich-
tig auf den geräumigen Trockenboden des
Hauses, wo sie sich zu seiner Freude alsbald
um ihr Hundertfaches vermehrten und zu-
gleich an den Kartoffeln der kunstfeindlichen
Untermieter, die eine Schnapsbrennerei eröff-
nen wollten, zum Wohle des ganzen deutschen
Volkes schadlos hielten.
Die drei klugen Flötbesen aber kamen dabei
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Auch die Flötbesen und Fagonschrubber kom-
men in Pan-Europa leider immer noch viel
zu selten zur Privatsache. Das aufgeweckte
Volksbewußtsein jedes Einzelnen braucht
lange Zeit, um völlig aufzuwachen. Das ist
aber schade, unpraktisch und gar nicht tapfer.
Der Kommissar für Wohlfahrt und Belusti-
gung weist hierdurch auf einen Apparat hin,
der infolge seiner leichten Handhabung allen
Menschen gewissermaßen ans Herz gelegt
werden muß. Aus der Gebrauchsanweisung
geht hervor, daß das Instrument sogar an den
Mund gelegt werden soll.
Es dient der Sauberkeit sowie der begabten
Handhabung in treuer Einheit wohlgemut.
Denn es besteht aus einem gemeinen Stuben-
besen oder Zimmerschrubber, dessen Hohlstiel
sinnvoll zu einer Flöte ausgeartet ist. Die Be-
hörde hofft, daß so der Barrikadenkampf hin-
tertrieben werden kann, indem der Kommu-
nismus zwischen Handwerk und Mundwerk
von allen Radiofreunden im trauten Heim voll-
zogen werden wird. Der optimistische Dezer-
nent schreibt unter Ziffer sechs: „Fege jeder
edle Mitmensch und Genosse sich eins im
Stillen und blase er sich durch das ventilierte
Verpusterohr den feinen Glasstaub politischer
Erregung von der Leber alle Nasen lang.
Wenn das geschieht am dürren Besenholz,
Sie sollen doch sehen, unsere Hausfrauen be-
kommen wieder Lust zum Fegen. Ein wahres
Fegefeuer wird in ihnen erlohen. Die
brennendsten Lohnfragen werden darin ver-
stummen. Und alles geht friedlich mit Musik
vonstatten. Auch die Teppiche und die Ganz-
Matten werden mit Etüden bekehrt. Es geht
endlich voran. Jeder Laie wird in kurzer Zeit
ein fertiger Dilettant. Er folgt einfach dem
voranspringenden Nasenbein, dringt säubernd
in die kleinsten Winkelchen seiner Gewohn-
heit, zwitschert sich ab und zu eins auf seiner
Fegschalmei, und bessert seine seelische Po-
samenterie zusehends. Ganze Konzerte und
Operetten, von Musik-Konzernen ganz zu
schweigen, werden sich hören und sehen
lassen. Kurz, diese Apparate werden die
Physiologie der westeuropäischen Unkultur
berücken und barock bereichern.
Der Herr Dezernent hat bürgerliche Qualitä-
ten, muß man zugeben. Doktor Bierfreund
heißt er infolgedessen, sozusagen „auch
Einer“.
Nach dem Gebrauch wird der Fagottschrubber
geschüttelt und über Nacht, mit den Borsten
gen Himmel, kaltgestellt. Denn das Mund-
wasser gefriert leicht, wenn es nicht gut ab-
läuft. Sollten dennoch Gefriererscheinungen
zu bemerken sein, haut man morgens kräftig
den Apparat kurzerhand um die Litfaßsäule,
damit die betroffenen Eiszapfen warm werden.
Der Flötenstiel wird dann sehr bald auf den
Gedanken platzen, eisern zu erstarken. Er hält
auch länger, wenn man ihn kurz hält.
Dem Erfinder, einem gewissen Kasematt, sei
es anbei gestattet, seine unterschiedlichen Er-
fahrungen mit den ersten Flötbesen bekannt-
zugeben. Genosse Kasematt hatte fünf Ver-
suchsfeger im Keller angestellt, um nicht zu
sagen, „an die Wand gestellt“. Zwei davon
alterten und ergrauten rasch und gingen, so
spukhaft es klingen mag, offenbar aus einem
naheliegenden Rohr-Atavismus, geradenwegs
in die Binsen. Die drei übrigen blieben
standhaft. Kasematt grübelte tief und tiefer,
warum sich wohl nur jene zwei aus dem
Kellerstaube gemacht haben mochten. Hatten
denn die anderen etwa andere soziale Bedin-
gungen gehabt. Hatten sie, die Zurückgeblie-
benen etwa innere Anlässe, gewissermaßen
Unbeweggründe in ihren Holzköpten gehabt,
statische Bedenken gar, die ihnen zugeraunt
haben mochten: „Bleibt, o bleibt, es ist Musik
im Anzuge!“ — Es war eine schockschwere
Not für Kasematt, den Problematiker, gewe-
sen. Endlich aber drang auch in seinen Keller
Licht, und er erkannte Mäuse, Singmäuse, eine
Abart der gemeinen Hausmaus, die der Bota-
niker mit dem Namen mus musculus bezeich-
net. Diese Musikanten hatten Nacht um Nacht
auf den drei standhaften Flötbesen gespielt
und getanzt, so lieblich getanzt und so artig
gepfiffen, daß die Katzen Reißaus genommen
und die Besen ihre Lust gehabt hatten. La-
chend, erlöst und dankbar fing Kasematt die
entzückenden Tierchen, die ihn seit Wochen
vor der abscheulichen Katzenmusik seines
Hinterhauses bewahrt hatten, lud sie in eine
möblierte Pappschachtel und trug sie vorsich-
tig auf den geräumigen Trockenboden des
Hauses, wo sie sich zu seiner Freude alsbald
um ihr Hundertfaches vermehrten und zu-
gleich an den Kartoffeln der kunstfeindlichen
Untermieter, die eine Schnapsbrennerei eröff-
nen wollten, zum Wohle des ganzen deutschen
Volkes schadlos hielten.
Die drei klugen Flötbesen aber kamen dabei
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