in denen die Lust des Fleisches von seeli-
schem Weh möglichst gereinigt ist. Man hat
über ihn gelacht als über ein Kuriosum. Und
wir haben, weil wir nicht auf ihn und seines-
gleichen hörten, diese stupide, kostspielige,
mit Apachentum, Alkohol, Nikotin, Kokain
und Flagellantentum durchsetzte Prostitu-
tion des neunzehnten und zwanzigsten Jahr-
hunderts, die wir nur etwas durch einen
gewissen Kultus der Nacktheit — der
aber viel zu geschäftsmäßig ist — zu rehabi-
litieren versuchen.
Königin Goldspinst im Monde
Eine Königin hatte einen Mondbalkon, auf den
sie flüchtete wenn nebenan im Schlaftapeten-
würfel die Mäuse am Rokokoschneckenbein
des schiefen Tischchens hochzibberten, um
dort das harte Brot der Wirklichkeit zu krü-
meln. Draußen aber rauschte das Meer zum
Knarren schwerer Fruchtbäume und der
zackig bewegte Umriß der schwarzen Welt
konnte den Mondball nicht greifen. Immer
saß sie und spann Herbstfäden in den Früh-
ling, Frühlingsfäden in den Herbst. Von ihrem
Leib wand sich eine Spirale zehrender und
gaukelsatter in seine blassen Verheissungen,
daß die Kühle aus Händen und Füßen sich
zusammenzog und Froschkrallen um ihr Herz
legte. Schließlich hielt die Blutleere nur noch
einen durchsichtigen Amethyst in den Fin-
gern, dessen Funkeln sich von Innen her an
den Perlmuttwänden ihrer Haut brach. Nur
leise streiften die feuchten Lippen des Mondes
die müden Zünglein auf den ungekosten Lust-
hügeln zwischen ihren Fragearmen, bis eine
Bewußtseinsbrise ihre Schultern leibeinwärts
bog und den Schnitt ihres Schoßes noch enger
verbarg. Dann verwirrten sich die Rosen ihres
Schalschutzes schringend mit dem Silber der
Gürtelspange und die schweren Goldfransen
ihres Nervengewebes rieselten bis auf den
Samt der Fußknöchel nieder. Da wippten die
Zehhebel elektrisch hoch, daß sich der Raum
drehte, sie rannte am stimmend’ leeren Bett
vorbei, zum Rahmen hinaus und im Wendel
der Treppe herum schoß sie irgendwo auf
Gartenscholle, aber noch weiter bis an den
Strand, wo Krebse mit ihren Scheren die
Ewigkeit in den Tag zwickten. Da war Grön-
land mit hochgetürmter Frostkrone über
schüchternen Leberblümchen, und das Gehörn
oder Geweih kämpfender Rentiere und
Moschusochsen trieb im Gesplitter den Klang
einer Stahlfeder in ihr Herz. Das bog den
Nacken rückwärts und die Tanghaare ihres
Kopfgongs flatterten einen Kriegstanz. Weit
hoch sprang ihr Herz und glitschte ein flacher
Kiesel über die Rücken von Walen und Rob-
ben hinweg, immer weiter sich erhitzend bis
es brennend einsam in der Sahara lag. Da
hörte es nachts das Gebrüll der Hungerwogen
schleichender Löwen, tags verzückte es in der
Brutstille lichtprutzelnder Sonnenperlen. So
hob sie der lachende Griff eines Fischers in
seine geteerte Plankenschale und sie schau-
kelte im Auf und Nieder der Fatamorgana, un-
berührt von den Schwielen sachlicher Kraft,
während unter ihr in listigen Maschen gite
und dumme Fischlein zappelten. Und wenn
eine Festlaune des Volks ein Flugkarussell an
den Strand trieb, dann flog sie mit breiten
Burschen im Stahlkorb rund im Kreis, daß das
aufquietschende Geleier von Matrosenscher-
zen in ihre Röcke hinein und zum Ohr wieder
hinauskroch. So trieb sie die Werktagslaune
des Volks auch in die große Stadt, wo in
Cafes und Kinos noch die letzten Nachkom-
men schwieliger Hände an den Strohhalm
greifen, um die Zitrone des Wissens zu schlür-
fen. Manchmal sitzt sie noch auf ihrem Mond-
balkon, denn der Traumhof wird immer wie-
der rund und voll und kullert über die Hoch-
bahnkurven der Menschen hinab in den Kanal,
auf dem geteerte Planken ordentlich gebrann-
te Ziegel fahren. Denn die Menschen bauen
sich immer höher in den Himmel, vielleicht ist
dort das Goldgespinst zu finden.
Thomas Ring
Fortschritt
Kleist (Heinrich von). Von dieses Dich-
ters äußerem Leben ist außer seinen Kriegs-
diensten am Rhein, mit seinem trefflichen
Freunde Fouque, seinem Aufenthalt in Dres-
den, und endlich seinem, im Verein mit seiner
Freundin, Adolphine Sophie Henriette Vogel,
geb. Keber, am 21. November 1811 in einem
nahe bei Potsdam gelegenen Gehölze voll-
zogenen Selbstmord, in der Blüthe der Jahre,
der Dichtkunst und der Liebe, nichts Erheb-
liches bekannt. Diess nun ist bei Männern die-
schem Weh möglichst gereinigt ist. Man hat
über ihn gelacht als über ein Kuriosum. Und
wir haben, weil wir nicht auf ihn und seines-
gleichen hörten, diese stupide, kostspielige,
mit Apachentum, Alkohol, Nikotin, Kokain
und Flagellantentum durchsetzte Prostitu-
tion des neunzehnten und zwanzigsten Jahr-
hunderts, die wir nur etwas durch einen
gewissen Kultus der Nacktheit — der
aber viel zu geschäftsmäßig ist — zu rehabi-
litieren versuchen.
Königin Goldspinst im Monde
Eine Königin hatte einen Mondbalkon, auf den
sie flüchtete wenn nebenan im Schlaftapeten-
würfel die Mäuse am Rokokoschneckenbein
des schiefen Tischchens hochzibberten, um
dort das harte Brot der Wirklichkeit zu krü-
meln. Draußen aber rauschte das Meer zum
Knarren schwerer Fruchtbäume und der
zackig bewegte Umriß der schwarzen Welt
konnte den Mondball nicht greifen. Immer
saß sie und spann Herbstfäden in den Früh-
ling, Frühlingsfäden in den Herbst. Von ihrem
Leib wand sich eine Spirale zehrender und
gaukelsatter in seine blassen Verheissungen,
daß die Kühle aus Händen und Füßen sich
zusammenzog und Froschkrallen um ihr Herz
legte. Schließlich hielt die Blutleere nur noch
einen durchsichtigen Amethyst in den Fin-
gern, dessen Funkeln sich von Innen her an
den Perlmuttwänden ihrer Haut brach. Nur
leise streiften die feuchten Lippen des Mondes
die müden Zünglein auf den ungekosten Lust-
hügeln zwischen ihren Fragearmen, bis eine
Bewußtseinsbrise ihre Schultern leibeinwärts
bog und den Schnitt ihres Schoßes noch enger
verbarg. Dann verwirrten sich die Rosen ihres
Schalschutzes schringend mit dem Silber der
Gürtelspange und die schweren Goldfransen
ihres Nervengewebes rieselten bis auf den
Samt der Fußknöchel nieder. Da wippten die
Zehhebel elektrisch hoch, daß sich der Raum
drehte, sie rannte am stimmend’ leeren Bett
vorbei, zum Rahmen hinaus und im Wendel
der Treppe herum schoß sie irgendwo auf
Gartenscholle, aber noch weiter bis an den
Strand, wo Krebse mit ihren Scheren die
Ewigkeit in den Tag zwickten. Da war Grön-
land mit hochgetürmter Frostkrone über
schüchternen Leberblümchen, und das Gehörn
oder Geweih kämpfender Rentiere und
Moschusochsen trieb im Gesplitter den Klang
einer Stahlfeder in ihr Herz. Das bog den
Nacken rückwärts und die Tanghaare ihres
Kopfgongs flatterten einen Kriegstanz. Weit
hoch sprang ihr Herz und glitschte ein flacher
Kiesel über die Rücken von Walen und Rob-
ben hinweg, immer weiter sich erhitzend bis
es brennend einsam in der Sahara lag. Da
hörte es nachts das Gebrüll der Hungerwogen
schleichender Löwen, tags verzückte es in der
Brutstille lichtprutzelnder Sonnenperlen. So
hob sie der lachende Griff eines Fischers in
seine geteerte Plankenschale und sie schau-
kelte im Auf und Nieder der Fatamorgana, un-
berührt von den Schwielen sachlicher Kraft,
während unter ihr in listigen Maschen gite
und dumme Fischlein zappelten. Und wenn
eine Festlaune des Volks ein Flugkarussell an
den Strand trieb, dann flog sie mit breiten
Burschen im Stahlkorb rund im Kreis, daß das
aufquietschende Geleier von Matrosenscher-
zen in ihre Röcke hinein und zum Ohr wieder
hinauskroch. So trieb sie die Werktagslaune
des Volks auch in die große Stadt, wo in
Cafes und Kinos noch die letzten Nachkom-
men schwieliger Hände an den Strohhalm
greifen, um die Zitrone des Wissens zu schlür-
fen. Manchmal sitzt sie noch auf ihrem Mond-
balkon, denn der Traumhof wird immer wie-
der rund und voll und kullert über die Hoch-
bahnkurven der Menschen hinab in den Kanal,
auf dem geteerte Planken ordentlich gebrann-
te Ziegel fahren. Denn die Menschen bauen
sich immer höher in den Himmel, vielleicht ist
dort das Goldgespinst zu finden.
Thomas Ring
Fortschritt
Kleist (Heinrich von). Von dieses Dich-
ters äußerem Leben ist außer seinen Kriegs-
diensten am Rhein, mit seinem trefflichen
Freunde Fouque, seinem Aufenthalt in Dres-
den, und endlich seinem, im Verein mit seiner
Freundin, Adolphine Sophie Henriette Vogel,
geb. Keber, am 21. November 1811 in einem
nahe bei Potsdam gelegenen Gehölze voll-
zogenen Selbstmord, in der Blüthe der Jahre,
der Dichtkunst und der Liebe, nichts Erheb-
liches bekannt. Diess nun ist bei Männern die-