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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 16.1925

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5. Heft
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Wauer, William: Offener Brief an Herrn Dr. Behne
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Liebmann, Kurt: Kleiner Vogel zwitschert in den Abend
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Loos, Adolf: George Groß über sich selbst: Statt einer Biographie
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Wauer, William: Das entdeckte Gehirn, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.47215#0108

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schweigt
und
strahlt
und
Schauern kniet der Mensch.
Kurt Liebmann

George Groß über sich selbst
Statt einer Biographie
. . . Wie kommt der Künstler heute in der
Bourgeoisie hoch? — Durch Schwindel! —
George Groß
Aus der Wiener Zeitung „Der Tag“
Adolf Loos

Das entdeckte Gehirn
William Wauer Fortsetzung
Für den Biosophen gibt es die Schwierigkeit
dieses Scherzrätsels nicht. Und für Sie will
ich es durch eine recht anschauliche Vor-
stellung zu lösen versuchen, die Ihnen die ent-
stehende Möglichkeit von Rückbeziehungen
und die Entwicklung der Erkenntnisbildung
deutlich vor Augen führt.
Es ist zunächst einmal klar, daß mir der Ge-
danke: das ist Pfeffer, nicht kommen kann,
wenn ich nicht weiß, was Pfeffer ist und wie
Pfeffer schmeckt. Ich kann also nur erkennen
durch Vergleich mit bereits vorhandener
Kenntnis. Jede Erkenntnis aber ist auch
schon das Resultat von Denken, und jede Er-
kenntnis ist auch ein Wiedererkennen, ein
Anknüpfen von bisher Unbekanntem, eben
erst Bemerktem an schon Bekanntes. Jedes
neue Denken ist also abhängig von altem
Denken; jeder neue Gedanke von bereits ge-
dachten Gedanken; alles Gedachte vom Ge-
dächtnis. An diesen Grundtatsachen ist nicht
zu rütteln, wie Sie mir aus eigener Erfahrung
werden bestätigen müssen.
Wie aber kann sich Denken aus sich selbst
bedingen?
Ihnen allen wird der Entwicklungsvorgang auf
einer photographischen Platte bekannt sein.
Dann wissen Sie, daß die belichtete Platte,
die in der Dunkelkammer in ein Säurebad ge-
legt wird, vorerst eine ganz reine, fleckenlose
Elfenbeintonfläche zeigt. Unter der Einwir-

kung der Säure, also durch chemisch bewirkte
Umschichtung der Atome, die zu Lockerun-
gen und Verdichtungen in der lichtempfind-
lichen Gelatinemasse führen, tauchen nach
und nach anfangs ganz zarte, sich aber rasch
verstärkende dunkle Pünktchen, Linien und
Flecke auf, die den Stellen der Platte ent-
sprechen, die das hellste Licht bei der Auf-
nahme irgendeines Naturausschnittes ge-
troffen hat. Im weiteren Verlauf entwickelt
sich so durch fortgesetztes Dunkler- und
Dunklerwerden, entsprechend der Licht-
gestaltung des Naturbildes, ein völlig über-
einstimmendes Gegenbild, das man ein Nega-
tiv nennt. Auf diesem sind nunmehr alle
hellsten Stellen am dunkelsten gefärbt, die
in allmählichen Uebergängen bis zu den licht-
losesten Partien des abphotographierten
Naturausschnittes sich abschattieren, die auf
dem Negativ jetzt am hellsten erscheinen.
Durch weitere chemische Behandlung kann
man nun die negative Platte in den gleichen
Entsprechungen durchsichtig machen. Auf
diese Weise wird es möglich, das negative
Bild mittels einer neuen Belichtung licht-
empfindlicher Papierschicht durch die nega-
tive Glasplatte hindurch in ein naturgetreues
positives Bild zu verwandeln.
Das alles wird Ihnen bekannt sein.
Wenn Sie sich nun vorstellen, daß es mög-
lich sei — und es ist auch photographisch
möglich —, gleich das positive Bild zu ent-
wickeln —
wenn Sie sich weiterhin vorstellen wollen,
daß dies positive Bild eines Naturausschnittes
ein kinematographisches sei, also aus Tausen-
den von Einzelbildchen bestehe, die, in einer
zusammenhängenden Weise nacheinander
vorgeführt, Bewegungserscheinungen wieder-
geben —
wenn Sie sich schließlich vorstellen, daß diese
Vorführung gleichzeitig, während und mit der
Entwicklung stattfände —
dann würden Sie genau und deutlich dem
Entstehen einer Sehwahrnehmung zuschauen
können.
Sie würden damit ein getreues Gleichnis
des Denkprozesses in seinen Anfängen —
von der fleckenlosen unbeeindruckten Fläche
der Großhirnrinde aus — beobachtet haben.
In den ersten Tagen und Wochen jeder Säug-
lingsentwicklung können Sie die gleichen
Feststellungen machen. Das Kind hat zuerst
Eindruck von hellen Lichterscheinungen, die

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