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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 16.1925

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11./12. Heft
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Nebel, Otto: Verpusterohre
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Schwitters, Kurt: Merfüsermär
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https://doi.org/10.11588/diglit.47215#0229

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chende Vormund gefegt werden können,
meine Lieben, der ist beileibe der eigentliche
Schornsteinfeger des Herzens, zumal im teu-
ren Vaterland.
Hoch lebe Viktor Kasematt.
Otto Nebel

Merfüsermär
Es war da auch ein kleines armes Kind
namens Hertha aus der Stadt Wien, weil Wien
nach dem Weltkriege eine arme Stadt war.
Diese kleine Hertha hatte auch ein Ei vom
alten Hahnepeter bekommen, weil sie zufällig
auch mit bei Hahnemanns gewesen war, als
Hahnepeter seinerzeit seine 13 Eier legte. Sie
war so arm, daß sie nicht das Geld hatte, sich
das Ei ausbrüten zu lassen, und sie hatte auch
keine Beziehungen, etwa, daß die Mücken oder
Fliegen das Ei ausgebrütet hätten. Sie
hatte noch nicht einmal Blumen. Da sie das
Ei aber doch gerne ausgebrütet haben wollte,
so nahm sie es in die Hand. Ihr müßt Euch
das nur einmal vorstellen, was es bedeutet,
solch ein Ei 13 Tage und 13 Nächte in der
Hand zu halten, ohne es zu zerdrücken. Und
Hertha, das arme Kind, brachte dieses Wun-
der fertig. 13 Tage und 13 Nächte hielt sie
das Hahnepeterei in der Hand, und wenn die
Eihand lahm geworden war, legte sie es
in die andere. Das Ei wurde ganz weich
von dem vielen Anfassen, und die arme
Hertha drückte ihre dürren Fingerchen darin
ab. Und nach 13 Tagen, als sie so daran
herumknetete, wurde die Masse plötzlich
dehnbar, zog lange Fäden, wirbelte sich auf,
wurde größer und größer und nahm die voll-
ständig unsichtbare Form eines Trianeders
an. Ihr könnt alle Lexika durchblättern, Ihr
findet nicht einmal den Namen eines Triane-
ders dort verzeichnet, denn es ist ein Vehikel,
wie es nur in der Dimension des Mars vor-
kommt. Alan kann damit nicht auf den
Straßen, auf oder unter Wasser fahren, auch
nicht in der Luft, sondern am besten fährt es,
wo keine Luft ist. Die Marser, d. h. die Unter-
tanen der Dimension des Mars, benutzen es
viel zum Reisen im Aether des Weltenraumes.
Denn die sind sehr reiselustig, weil sie von
den Engländern abstammen. Wir können sie
nicht sehen, denn sie leben in der vierten
Dimension. Sie selbst sehen aber alles, d. h.

sich selbst sehen sie auch nicht. Sie leben in
der gesamten Einflußsphäre des Mars, also
auch teilweise auf Erde, Mond oder Piffikon.
Vielleicht treiben sie ihre Kurzweil mit uns und
wir, die in der dritten Dimension leben, mer-
ken nicht einmal etwas davon. Auch Hertha
merkte das Trianeder nicht, welches sie aus-
gebrütet hatte, bis sie plötzlich durch ein
Parafi berührt wurde.
Durch Berühren mit dem Parafi an dem soge-
nannten Blitzableiter, oder wie man es in an-
deren Gegenden nennt, dem Musikknochen,
das heißt jenem Nervenstrang am Arme kurz
unterhalb des Ellenbogens machen die Marser
ihnen genehme Menschen plötzlich marsisch,
man nennt das auf der Welt: einen Schlag
kriegen. Der Mensch kriegt einen Schlag,
fällt um und ist eine Leiche. Das heißt nur,
seine dreidimensionale Einkleidung verleicht,
während die vierdimensionale Seele, das heißt
die, wo nicht sauer ist, treibt ab in ihre ihr
eigentümliche Vierdimensionalität. Man kann
sich das als Mensch kaum vorstellen, aber die
Seele bleibt, was sie war, sie wirft nur ihren
Ballast ab, und ist nun plötzlich Marsier ge-
worden. Hertha hatte anfangs gedacht, das
Ei wäre ihr unter den Händen zerschmolzen,
als es sich in einen Trianeder verdimensioniert
hatte. Denn sie sah nur die Knetflatschen,
die dabei heruntertropften. Die Seele des
Hahnepetereis, die ein Trianeder war, konnte
sie nicht sehen. Da machte sie einen blöd-
sinnigen Mund und deshalb berührte sie aus
Gutmütigkeit ein zufällig vorbeireisender
Marsier mit dem Parrafi. Jetzt wurde sie
marsisch, und man nannte sie Poldeli. Es
war ein seltener Fall, daß ein junger Alensch
schon einen Schlag bekommt, meist bekom-
men erst ältere Herrschaften Schläge, Ge-
heimräte und so, die durch ihre Gelehrsam-
keit den Marsbewohnern aufgefallen sind,
und die sich quasi selbst in ihre Vierdimensio-
nalität hineingearbeitet hatten. Wenn nun
aber die Dreidimensionalität bei so einem Ge-
heimrat, der einen Schlag bekam, zu stark
war, so blieb der Körper einstweilen teilweise
dreidimensional und wurde teilweise mar-
sisch. Son halber Geheimrat lebt dann im
Reich des Alars, der Rest bleibt erdgebunden.
Die Menschen nennen das: der Herr Geheim-
rat ist durch einen Schlag linksseitig gelähmt.
Eines Tages aber holt sich die zweite Hälfte
des Herrn Geheimrat die erst nach, und nun
sagen die Menschen, die stets großes Mit-

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