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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 16.1925

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7. u. 8. Heft
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Dolbin, Benedikt F.: Die internationale Ausstellung neuer Theatertechnik in Wien
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Liebmann, Kurt: Dichtungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.47215#0142

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trägt die Benennung „Raumbühne“, obzwar
das Spiel darauf bestenfalls als plastisches
Spiel vor einem Rundprospekt bezeichnet
werden kann.
Das von allen Künstlern der Ge-
genwart geforderte und er-
strebte dynamische Raumspiel
ermöglicht die „Raumbühne“ von Fried-
richKiesler. Hier ist das Spielgerüst,
in seinen inhaltlichen Bedingungen der Mey-
erholdschen Bühne verwandt, von dem aus
der Protagonist, gleichsam als Ausdruck
einer revolutionären Masse auf
das oberste Spielplateau geschleudert, zu ihr
zu sprechen hat. In seiner Aufgangsspirale,
in seinem Rundbau birgt sich die Schleuder-
kraft der Massenbewegung. Das Wesen die-
ser Bühnenform bedingt die zentrale Anlage
wie das Raumspiel der Schauspieler; fordert
auch in seiner letzten Konsequenz die Rund-
maske, die symbolische Spielgestalt,
den Antipoden der naturalistischen
Sphäre der Bühnenwelt.
Daß die gegenwärtige technische Gestalt die-
ser Bühne erst den Keim der reifen Gestalt
darstellen kann, ist selbstverständlich. Aber
schon dieser erste Versuch muß als ebenso
geglückt bezeichnet werden, wie die neuar-
tige Ausstellungsform Kieslers, die eine Art
„Schau ohne Beschaulichkeit“ darstellt.
Das Verdienst der Stadt Wien, den von der
Gesellschaft moderner Kunst mit Rat und Tat
geförderten Plan Friedrich Kieslers im Rah-
men des Musik- und Theaterfestes verwirk-
licht zu haben, kann nicht stark genug her-
vorgehoben werden.
Der Widerhall in den geistigen Zentren Eu-
ropas zeugt für die Keimfähigkeit dieser Ver-
suche einer Umgestaltung des Theaters und
des Ausstellungswesens.
Ingenieur B. F. Dolbin/Wien

Dichtungen
Kurt Liebmann
Gräser und Sterne
Schlanknahe beben sie immer im purpurnen
Kuß der Sterne. Auch Sonnen reihen sich per-
lend zwischen ihre Gewebe und sie sind nahe
allnahe näher als alle Umarmungen Liebender.
Sie pulsen das Blut in das Lichten und bräut-

lich zittern sie im leisesten Atem der Sterne.
Neigend wehen sie in die Arme des Winds und
wiegen flüsternd die Frühe.
Zu Mittag schrecken sie schräg vor der Wage
der Welt oder kerzen empor und leuchten die
Wende der Stunden. Leuchten auch mitter-
nachts und läuten die Mitte der Nacht.
Die Bösen schlottern im Schrillschrei der Grä-
ser zirrr zirrr. Blut zückt aus den Wiesen
der Erde drin baden die Sternenhelden. Schon
quellen aber die Brüste der Frühe empor und
die zitternden die Halme hauchen den Strah-
len entgegen.
Ihr Blut tönt eine Harfe.
Le corps est mort
--und die Wolken sind geöffnet und eine
Blutharfe. Tastzitternd entzüngeln die Ge-
webe. Schon tanzt ein Mädchen zartelfenbein
trägt einen Kranz blauhüpfer Flämmchen im
Haar. Viele wehts an und sinken hin. Die
Tiere die edlen schwimmen im Atem Gottes in
die Welt. Vom Felsen überm Fluß hoch wirft
sich ein Kind auf Flügeln in die Luft silbern
und der Abend sinkt hin am Wege und röchelt.
Aber die Sonne ist ein schwarzer Diamant und
— oh — ich weiß nicht wohin wohin. Viel-
leicht kommt jetzt der Gottesvogel rotspan-
nend und ich bin Raub für weite weite Ferne.
Vielleicht vielleicht — es ist schon spät.

Nachtentlang
Es ist unendlich starr
ich wage mich nicht weiter
meinen Fuß umrollt ein Kopf
unnennbar Leid vertropfend
es klopft und klopft und klopft
wild bäumt sich ein Geläute
und rot Gemäuer stäubt
mein Weinen klirrt zerfroren
wank rankt mein Mund zum Mond
ein Vogel schlüpft durchs Haar mir
Nachtlilie züngelt zisch
es ist viel Weh im Wehen
und es ist spät und kalt.

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