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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 16.1925

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11./12. Heft
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Blümner, Rudolf: Razzia
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Schreyer, Lothar: Gedichte
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Knoblauch, Adolf: Tatdenker
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https://doi.org/10.11588/diglit.47215#0215

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nen, vom Wandel der Sterne, die ihm ihren
Rhythmus geborgt haben und er kehrt zu den
Sternen zurück, um sich dankbar dem Rhyth-
mus der Planeten wiederzugeben. Ab oben
rechts zu den Sternen. Ueber schwarzes
Glanzpapier, das mit wenigen, wenigen Ster-
nen bestreut ist.
Rudolf Blümner

Gedichte
Leben
Der Strom von Blut bäumt über den steilen
Fels
Das Feuer bebt
Die Täler füllen sich mit Brausen
Die Menschen wallen in die Welt
Das Jauchzen dröhnt
Die Kinder werden geboren
Die Mädchen verhüllen ihren Leib
Die Knaben treiben die Pferde
Die Blicke der Jungfrauen empfangen die
Blicke der Jünglinge
Der Mann hebt das Schwert und den Pflug
Die Mutter singt über der Wiege
Mann und Weib graben die Erde
Der Greis beugt sich tief und die Greisin beugt
sich tief
Die Erde begräbt den Körper des alten Mannes
Die Blumen über der Erde blühen auf dem
Grab der alten Frau
Die Kinder geben sich die Hand und gehen
Die einsame Mutter lächelt mild
Die Woge rollt glitzernd an den Strand
Du wirfst Dein Fühlen in die Welt
Und lebst
Angst
In Mondnacht weint die Mutter ihren Schmerz
Die Kinder lächeln einsam in dem Schlaf
Die Männer wachen trüb und wachen über
Frauenleichen eifervoll
Das ist der Tag der Angst
Die falsche Sonne schüttet das Geschmeide
auf der Jungfrau Brust
Die Steine fallen klirrend auf der Jungfrau
Brust
Gelächter schneidet in das sanfte Wehen der
Geburt
Und es zerreißt der Leib der Welt

Aus offnem Auge starrt erloschner Stern
Die welken Kränze zerwehen
Die trauernden Stimmen singen das ver-
gessene Lied zu spät
Lothar Schreyer

Tatdenker
Tatdenken — Weisheitsdenken — Führungs-
denken!
Wer Ohren hat, der höre! Wer Augen hat,
der sehe!
Ich höre den Chor der Stillen, derer, die miß-
vergnügt im Lande ringsum sitzen, Tiefsinns-
verschroben sich abgekehrt haben von Aller-
welts-Gedanken und Allerwelts-Parteien. Er-
geben den Afterweisen und Charlatanen, die
ihre altertümlich seßhaften Denkgewohnheiten
schonen und sie gar rühmlich Überhöheni
durch ihre Ichologie und Superstition der
Afterpsychologie. Ich sehe die Werke der
Weisheitsphilosophie und des Tatdenkens:
wurmverwandelt ließen sie das Wort hinter
sich und endlose Filmrollen seichten Ge-
schwätzes streifen in die Luft. Ich sehe die
erhabenen Köpfe innerhalb ihrer vier Pfähle,
da Tatdenken, Weisheitsdenken, Führungs-
denken den Tabaksdunst wölken, und behag-
lich Schlummerrollen und Sofa die Wanken-
den stützen. Ich sehe Mittelbürger, Pfahl-
bürger, wahlergeben den Impotenten, demütig
bereit, ihr Scherflein auf die Altäre der
menschlich allzumenschlichen Notdurft jener
Tatdenkenden, Weisheitsdenkenden, Füh-
rungsdenkenden zu entrichten, um an dem
Glück der Selbstbewunderung und Selbst-
überhöhung teilzunehmen.
Tatdenken verkündet sich selbst die philoso-
phische Unsterblichkeit. Eine Produktion in
Deutschland von jährlich 3—4000 urorigina-
len philosophischen Büchern, welche Deutsch-
land erweist als Land der Weisheit, hat im
Tatdenker ihren Gipfel gefunden.
Die Abderiten hätten den Tatdenker zu ihrem
Gott erwählt. Aus den Tiefen der tastenden
Stille von 3000 philosophischen deutschen
Werken hat sich der Münchhausen der deut-
schen Philosophie*) in die Könnensschwebe
emporgerückt, da er nun Tatdenkend, Weis-
heitsdenkend, Führungsdenkend: Spannun-

*) Tatdenker Willy Schlüter

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