ser Art eben nicht zu beklagen, da sie mit
ihrem Innern und Seyn zahlen. In Hinsicht
aber auf seine letzte unglückliche That,
welche, den Umständen nach, eher beklagt
und bemitleidet, als lieblos gerichtet zu wer-
den verlangt, haben die Flugblätter des Ta-
ges leider einen gleich unfrommen, wie un-
zarten Sinn an den Tag gelegt, indem sie die
beiden Todten lästerlich verdammten. Hier-
über nun kann man nichts, als den Zuruf vor-
bringen: richtet nicht, so werdet ihr auch
nicht gerichtet! ohne daß man deshalb sich
einer schlaffen Sittlichkeit befürchten dürfte.
Indess ist ein solches Benehmen nicht be-
fremdend, da gerade die Schaar der Kunst-
schwätzer und Klätscher ihn als Dichter zu
würdigen nicht verstand. Unbefangen aber
von diesem Geschnatter der literarischen
Capitoliumsgänse, darf man ihm den Dichter-
beruf allerdings zuerkennen, und bedauern,
daß er nicht länger unter uns geweilt, um
sich mehr und mehr auszubilden.
Conversations-Lexicon oder encyclopädi-
sches Handwörterbuch für gebildete Stände.
Fünfter Band. J bis L. Leipzig und Alten-
burg, F. A. Brockhaus. 1815.
Dem jungen Dichter K 1 a b u n d (Alfred
Henschke) wurde in seiner Vaterstadt Cros-
sen a. d. Oder durch Auf stellen seiner Büste
eine Ehrung bereitet. Die Breslauer Schau-
spielerin Carla Neher hat sich mit dem Dich-
ter Kiabund vermählt. (Phot. Kester & Co.)
Die Jllustrierten 1925
Kurt Liebmann
Ein breiiger Inzest
Oder das Geheimnis der Lyrik. Rudolf
Paulsen, auch ein Ritter des blauen Dunstes,
operiert in Nr. 8 (26. Jahrgang!) der „Schö-
nen Literatur“ mit dem Metzgermesser an
der deutschen Lyrik herum und sucht auf
vier, mit Metzgerhänden gesudelten Druck-
seiten das Geheimnis der Lyrik, das sich
natürlich von einem Metzger nicht finden läßt.
Wiederholung: Metzgert auf vier Drucksei-
ten der „Schönen Literatur“, der schönen,
der Literatur, mit gänzlich stumpfem Messer
an der Lyrik herum, wühlt und wühlt und
wird ganz heiß und Seele.
„Als August Stramm begann, das Wort zu
isolieren, konnte man noch sagen, dies sei
ein wenn auch nicht eigentlich künstlerischer,
so doch immerhin ein Weg aus der Verlotte-
rung heraus. Man spreche sich nur einmal
Wörter wie Gott, Liebe, Sonne einige
Dutzendmai vor. Das hat schon seinen
Wert: sie werden wieder blank. Das Wort
wird Logos oder kann es wenigstens werden.
Es wird wieder Klang, weil es in der Isolie-
rung ganz neu gehört wird. Hochachtung
also vor Stramm trotz allem!“ — Trotz
allem . Das ist das Metzgergeheimnis.
„Nun darf aber Klang nicht Selbstzweck
werden. Das Wort ist nicht Gefühls-, son-
dern Geistesmusik. Wo das vergessen wird,
entsteht ein breiiger Inzest der Wörter unter-
einander. Also: „Hak / krallt / aus Seele
Dickicht / Qualstern / fahlt und zackt.“ So
Kurt Liebmann in „Schräg geöffnet.“ Nein,
hier ist das Geheimnis der Lyrik nicht.“
Aber:
„Wenn Erde und Blut beide im Geiste leuch-
tend werden, das nenne ich das Geheimnis
der Lyrik. Sie funkeln dann durch schönen
Klang und geben Einsicht in Höhen und Tie-
fen, die wir sonst nicht erreichen.“ Und das
Metzgermesser funkelt. Wühlt und wühlt.
„Frischauf, der Leier Kraft gespannt.“ Oder:
„Ich sah Deines Busens holde Prächte.“
Oder: „Die Mädchen sind Blumen in Gärten,
sie blühen und duften so süß.“ Beim Metz-
ger! Das geht selbst einem Metzger über
die Blutschnur. Das ist nicht das Geheimnis
der Lyrik, um das der Metzger durch vier
Druckseiten hindurch ausgezogen ist. „Ach,
dürfte ich das Metzgermesser wegwerfen!
Aber noch darf ichs nicht.“ Armer Rudolf.
Werden noch Mühsam und Toller abgemetz-
gert. Immerhin Toller: „ ... hier (im Schwal-
benbuch) schwingt er sich mit seinen Ge-
fängnisschwälben in atembare Lüfte.“ Aha,
Atemnot! „Carl Friedrich Wiegang bietet
einfache, ansprechende Dinge (z. B. „Mond-
fahrt“). Komponisten mögen sich hier um-
sehen.“ Der Metzger metzgert sich schon
näher an das Geheimnis. Einfach. Anspre-
chend. Mondfahrt. Ahnste was. Der hats
nicht im Gehirn, der hats im Blut. „Nämlich
Jakob Kneip.“ Allerbeste uralte Tradition.
Na endlich! Das Geheimnis! Aber das
Metzgermesser funkelt. Friedrich Schnack!
Der hat das lyrische Geheimnis. Schnack
134
ihrem Innern und Seyn zahlen. In Hinsicht
aber auf seine letzte unglückliche That,
welche, den Umständen nach, eher beklagt
und bemitleidet, als lieblos gerichtet zu wer-
den verlangt, haben die Flugblätter des Ta-
ges leider einen gleich unfrommen, wie un-
zarten Sinn an den Tag gelegt, indem sie die
beiden Todten lästerlich verdammten. Hier-
über nun kann man nichts, als den Zuruf vor-
bringen: richtet nicht, so werdet ihr auch
nicht gerichtet! ohne daß man deshalb sich
einer schlaffen Sittlichkeit befürchten dürfte.
Indess ist ein solches Benehmen nicht be-
fremdend, da gerade die Schaar der Kunst-
schwätzer und Klätscher ihn als Dichter zu
würdigen nicht verstand. Unbefangen aber
von diesem Geschnatter der literarischen
Capitoliumsgänse, darf man ihm den Dichter-
beruf allerdings zuerkennen, und bedauern,
daß er nicht länger unter uns geweilt, um
sich mehr und mehr auszubilden.
Conversations-Lexicon oder encyclopädi-
sches Handwörterbuch für gebildete Stände.
Fünfter Band. J bis L. Leipzig und Alten-
burg, F. A. Brockhaus. 1815.
Dem jungen Dichter K 1 a b u n d (Alfred
Henschke) wurde in seiner Vaterstadt Cros-
sen a. d. Oder durch Auf stellen seiner Büste
eine Ehrung bereitet. Die Breslauer Schau-
spielerin Carla Neher hat sich mit dem Dich-
ter Kiabund vermählt. (Phot. Kester & Co.)
Die Jllustrierten 1925
Kurt Liebmann
Ein breiiger Inzest
Oder das Geheimnis der Lyrik. Rudolf
Paulsen, auch ein Ritter des blauen Dunstes,
operiert in Nr. 8 (26. Jahrgang!) der „Schö-
nen Literatur“ mit dem Metzgermesser an
der deutschen Lyrik herum und sucht auf
vier, mit Metzgerhänden gesudelten Druck-
seiten das Geheimnis der Lyrik, das sich
natürlich von einem Metzger nicht finden läßt.
Wiederholung: Metzgert auf vier Drucksei-
ten der „Schönen Literatur“, der schönen,
der Literatur, mit gänzlich stumpfem Messer
an der Lyrik herum, wühlt und wühlt und
wird ganz heiß und Seele.
„Als August Stramm begann, das Wort zu
isolieren, konnte man noch sagen, dies sei
ein wenn auch nicht eigentlich künstlerischer,
so doch immerhin ein Weg aus der Verlotte-
rung heraus. Man spreche sich nur einmal
Wörter wie Gott, Liebe, Sonne einige
Dutzendmai vor. Das hat schon seinen
Wert: sie werden wieder blank. Das Wort
wird Logos oder kann es wenigstens werden.
Es wird wieder Klang, weil es in der Isolie-
rung ganz neu gehört wird. Hochachtung
also vor Stramm trotz allem!“ — Trotz
allem . Das ist das Metzgergeheimnis.
„Nun darf aber Klang nicht Selbstzweck
werden. Das Wort ist nicht Gefühls-, son-
dern Geistesmusik. Wo das vergessen wird,
entsteht ein breiiger Inzest der Wörter unter-
einander. Also: „Hak / krallt / aus Seele
Dickicht / Qualstern / fahlt und zackt.“ So
Kurt Liebmann in „Schräg geöffnet.“ Nein,
hier ist das Geheimnis der Lyrik nicht.“
Aber:
„Wenn Erde und Blut beide im Geiste leuch-
tend werden, das nenne ich das Geheimnis
der Lyrik. Sie funkeln dann durch schönen
Klang und geben Einsicht in Höhen und Tie-
fen, die wir sonst nicht erreichen.“ Und das
Metzgermesser funkelt. Wühlt und wühlt.
„Frischauf, der Leier Kraft gespannt.“ Oder:
„Ich sah Deines Busens holde Prächte.“
Oder: „Die Mädchen sind Blumen in Gärten,
sie blühen und duften so süß.“ Beim Metz-
ger! Das geht selbst einem Metzger über
die Blutschnur. Das ist nicht das Geheimnis
der Lyrik, um das der Metzger durch vier
Druckseiten hindurch ausgezogen ist. „Ach,
dürfte ich das Metzgermesser wegwerfen!
Aber noch darf ichs nicht.“ Armer Rudolf.
Werden noch Mühsam und Toller abgemetz-
gert. Immerhin Toller: „ ... hier (im Schwal-
benbuch) schwingt er sich mit seinen Ge-
fängnisschwälben in atembare Lüfte.“ Aha,
Atemnot! „Carl Friedrich Wiegang bietet
einfache, ansprechende Dinge (z. B. „Mond-
fahrt“). Komponisten mögen sich hier um-
sehen.“ Der Metzger metzgert sich schon
näher an das Geheimnis. Einfach. Anspre-
chend. Mondfahrt. Ahnste was. Der hats
nicht im Gehirn, der hats im Blut. „Nämlich
Jakob Kneip.“ Allerbeste uralte Tradition.
Na endlich! Das Geheimnis! Aber das
Metzgermesser funkelt. Friedrich Schnack!
Der hat das lyrische Geheimnis. Schnack
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