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Zeitschrift für christliche Kunst — 24.1911

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Tafel I
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Reiners, Heribert: Eine Kölner Madonna vom Beginn des XV. Jahrhunderts
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Tafel II
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https://doi.org/10.11588/diglit.4275#0020

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13

1911.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST - Nr.

14

der Mitte des Jahrhunderts so konsequent
weitergeführt, daß man auch die Wurzeln dieses
Stiles in Köln suchen und deshalb auch das
erste markante Werk der neuen Form, die
Hochaltarfiguren, hierhin als Entstehungsort
datieren darf, wobei deren oft genug betonte
fremden Elemente noch nicht herausgeschält
sind. Dieser Stil strebt in den folgenden Jahr-
zehnten immer mehr zum direkt Malerischen
und gibt sein Bestes in den Figuren vom Grab-
mal des Erzb. v. Saarwerden, bei dem wohl
auch fremde Einflüsse maßgebend waren.
Wie weit hierfür Burgund anzuziehen ist, harrt
noch der Untersuchung. Wohin dann schließ-
lich dieses Streben führt, zeigen die durchaus
kraftlosen und weichlichen Gestalten am Chor-
gestühl in St. Andreas zu Köln, das jedenfalls
vor der Mitte des XV. Jahrh. entstanden ist.
Aus diesem Stile, der in seiner übergroßen
Weichlichkeit fast einen leichten Beigeschmack
des Degenerierten hat, am deutlichsten in
Burgund, wo er ein Abbild ist des von seiner
Höhe absteigenden Staates, sollte Köln sich
nicht zu einem neuen aufschwingen. Das war
den Niederlanden und dem Niederrhein be-
schieden, deren neue Form den schärfsten
Gegensatz zu dieser alten bildet und das
ganze Gelöste durch das ganz Gestraffte
ersetzt. Doch dieses interessante Kapitel ge-
hört nicht hierhin, ich werde es demnächst
in meiner eingehenden Untersuchung über
die Entwicklung der niederrheinischen Plastik
behandeln.

Die Madonna der Frau v. Lucius zeigt schon
in der Zufügung der Engel ein malerisches
Motiv, ein Streben, das dann weitergeführt
wird in dem schönen Mittelstück des Palanter
Altares, das sich jetzt in der Sammlung
Nellessen auf der Emmaburg bei Aachen
befindet. (Abb. bei Lübbecke a. a. O., Tafel 42.)
Dieses ist in rein linearem Stil behandelt und
zeigt die Madonna, von sechs Engeln begleitet.
Sie trägt das gleiche mit Fransen besetzte
und doppelt gelegte Kopftuch wie die Statue
der Frau v. Lucius und deckt damit nur wieder
Hinterhaupt und Schultern. Schon solche
Modeeigentümlichkeit würde auf eine zeitliche
Zusammengehörigkeit der beiden schließen
lassen. Aber man vergleiche, wie dieses Tuch
als breitere Folie für den Kopf gegeben, wie
die ganze Figur eine Steigerung des Weichen

und der malerischen Auffassung erfahren hat,
nichts Straffes nnd Zusammengenommenes mehr
in ihr steckt, wie der fortgeführte Stil auch
für die Haare der Engel nun breitere und
doch weichere Massen verlangt, dann wird man
zugeben, daß die Madonna der Frau v. Lucius
etwas frührer zu setzen ist. Da der Palanter
Altar im Jahre 1429 gestiftet ist, darf man für jene
Figur die Jahre 1415 bis 1425 als Entstehungs-
zeit annehmen.

Daß wir in ihr eine kölnische Arbeit
reinsten Stiles vor uns haben, bedarf bei dem
ausgesprochenen Kölner Kopftypus kaum eines
Beweises. Dieser Kopf ist für jene Zeit außer-
ordentlich entwickelt und steht der Madonna
der Verkündigungsgruppe in St. Kunibert zu
Köln nahe vom Jahre 1439. Er bringt einen
leichten Zwiespalt zu der älter anmutenden
Körperauffassung in ihrer starken Biegung,
die noch an die Madonna in St. Gereon zu
Köln vom Ende des XIV. Jahrh. denken
läßt. Doch wird die moderne Bemalung
zweifellos erst dies Gepräge dem Kopfe ge-
geben haben.

Als glücklichen Zufall muß man es bezeich-
nen, daß uns in Süddeutschland aus derselben
Zeit eine Lösung desselben Themas erhalten
ist in der Madonna im Chor von St. Sebald
zu Nürnberg, die ich zum Vergleiche in einer
Abbildung beifüge. Auch hier wird die
Himmelskönigin auf einem Halbmonde von
zwei Engeln getragen, während zwei weitere
sie mit der Krone schmücken. Die Gewand-
behandlung mit dem in gleicher Weise getra-
genen, und auch wieder gefransten Kopftuch
ist überaus reich. Die Figur beugt sich ein
wenig bei leichtem Kontrapost in den Hüften,
doch fühlt man diese Biegung kaum. Das
macht das Gewand, das die Figur fast zu
Boden zieht und sie so massig erscheinen
läßt. Deutlich tritt hier zu tage, was Nord
und Süd jetzt und für die Folgezeit scheidet:
Jener ist organischer, klarer, vielleicht auch
nüchterner, je nachdem man will; dieser
dagegen malerischer, weicher und im Ein-
klang damit, gemütvoller, aber auch meist
durchweg schwerer. Hierfür liefern für den
Beginn des XV. Jahrh. die beiden Madonnen
zwei außerordentlich charakteristische Bei-
spiele.

Köln. Heribert Reiners.
 
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