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Zeitschrift für christliche Kunst — 24.1911

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Feigel, August: Der Schottener Altar
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https://doi.org/10.11588/diglit.4275#0050

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69

311. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 3.

70

Der Schottener Altar.

(Mit 16 Abbildungen.)

n seinem Buche über die „Mittel- j Kante geht
rheinische Kunst" führt Fr. Back
unter dem reichen Material an
bekannten und unbekannten Kunst-

werken der Rhein-Maingegend die Altargemälde
der Kirche zu Schotten in Oberhessen zum
ersten Male in die kunstwissenschaftliche Lite-
ratur ein. Back machte besonders auf ihre
bedeutsame Stellung im entwicklungsgeschicht-
lichen Sinne aufmerksam, konnte jedoch weder
diese noch den künstlerischen Wert der Ge-
mälde in vollem Umfange würdigen, da beim
Erscheinen seiner Studien die Reinigung der
Tafeln, die auf seine Veranlassung vorge-
nommen wurde, erst begonnen hatte. Damals
konnte noch nicht geahnt werden, welcher
Glanz von hellen leuchtenden Farben und
strahlendem Golde unter der dicken Schicht
von Firnis und Schmutz verborgen war.

Die vier Tafeln stammen von dem Hoch-
altar, der im Jahre 1828 auseinandergenommen
wurde, jedoch im wesentlichen in seinen
einzelnen Teilen ganz erhalten ist. Eine
Beschreibung vom Jahre 1835 (Archiv für
hessische Geschichte I. S. 128) schildert ihn
wie folgt: Im Chor „stand noch bis zum
Jahre 1828 der aus der Zeit der Erbauung
der Kirche herrührende, künstlerisch mit
Tabernakeln ausgeschmückte Hauptaltar". . . .
Die Gemälde „bestehen aus vier Tafeln,
zwei größeren und zwei kleineren, wovon die
beiden letzteren auf dem Altare aufrecht
nebeneinander befestigt waren, und zwar so,
daß sie einen Zwischenraum von etwa 2 Fuß
ließen, in welchem ein aus Holz geschnitztes,
aber jetzt nicht mehr vorhandenes Marienbild
angebracht war. An diesen feststehenden
Gemälden schwebten mittels mehrerer Angeln,
die beiden anderen etwas größeren Tafeln,
die auf beiden Seiten bemalt sind, und wie
Flügeltüren geöffnet und geschlossen werden
konnten". Erhalten sind drei durchbrochene,
turmartige Baldachine und die vier Tafeln.
Letztere haben eine Höhe von 135 cm; die
feststehenden Tafeln, aus Eichenholz, sind
85 cm, die Flügel, aus Tannenholz, 100 cm
breit. Da die Flügel auf allen vier Seiten
von einem Rahmen umgeben waren uDd die
feststehenden Tafeln einen solchen an ihren
Innenseiten, wo der Goldgrund bis an die

während sonst an den anderen
Seiten ein schmaler Streifen von etwa 3 cm
unbemalt blieb, entbehrten, so wurde der
Breiteunterschied noch einmal um ungefähr
je 10 cm vergrößert. Die Flügel waren also
imstande, da sie zusammen 50 cm breiter sind
als die feststehenden Tafeln, die in der Beschrei-
bung erwähnte Figur mitzuzudecken. Diese
stand sicherlich in einem kleinen Schrein;
denn an den Innenseiten der festen Tafeln
sind noch die Ansatzstellen der Schreinbretter
vorhanden. Als Bekrönung der Figur hat
man sich einen kleinen Baldachin, aus Maß-
werk bestehend, von 40 cm Höhe zu denken,
dessen Ecken oben in den Tafeln eingelassen
waren, denn bis auf diese Tiefe hinab sind
deren Kanten etwas ausgehöhlt. Das Ganze
wurde überragt von drei turmartigen Bal-
dachinen, von denen der mittlere 278 cm und
die beiden seitlichen je 243 cm hoch sind.
In diesem sind die Skulpturen untergebracht,
jedoch nicht mehr in der alten Verteilung. Die
größte der Figuren, die thronende Madonna,
(oderkönnte sie eine Anna selbdritt darstellen?)
64 cm hoch, aus Eichenholz bestehend, heute
im mittleren Baldachin untergebracht, ist
zu breit für diesen engen Raum. Ursprüng-
lich hatte sie aber eine noch größere
Breite. Um sie in dem Baldachin aufstellen
zu können, beschnitt man den Thron auf beiden
Seiten. Hieraus glaube ich schließen zu dürfen,
daß wir in dieser Madonna die Figur zu sehen
haben, die ursprünglich zwischen den fest-
stehenden Tafeln in dem kleinen Schrein stand.
Darüber in dem mittleren Baldachin fand die
stehende Madonna ihren Platz und ihr zu Seiten
in den beiden seitlichen Baldachinen die beiden
Johannes, der Täufer und der Evangelist,
alle drei aus Lindenholz. Im wesentlichen
ist also der ganze Altar noch vorhanden und
sicher zu rekonstruieren. Er ist aus einem
Guß ohne spätere Zufügungen. Die oben
geschilderte Herrichtung der feststehenden
Tafeln für die Aufnahme des Schreins mit
Figur spricht dafür. Der Aufbau dieses Altares
wurde so genau beschrieben, da dieser Typus
für die Entwicklung des gotischen Altars sehr
wichtig ist. Es ist die Vorwegnähme des
Typus, der im „schwäbischen Schnitzaltar"
seine schönste Blüte fand, „ein Übergang von
 
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