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Zeitschrift für christliche Kunst — 24.1911

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Feigel, August: Der Schottener Altar
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https://doi.org/10.11588/diglit.4275#0051

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1911. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST -■ Nr. 3.

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dem frühgotischen ganzgemalten Flügelaltar
zu dem spätgotischen Schreinaltar. (Siehe
Schütte: „Der schwäbische Schnitzaltar" S. 34.)
Noch bemerkenswerter ist er dadurch, daß
bei ihm zugleich der Aufsatz mit den drei
durchbrochenen und mit Skulpturen verse-
henen Baldachinen in ausgebildeter Form
vorkommt. Als Fußpunkt unseres mittleren
Baldachins war der Schrein gegeben. Die
beiden seitlichen Baldachine müssen auf
den feststehenden Tafeln gestanden haben.
Diese sind nämlich auf ihrer Rückseite durch
ein breites Balkengerüst sehr verstärkt worden,
so daß hierdurch schon eine breitere Basis
für die Baldachine gewonnen ist. Der nach
vorne vorspringende Rahmen vergrößerte
noch diese Standfläche zu genügender Breite.
Ob unser Altar eine Predella besaß ist un-
gewiß. In der Kirche zu Schotten befinden
sich noch zwei Reliquienbüsten, die vielleicht
zum Altar gehörten; sie könnten sehr gut
in einer Predella Platz gefunden haben.
Ohne Predella erreichte der Altar eine
Höhe von ungefähr 4'/2 m und muß schon
wegen dieser Maße ein stattliches Aussehen
gehabt haben. Diese Wirkung wurde noch
durch den Glanz der Altargemälde übertreffen.
Bei geöffneten Flügeln sah man zu den
Seiten der feierlich thronenden Muttergottes
die Geschichte ihres Lebens in hellen,
lebhaften Farben gemalt. Jede Tafel ist durch
einen feuerroten mit goldenen Sternen besetzten
Horizontalstreifen in zwei Felder geteilt. Die
Szenen folgen sich von links nach rechts, zu-
erst die oberen Felder und dann die unteren.
Bei der Szenenverteilung hat sich jedoch der
Maler nicht genau an die Zeitfolge der Ge-
schichten gehalten. Aus unbekanntem Grunde
wurde zwischen die Abweisung des Joachim
und die Verkündigung des Engels an ihn die
Verlobung Josephs mit Maria eingeschoben.1)

') Die Verschiebung der Szenen hat wahrscheinlich
ihren Grund in einem während der Arbeit erfolgten
Programmwechsel. Denn ursprünglich war als erste
Szene das Wunder des blühenden Stabes geplant. Die
Vorzeichnung hierzu ist noch unter der heutigen Malerei
erhalten. Im Goldgrund ist schon der Stab mit der
darüber schwebenden Taube einpunziert, die aus dem
schon fertig gemalten Himmel (der zur jetzigen Szene
gar nicht mehr paßt) herabkommt. Und unter der
Figur des Joachim sind die Umrißlinien eines Mannes
sichtbar, der mit beiden Händen den Stab faßt. Diese
seltene Szene haben wir ähnlich zu denken wie auf
dem Marienleben zu Temp2in in Mecklenburg.

Die Szenen folgen sich also: obere Reihe

1. Tafel: Abweisung des Joachim und
Verlobung Josephs mit Maria.

2. Tafel: Verkündigung an Joachim und
Begegnung an der goldenen Pforte.

3. Tafel: Geburt Maria und Verkündigung.

4. Tafel: Heimsuchung und Anbetung der
hl. drei Könige.

Untere Reihe.

1. Tafel: Kindermord und Flucht nach
Ägypten.

2. Tafel: Beschneidung und Darbringung.

3. Tafel: Maria und Joseph finden Jesus
im Tempel.

4. Tafel: Tod und Krönung Maria.

Bei geschlossenen Flügeln zeigte der Altar
acht Szenen der Passion. Jeder Flügel ist
auf seiner Außenseite durch zwei perspek-
tivisch gemalte sich kreuzende braungrüne
Stäbe, die in ihrem Schnittpunkte eine goldene
Rosette tragen, in vier Felder geteilt. In den
oberen ist dargestellt: Christus am Ölberg
und vor Pilatus, (wobei die Gefangennahme
durch die Szene Petrus-Malchus angedeutet
ist) ferner Geißelung und Dornenenkrönung;
in der unteren Reihe: Kreuztragung und
Kreuzigung, Grablegung und Auferstehung.
Der Hintergrund der Außenseiten ist rot und
mit goldenen Rosetten besät, der Grund
der Innenseiten golden mit einpunzierten
Ranken. Technisch verfährt der Künstler

! auf den Innenseiten sehr sorgfältig. Die Um-
risse werden zunächst in den Grund eingeritzt,
dann verbessert mit rotbrauner Farbe nach-
gezogen. Mit derselben Farbe wird die
Modellierung sehr sorgfältig angegeben und

i dann die Farben aufgetragen. Die Außen-
seiten sind flüchtiger gemalt; der Künstler
schenkte sich hier die Vorzeichnung.

Der erste Eindruck, den man beim Anblick
der Innenseiten des Altares empfängt, ist der
einer seltenen Farbenpracht. Der Künstler
hat so helle, von innen heraus leuchtende
Farben, wie man sie in der deutschen Kunst
selten sieht. Es sind fast nur unvermischte
Farben, Lasuren, die in den Schattenpartien
mehrmals übereinandergclegt werden, aber
immer noch die Untermalung durchschimmern
lassen; nach den Lichtern zu gehen sie lang-
sam in den hellen Grund über und werden
noch durch wenig aufgesetztes und zart ver-
triebenes Weiß lebendiger gemacht. Will der
Maler gebrochene Farben erzielen, so legt
 
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