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Zeitschrift für christliche Kunst — 24.1911

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Tafel II
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Schmid, Andreas: Das Meßbuch und sein Pult
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https://doi.org/10.11588/diglit.4275#0021

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15

1911. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 1-

Das Meßbuch und sein Pult.

s ist immer noch eine offene Streit-
frage, ob es in den ersten 3—4
christlichen Jahrhundertengeschrie-
bene Gebets- und Segensformu-
lare gegeben habe, da uns Christus gar keinen
geschriebenen Buchstaben hinterließ und auch
den Aposteln keinen Auftrag gab, zu schreiben,
sondern mündlich zu predigen. Gründe finden
sich für die eine und die andere Ansicht; es
dürfte jedoch wahrscheinlich sein, daß es im
II. Jahrh., vielleicht schon im I. liturgische
Bücher gab; denn warum sollten die Apostel
nicht auch liturgische Aufschreibungen hinter-
lassen haben, nachdem sie die Lehre Christi
so ausführlich in Briefen uns niederschrieben!
Sollten Disziplinarbestimmungen über Kopf-
bedeckung in der Kirche, über Responsorien-
gesang und Agapen wichtiger gewesen sein
als die Gebete bei der Opferfeier! Solche
Niederschreibungen gab es schon bei den
Heiden, wie die zahlreichen in Ton und auf
Papyrus in den Grabhügeln Babylon iens uns
hinterlassenen Formulare zeigen.1) Auch die
noch im I. Jahrh. abgefaßte „Lehre der
Apostel" enthält schon Gebetsformulare und
im II. Jahrh. äußert sich Hermas: „Frau,
soviel kann mein Gedächtnis nicht behalten,
gib mir also das Büchlein zum Abschreiben".
Im IV. Jahrh. weist der hl. Basilius darauf hin,
daß uns kein Heiliger die Worte der Kon-
sekration hinterlassen habe, nicht nur jene,
welche der Apostel und das Evangelium er-
wähnt, sondern auch die nachfolgenden und
vorhergehenden. Dieser Äußerung aber steht
aus derselben Zeit ein Urteil des Patriarchen
von Konstantinopel Proklus entgegen, daß ver-
schiedene Heilige uns schriftlich eine Liturgie
hinterlassen haben, z. B. Klemens, Jakobus.
Ein Zeuge für den Bestand liturgischer
Bücher im III. Jahrh. ist die Schrift des Ori-
genes gegen Celsus. Letzterer sah bei den
christlichen Priestern barbarische Bücher mit
dämonischen Namen und Erzählungen und
sprach die Vermutung aus, daß sie zu Zau-
bereien benützt würden. Origenes bestreitet
die Existenz solcher Bücher nicht, wohl aber
den Gebrauch zur Magie. Daß solche Bücher
bestanden, wird auch durch Martyrerakten
bestätigt, sowie durch den Befehl des Dio-

') ^rS'- Jastrow, »Die Religion Babyloniens und
Assyriens», (Gießen 1904) Bd. I.

kletian (303), die heiligen Bücher dem Feuer
zu übergeben.2) Kaiser Konstantin dagegen gab
nach Theodoret den Befehl, 50 Exemplare von
denjenigen heiligen Schriften, deren An-
schaffung und Gebrauch bei den gottesdienst-
lichen Zusammenkünften am meisten not-
wendig sei, auf Pergament von wohlbewan-
derten Schönschreibern auf Rechnung der
Staatsbeamten sofort anzufertigen.8)

Aus dieser ganzen altchristlichen Periode
ist bisher nur ein einziges Flugblatt von Pa-
pyrus auf uns gekommen, welcher zum hypo-
phonischen Gesang auf Epiphanie die Anti-
phon verzeichnet, dem IV. Jahrh. angehört
und in der Sammlung Erzherzog Rainer in
Wien sich befindet.4)

Bald nach diesem erwähnten ältesten Do-
kumente der Liturgie tauchen Meßbücher auf,
welche unter dem Namen Sakramentarien
verkürzte Meßformulare enthalten. Es sind
die vielbesprochenen Sakramentarien Leonia-
num (V. Jahrh.), Gelasianum (VI. Jahrh.) und
Gregorianum (VII. Jahrh.). Diese Bücher sind
je sehr klein,5) denn sie enthalten die sogenann-
ten Gesangstexte nicht, d. h. Introitus, Graduale,
Lektion, Evangelium, Offertorium und Kommu-
nion, sondern nur Orationen, Sekret, Präfa-
tion und Postkommunion. Die Gesangstexte
waren in besonderen Folianten, dem Anti-
phonarium (Graduale), Lektionarium, Evan-
gelistarium aufzusuchen. Diese Mehrzahl von
Büchern war für levitierle Ämter berechnet,
aber für Privatmessen und für Reisezweike
sehr unbequem. Für diese Anlässe wurden
nun Auszüge veranstaltet, z. B. für die noch
im Missale stehenden Wochenmesssen, de
Trinitate u. s. f., oder man fügte dem Sakra-
mentar in einem Anhang die Evangelientexte
bei; endlich vom X. Jahrh. an, wie einzelne
Exemplare z. B. in Florenz, Mailand, Rom
zeigen, wurden die Gesangstexte zu allen For-
mularien des Sakramentars eingeschrieben. So
entstanden unsere Vollmissalien, welche vom
X. Jahrh. an Ausnahme, vom XIII. an Regel
wurden.6) Noch aber war es Jahrhunderte

2) Euseb. bist. 8,2.

') Theod. hist. I, 15.

*) Dr. Bickell, »Das älteste liturgische Schrift-
stück» 1887.

*) Gregor, umfaßt bei Murat. II. 1 — 138 folia.

6) Näh. Ebner Ad., »Missale romanum»,
(Freiburg 1896) S. 3(30 ff.
 
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