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Zeitschrift für christliche Kunst — 24.1911

DOI Artikel:
Humann, Georg: Neuzeitliche Kunstbestrebungen, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4275#0060

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1911.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 3.

90

Neuzeitliche Kunstbestrebungen.

III. (Schluß.)

,m sehr wichtiges Gebiet der kirch-
lichen Kunst, auf welchem nur
eine begrenzte Nachahmung des
Mittelalters stattfinden darf, ist die
Glasmalerei. Zunächst ist entschieden zu be-
tonen, daß diesem Kunstzweig durch die Technik
viel engere Grenzen gesetzt sind, als der Tafel-
malerei, ufid daß es ein Fehler ist, die letztere,
wie es leider meistens geschieht, zum Vorbilde'
zu nehmen. Große Figurengruppen mit gleich
feinen Abstimmungen in Licht, Schatten und
Farben sind hier nicht möglich. Die Kunst
der sogenannten Glasmalerei ist im wesent-
lichen eine Mosaikkunst. Große Figurengruppen
sind umsomehr zu meiden, als sie von
den Steinpfosten und Eisenstangen durch-
schnitten und durchkreuzt, einen höchst un-
erquicklichen Eindruck machen. Da Pfosten,
Stangen und Maßwerk streng raumbegrenzend
wirken, so ist auch von aller perspektivischen
Wirkung abzusehen. Wo Pfosten und Maß-
werk stehen, hört der Raum auf! Darüber
hinaus soll man keine Illusionen vortäuschen!
In spätgotischen Tafelbildern, Miniaturen
und in Fenstern sieht man nicht selten die
Figuren auf einem Fußboden stehen, dessen
Plattenbelag perspektivisch gezeichnet, nach
hinten zurückzutreten scheint, während die
Figuren nach oben hin in der Fläche liegen.
Es sind dies unangenehm wirkende Wider-
sprüche, ganz abgesehen davon, daß nur dann
eine derartige Zeichnung des Fußbodens zu-
lässig ist, wenn die Augenhöhe des Beschauers
(Horizont) höher liegt, als der untere Teil des
zu betrachtenden Bildes. Ein Kirchenfenster
wird aber, wenn man nicht etwa auf einer
Empore steht, immer von einem viele Meter
tieferen Standpunkt aus betrachtet.

Wenn durchaus Fenster mit Figuren ausge-
führt werden sollen, so sind wohl kleine Gruppen
(sogenannte Medaiilonfenster) zulässig, wie sie
in romanischen Kirchen und der früheren
Gotik häufig vorkommen, da solche Fenster
in gewisser Entfernung flächen- (teppichartig)
wirken. Zu Andachtsbildern werden aber
solche Darstellungen ebenfalls nicht, zumal die
Zeichnung nur aus nächster Nähe einigermaßen
erkennbar ist. Gut und würdig wirken (ziem-
lich flach gehaltene, nicht stark modellierte)
Standfiguren, wie sie auch im Mittelalter,

namentlich im XIV. Jahrh. sehr beliebt waren.
Zwischen den einzelnen Steinpfosten ange-
bracht, werden sie von diesen umrahmt und
nur von den sogenannten Sturmeisen nicht
gerade auffallend durchschnitten. Jedenfalls
sind, wenn man an hervorragender Stelle
figürliche Malerei nicht missen will, einfache
klare Darstellungen den großen figurenreichen
Gruppen vorzuziehen. Am besten wirken
reine Ornamentfenster von gleichmäßigem,
teppichartigen Charakter, wie sie in der Gotik
ungemein häufig vorkommen und zu dem
Schönsten gehören, was die mittelalterliche
Kunst geschaffen hat. Herrliche Beispiele sind,
um nur einige hervorzuheben, erhalten in
Marburg, Altenberg bei Köln, Heiligkreuz bei
Wien, Königslelden in der Schweiz, Nieder-
haßlach im Elsaß, Reims, Chartres, St. Jean-
aux-Boix bei Compiegne, Sens, Le Mans,
St. Germer, Narbonne, Toul, Soissons, Salis-
bury, York und Lincoln. Also schon damals,
obwohl das Volk beim Gebet keine Bücher
benutzte, also leichter zerstreut werden konnte,
hielt man vielfach (nicht nur in dem Ein-
fachheit anstrebenden Zisterzienserorden) die
figürliche Glasmalerei nicht für geeignet oder
gar für erforderlich, um den Sinn von Profanem
abzulenken und Andacht zu wecken.

DieVerzierungen der mittelalterlichen Orna-
mentfenster bestehen meist aus Blättern,
Ranken und geometrischen Motiven. Unter
den letzteren sind Bandverschlingungen nicht
selten, jedoch in neuen Fenstern nur mit Ein-
schränkung zuzulassen, d. h. höchstens nur
dann, wenn die Bänder nicht zu breit, das
Netzwerk ein weitmaschiges ist, und die Blatt-
ornamentik überwiegt. Ganz verwerflich ist
das Motiv geflochtener Taue, welches unbe-
greiflicherweise immer wieder verwendet
wird, obwohl es von anderen Gesichtspunkten
abgesehen, der Technik allzusehr widerspricht.
Das Glas ist ein sprödes, hartes Material und
die Zusammenfügung der einzelnen Stücke
geschieht in ein und derselben Fläche, neben-,
nicht über- und untereinander, wie bei den
Bändern des Netz- und Flechtwerkes. Alle Mo-
tive, welche Ü berschneidungen vortäuschen, sind
daher nur beschränkt zuzulassen, ganz zu meiden
aber die tauförmiggeschlungenen Bortenmuster!
Eine entschiedene Abweisung verdient die
meist schreiend bunte Farbenzusammensetzung
 
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