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1911. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 3.
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flusses über Westfalen hinaus nach dem Norden
vorgedrungen ist. Ein Kulturmittelpunkt, der
in späterer Zeit eine Potenz wie den Haus-
buchmeister und dann Grünewald hervorge-
bracht hat, kann auch in früherer Zeit so viel
überschüssige Kraft in sich getragen haben,
um damit auch noch andere Kulturzentren
zu befruchten. Das bis jetzt bekannte Material
an Arbeiten vor 1400 des mittelrheinischen
Gebietes ist zu gering, als daß man heute
schon zu einem sicheren Schlüsse auf das
Verhältnis der Kunst Bertrams zu der des
Mittelrheins kommen könnte. Vielleicht
bringen neue Funde eine Lösung dieser
Fragen herbei.
Auch auf Beziehungen der Schottener
Gemälde zu der kölnischen Kunst kann ich
vorerst nur hinweisen, ohne bestimmte Schlüsse
zu ziehen. Die neuen Entdeckungen am
Klarenaltar, die ja immer noch nicht abge-
schlossen sind, werfen ein neues Licht auf die
Größe und kraftvolle Eigenart der kölnischen
Kunst im XIV. Jahrh. Heute möchte ich nur
auf die Ähnlichkeiten der Passionsszenen un-
serer Tafeln mit denen des Klarenaltars hin-
weisen. Die Dornenkrönung und Geißelung,
besonders aber die Auferstehung stimmen sehr
überein und nicht nur in ikonographischer
Hinsicht. Die ins Schöne, fast Zierliche ab-
gewandelten Züge Christi sind einander sehr
verwandt. Ob solche Übereinstimmungen auf
direkte Beziehungen hindeuten, die mir wahr-
scheinlich vorkommen, oder durch die An-
nahme einer gemeinsamen Quelle, die in
Böhmen, Avignon oder in Italien zu suchen
wäre, zu erklären sind, kann man nicht mit Sicher-
heit beweisen. Daß der Schottener Maler Be-
kanntschaft mit italienischen oder italienisch
beeinflußten Vorbildern hatte, ist zweifellos.
Ein so undeutsches Gehäuse, wie das auf der
Geburt der Maria, kann nur in Italien er-
sonnen sein. Sienesische Gemälde zeigen
ganz ähnliche Architekturen. Ich verweise
auf Venturi: Storia dell'arte italiana V. Fig. 602.
Man vergleiche den Aufbau im ganzen, dann
die Einzelheiten, wie die Zwickelfüllungen,
die Gliederung des Hintergrundes, wie die
dünnen Säulchen die Bogen überschneiden.
Auch manche Gesichtstypen der Schottener
Bilder erinnern an sienesische Kunst; be-
sonders bei Maria, die den lehrenden Christus-
knaben wiederfindet, ist der italienische Ein-
schlag nicht zu verkennen. Ähnliche Typen
finden wir bei Nachfolgern Simone Martinis.
Ob uns damit ein Hinweis auf Avignon und
die französisch-burgundische Kunst gegeben
ist, möchte ich nur andeuten. Es ist ja selbst-
verständlich, daß die tonangebende Hofkunst
Burgunds, die gerade durch ihre Entdeckungen
auf dem Gebiete der Raum- und Lichtmalerei
der Kunst Neuland eroberte, für die benach-
barten Kunstzentren Westdeutschlands von
großer Bedeutung war.
Fr. Back glaubte beim Schottener Altar,
den er beim Erscheinen seiner Studien nur
im ungereinigten Zustande kannte, Prager
Einflüsse annehmen zu müssen; wenigstens
brachte er ihn mit Werken der Nürnberger
Malerei und indirekt mit der böhmischen
in Zusammenhang. Je mehr jedoch die Rei-
nigung der Tafeln voranschritt, desto klarer
wurde der mittelrheinische Charakter der
Bilder, besonders in ihrer Hellfarbigkeit. Dies
wurde auch von Back anerkannt. Die Ähn-
lichkeit mit Nürnberger Bildern zwingt nicht
zur Annahme eines unmittelbaren Zusammen-
hanges; jedoch ist ein solcher immerhin mög-
lich. Aber m. E. muß man die mittelrhei-
nische Kunst als den gebenden Teil betrachten,
zumal die von Back herangezogenen Bilder:
Die Bestattung Maria und der Kindermord
des Germanischen Museums sich nur schwierig
in die Nürnberger Malerei einordnen lassen,
während wir in den Schottener Gemälden ein
wichtiges Bindeglied innerhalb der Entwick-
lungsgeschichte der mittelrheinischen Kunst
erkannt haben.
Die Skulpturen des Altares ragen nicht
über den Durchschnitt hinaus. Nur bei der
stehenden Maria verrät der Schnitzer in der
weichen Gewandung, deren Faltenanordnung
bei aller Fülle doch klar den Körper erkennen
läßt, sowie in der nur leise geschwungenen
natürlichen Haltung der Figur guten Geschmack
und Schulung. Aber auch sie kann nicht ganz
dem Vorwurfe der Nüchternheit entgehen.
Die S-förmigen Einrollungen der Falten, die
nur noch spärlich auftreten, erinnern noch an
Bildwerke des XI V.Jahrh. Das Grabmal des Erz-
bischof Gerlach von Nassau, t 1371, im Kloster
Eberbach und das der Anna v. Bickenbach,
t 1415, geben die Grenzen an, zwischen denen
unsere Figuren einzuordnen sind. Die Jahre
um 1390 kann man wohl als Entstehungszeit
des Schottener Altares annehmen.
Darmstadt. August Fei gel.
1911. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 3.
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flusses über Westfalen hinaus nach dem Norden
vorgedrungen ist. Ein Kulturmittelpunkt, der
in späterer Zeit eine Potenz wie den Haus-
buchmeister und dann Grünewald hervorge-
bracht hat, kann auch in früherer Zeit so viel
überschüssige Kraft in sich getragen haben,
um damit auch noch andere Kulturzentren
zu befruchten. Das bis jetzt bekannte Material
an Arbeiten vor 1400 des mittelrheinischen
Gebietes ist zu gering, als daß man heute
schon zu einem sicheren Schlüsse auf das
Verhältnis der Kunst Bertrams zu der des
Mittelrheins kommen könnte. Vielleicht
bringen neue Funde eine Lösung dieser
Fragen herbei.
Auch auf Beziehungen der Schottener
Gemälde zu der kölnischen Kunst kann ich
vorerst nur hinweisen, ohne bestimmte Schlüsse
zu ziehen. Die neuen Entdeckungen am
Klarenaltar, die ja immer noch nicht abge-
schlossen sind, werfen ein neues Licht auf die
Größe und kraftvolle Eigenart der kölnischen
Kunst im XIV. Jahrh. Heute möchte ich nur
auf die Ähnlichkeiten der Passionsszenen un-
serer Tafeln mit denen des Klarenaltars hin-
weisen. Die Dornenkrönung und Geißelung,
besonders aber die Auferstehung stimmen sehr
überein und nicht nur in ikonographischer
Hinsicht. Die ins Schöne, fast Zierliche ab-
gewandelten Züge Christi sind einander sehr
verwandt. Ob solche Übereinstimmungen auf
direkte Beziehungen hindeuten, die mir wahr-
scheinlich vorkommen, oder durch die An-
nahme einer gemeinsamen Quelle, die in
Böhmen, Avignon oder in Italien zu suchen
wäre, zu erklären sind, kann man nicht mit Sicher-
heit beweisen. Daß der Schottener Maler Be-
kanntschaft mit italienischen oder italienisch
beeinflußten Vorbildern hatte, ist zweifellos.
Ein so undeutsches Gehäuse, wie das auf der
Geburt der Maria, kann nur in Italien er-
sonnen sein. Sienesische Gemälde zeigen
ganz ähnliche Architekturen. Ich verweise
auf Venturi: Storia dell'arte italiana V. Fig. 602.
Man vergleiche den Aufbau im ganzen, dann
die Einzelheiten, wie die Zwickelfüllungen,
die Gliederung des Hintergrundes, wie die
dünnen Säulchen die Bogen überschneiden.
Auch manche Gesichtstypen der Schottener
Bilder erinnern an sienesische Kunst; be-
sonders bei Maria, die den lehrenden Christus-
knaben wiederfindet, ist der italienische Ein-
schlag nicht zu verkennen. Ähnliche Typen
finden wir bei Nachfolgern Simone Martinis.
Ob uns damit ein Hinweis auf Avignon und
die französisch-burgundische Kunst gegeben
ist, möchte ich nur andeuten. Es ist ja selbst-
verständlich, daß die tonangebende Hofkunst
Burgunds, die gerade durch ihre Entdeckungen
auf dem Gebiete der Raum- und Lichtmalerei
der Kunst Neuland eroberte, für die benach-
barten Kunstzentren Westdeutschlands von
großer Bedeutung war.
Fr. Back glaubte beim Schottener Altar,
den er beim Erscheinen seiner Studien nur
im ungereinigten Zustande kannte, Prager
Einflüsse annehmen zu müssen; wenigstens
brachte er ihn mit Werken der Nürnberger
Malerei und indirekt mit der böhmischen
in Zusammenhang. Je mehr jedoch die Rei-
nigung der Tafeln voranschritt, desto klarer
wurde der mittelrheinische Charakter der
Bilder, besonders in ihrer Hellfarbigkeit. Dies
wurde auch von Back anerkannt. Die Ähn-
lichkeit mit Nürnberger Bildern zwingt nicht
zur Annahme eines unmittelbaren Zusammen-
hanges; jedoch ist ein solcher immerhin mög-
lich. Aber m. E. muß man die mittelrhei-
nische Kunst als den gebenden Teil betrachten,
zumal die von Back herangezogenen Bilder:
Die Bestattung Maria und der Kindermord
des Germanischen Museums sich nur schwierig
in die Nürnberger Malerei einordnen lassen,
während wir in den Schottener Gemälden ein
wichtiges Bindeglied innerhalb der Entwick-
lungsgeschichte der mittelrheinischen Kunst
erkannt haben.
Die Skulpturen des Altares ragen nicht
über den Durchschnitt hinaus. Nur bei der
stehenden Maria verrät der Schnitzer in der
weichen Gewandung, deren Faltenanordnung
bei aller Fülle doch klar den Körper erkennen
läßt, sowie in der nur leise geschwungenen
natürlichen Haltung der Figur guten Geschmack
und Schulung. Aber auch sie kann nicht ganz
dem Vorwurfe der Nüchternheit entgehen.
Die S-förmigen Einrollungen der Falten, die
nur noch spärlich auftreten, erinnern noch an
Bildwerke des XI V.Jahrh. Das Grabmal des Erz-
bischof Gerlach von Nassau, t 1371, im Kloster
Eberbach und das der Anna v. Bickenbach,
t 1415, geben die Grenzen an, zwischen denen
unsere Figuren einzuordnen sind. Die Jahre
um 1390 kann man wohl als Entstehungszeit
des Schottener Altares annehmen.
Darmstadt. August Fei gel.