Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für christliche Kunst — 24.1911

DOI Artikel:
Lübbecke, Fried: Erwiderung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4275#0077

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
121

1911. _ ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 4.

122

Erwiderung.

Motto. Es ist immer undankbar, dort noch einmal zu
kehren, wo bereits der Besen eines anderen das
frischgefallene Manna zusammenkehrte und nur
Brosamen zurückließ, von denen sich niemand mehr
nähren kann. Fritz Witte.

In Nr. 1 Jahrgang 1911 dieser Zeitschrift geht
Herr Dr. Fritz Witte, Kustos des jüngst eröffneten
Schnütgemmiseums zu Köln, mit einem Buch: Die
gotische Kölner Plastik, ins Gericht. Er nahm
es ernst mit seiner Aufgabe. Sogar die Druckfehler
zählte er und stellte das deutschtümliche Petersportal
in Petrusportal richtig, obwohl ganz in der Nähe
dieses Petersportales ein Opferstock für den Peters-
pfennig sich findet. Kein Wunder, daß bei dieser
peinlichen Durchsicht ihm die Freude am Ganzen verloren
ging: einer Arbeit gegenüber zu stehen, die immerhin ein
großes, bislang fast unbekanntes Gebiet der Kunstforschung
eröffnete. Wieviel „überaus ernste Gelehrte" waren an
dem Gitter des Saarwerdensarkophages im Kölner
Domchor vorübergegangen, ohne über die hinter ihm
verstaubenden Köstlichkeiten nur eine Silbe zu verlieren.

Wenn ich — begeistert von der künstlerisch all-
gemein gültigen Schönheit der Kölner gotischen Plastik
— in jungen Jahren es wagte, als erster in einer knapp
gefaßten Studie einiges Wichtige über sie zu sagen,
so war ich mir bei dem Umfang des Gebietes selbst
bewußt, daß mit dieser Arbeit keineswegs dieses ganz
erschlossen werde. Ich glaube das auch klar genug
am Ende meiner Einleitung ausgesprochen zu haben:
„Nur um einen ersten Versuch handelt es sich, den
undatierten und unsignierten Trümmern der Kölner
Bildnerei wieder ungefähr den Platz zu geben, den sie
einst in der künstlerischen und zeitlichen Entwicklung
Kölns einnahmen ? Zu diesem Bekenntnis führte mich
besonders die Einsicht, daß für eine einigermaßen ge-
schlossene Entwicklungsreihe noch manches festdatier-
bare Glied fehle. Wie die schöne späte Madonna der
Sammlung v. Lucius-Wiesbaden, die in Heft 1, Jahr-
gang 1911 dieser Zeitschrift Heribert Reiners weiteren
Kreisen bekanntmachte, befindet sich wohl noch manches
andere bezeichnete Stück im Privatbesitz, aus dem sie
oft nur ein Zufall an die Öffentlichkeit trägt. Darauf
kann man aber nicht immer warten. Ich selbst würde
mich herzlich freuen, wenn es Herrn Witte gelingen
sollte, noch recht viele solcher Zwischenglieder der
Sammlung Schnütgen einzureihen wie die prächtige
Madonna, die in Nr. 11, Jahrgang 1910 dieser Zeit-
schrift zum ersten Male abgebildet wurde. Vorläufig
bestehen sie aber doch noch zumeist in der erwartungs-
frohen Phantasie, wenn man sich nicht auf künstlerisch
wertlose Stücke versteift. Sie haben mit der Erforschung
der wahren Kunst wenig zu tun, so interessant sie ja
als ethnographische Belege sein mögen. Besonders
verlange man nicht von einer ersten Veröffentlichung
so weit über das Lokalinteresse bedeutsamer Denkmäler
wie der Domchorapostel, der Petersportal figuren und
des Saarwerdensarkophages, daß man eine Auslese von
„Massenherstellungsstücken" mitschleppe. Selbst bei
der klarsten historischen Methode trüben solch mittel-
mäßige Stücke allein durch ihre Aufzählung, die Klar-
heit eines ersten Bildes, — wohlbemerkt Stücke, denen
man nicht einmal in Provinzmuseen einen Platz ein-
räumen würde. Solche Arbeiten ohne künstlerischen

Gehalt und darum verwaschener Herkunft pflegte der
gute Kenner dieses Gebietes, der verstorbene Direktor
des Wallraf-Richartz-Museums Aldenhoven, spöttelnd
als „Eifelkunst" zu bezeichnen, wie ich's ja auch auf
Seite 29 meines Büchleins geireulich berichtete. Mit
ihm möge sich deshalb Herr Witte über die „ärgerliche
Fundamentlosigkeit" seiner scherzhaft gemeinten Loka-
lisierung auseinandersetzen.

Noch einiges über die mangelhafte lokale Ver-
ankerung Kölner Plastik. Herr Witte scheint sich
den seelischen Vorgang meiner Hypothesenführung so zu
denken, als ob ich als echter deutscher Mann — siehe
Petersportal — keinen Welschen und noch weniger
seine Kunst leiden könnte und darum „die Franzosen
ein für allemal hätte aus dem Lande treiben wollen".
Umgekehrt ists hergegangen. Ich sah in den Publi-
kationen von Arthur Weese über die Bamberger Dom-
skulpturen, Frank-Oberaspach über den Meister der
Fcclesia und Synagoge am Münster zu Straßburg u. a.,
wie gewinnreich eine Erforschung der deutschen Plastik
auf französischem Hintergrunde sich gestalte, und glaubte
nach diesen Vorgängen einen ähnlichen Weg für die
Ergründung des kölnischen Stils beschreiten zn müssen.
Leider fand ich aber trotz eifrigen Umschauens in
Frankreich ähnliche Zusammenhänge nicht und habe
deshalb die merkwürdig schnelle Entrichtung eines un-
verkennbaren Kölner Typus — besonders in den etwas
schablonenhaften Stücken der Massenherstellung — aus
dem eigenen Wachstum zu erklären gesucht. Auch ich
wäre Herrn Witte dankbar, wenn er die Anlehnung des
Meisters der Domchorapostel an vor- oder gleichzeitige
französische Vorbilder nicht nur literarisch nachwiese
und damit zugleich meine Hypothese, daß seine Kunst
sich nicht aus Kathedralsteinmetzenkunst, sondern aus
der Holzschnitzkunst entwickelt habe, widerlegte. Ich
möchte dabei noch einmal an den hundertjährigen
Kampf von 1328 bis 1461 zwischen Frankreich und
England erinnern, der fast an allen großen französischen
Bauten die Arbeiten zum Stocken brachte und damit
die eigenen Künstler ums Brot brachte. Welche Aus-
sichten boten sich wohl in dieser Zeit zugewanderten
deutschen Gesellen. Solange man für den Aufenthalt
solcher Leute in Frankreich während des französisch-
englischen Krieges keine Beweise bringt, darf billig
das Gegenteil angenommen werden. Auch damals
regelte das Angebot die Nachfrage. Wertvoll wäre
auch eine bestimmtere Nachweisung von Altarum-
kleidungen nach Art der des Kölner Hochaltares, von
denen ja Herrn Witte noch eine Reihe in „Sachsen"
bekannt zu sein scheinen. Auch wäre nur eine neue zeit-
liche Einordnung des Marienstatter Altars recht inter-
essant. Bei den „entwickelten Formen" dieses Werkes
muß sich ja diese fast ganz von selbst ergeben. Leider
wird aber dadurch die Reihe der historisch festzulegen-
den Denkmäler erschüttert. Denn glauben wir der
Koelhoffschen Chronik, die die Datierung des Hochaltars
im Kölner Dom zwischen 1849 bis 1361, der Regierungs-
zeit Wilhelm V, Gaup, des Stifters des Altares gestattet,
so bleibt für die „Entwicklung der Formen" des
Marienstatter Altars wenig Zeit genug, da Herr Witte die
Festlegung der Domchorapostel um das Jahr 1330 an-
scheinend für richtig hält. Ähnlich verdienstlich wäre
 
Annotationen