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Zeitschrift für christliche Kunst — 24.1911

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1911. — ZEITSCHRIFT KÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 1.

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seinen Stoff bearbeitet, wo man doch gerade hier eine
ganz bescheidene, aber durchaus historisch genaue,
minutiöse Arbeit gewünscht hätte. Das ist es, Lübbecke
fehlt die präzise historische Methode und ein Stück-
chen Ruhe, über deren Mangel selbst die schwung-
vollsten Partien, wie beispielsweise die wirklich fein-
sinnige Würdigung der Chorapostel, nicht hinweg-
täuschen können. Anderenfalls wäre ihm die hinkende
Logik an verschiedenen Stellen nicht unterlaufen, z. B.:
Lübbecke sagt, den aus Köln ins Ausland — also auch,
hauptsächlich sogar, nach Frankreich — wandernden
Künstlern sei ein sechsjähriger Aufenthalt in der
Fremde vorgeschrieben gewesen. Nur schwache Indivi-
dualitäten hätten sich in diesem (sechsjährigen!) Zeit-
räume außerkölnische Auffassungen zu eigen gemacht.
„Unmittelbare persönliche Übertragungen französischer
Technik und französischen Kunstempfindens . . .
müssen wir also (!) von der Hand weisen." Aber,
warum denn ? An die Musterbücher für Plastik glaube
ich nicht, mögen sie für das mehr Ornamentale des öfteren
nachzuweisen sein. Jedenfalls ist es Lübbecke nicht
gelungen, den Nachweis auch nur halbwegs zu er-
bringen, direkte französische Beeinflussung der Kölner
Kunst habe nicht stattgefunden, man mag nun selbst
darüber denken wie man will. Man kann auch nicht
mit der Zwangsjacke kommen in der historischen
Methode und Beweismaterial konstruieren. Heft 11,
Tahrg. 23 dieser Ztschr. setzte ich mich mit Lübbecke
bereits bezüglich der Madonna der „Sammlung Schnütgen"
dahin auseinander, daß ich diese nach wie vor als fran-
zösisch unmittelbar beeinflußt anspreche; Lübbecke
erklärt sie für kölnisch, weil er muß und will, weil
er die Franzosen ein für allemal aus dem Lande treiben
möchte, er tut das ohne Beweismaterial, tut es trotz
mancher widersprechender Merkmale. Durch dieses
Vorgehen des Verfassers verliert ein gut Stück der
ganzen Arbeit Fundament und Ausgangspunkt. Die
Figuren des Petrusportales — Lübbecke schreibt
irreführend Petersportal — am Dom läßt der Verfasser
aus historischen Rücksichten von einem Bildhauer in
Angriff nehmen, weil sie ihm aber in die von ihm
konstruierte Entwicklungsgeschichte nicht so früh hinein-
passen wollen, wirft er sie für ganze 45(!) Jahre in
die Rumpelecke eines Werkplatzes und läßt sie dort
vorschriftsmäßig liegen, bis sie stilistisch passen (S. 95).
Das ist nun doch arg viel verlangt! Unglücklich ist
für mich das Ausgehen von der schönen Madonna von
Münstereifel, die dem XIV. Jahrh. angehört, und auch
der Altar von Marienstatt hat schon so entwickelte
Formen, daß er als primäres Stück nicht wohl arge-
sprochen werden darf. Unglücklicher noch ist Lübbeckes
Anschauung von einer sogenannten „Eifelkunst", die
gar nie existiert hat, eine Bezeichnung, die überaus
fundamentlos und daium ärgerlich ist. Nicht als ob
ich Lübbecke mißverstände und an eine in den Eifel-
bergen zimmernde Zunft dächte; aber die Arbeiten
zweiten und dritten Ranges sind bei der Abfassung
einer Entwicklungsgeschichte nicht zu umgehen neben
den Qualitätsstücken. Sie wollen auch das Wort ge-
gönnt bekommen, wenn zu einem neuen Stil hinüber
die Fortentwicklung besprochen wird. Wer einmal
fein sauber die Fäden aufdecken will, die das XIII.
und XIV. Jahrh. in Köln verbinden, der wird weniger
mitleidsvoll an diesen — bedeutsamen Stücken vorüber-

gehen. Dasselbe gilt von der stattlichen Anzahl von
vornehmlich thronenden Madonnen, die zu Ende des
XIV. Jahrh. in Köln entstanden, die um so mehr Be-
achtung verdienen, weil gerade sie für die Kölner
Kunst typisch wurden. Lübbecke wirft sie alle in einen
Topf, und doch steht es außer Zweifel, daß eine
Unterscheidung hier sehr wohl zu machen ist, in. ein
Nord und Süd und Köln selbst. Stellen sie nicht
zum Teil bedeutsame Leistungen vor, deren Wert auch
darin zu finden ist, daß sie eben trotz einer Massen-
herstellung auf einer gewissen Höhe sich halten? Zur
Nachachtung muß man Lübbecke jedenfalls außer der
von ihm angezogenen französischen Madonna des Wallraf-
Richartz-Museums auch noch viele andere französische
Madonnen empfehlen, ich verweise beiläufig auch auf
das feine burgundische Stück, das in der Revue de
l'art chretienne (Bd. V. 1909 pag. 144) abgebildet und
besprochen wird. Überhaupt, hat denn ein glückliches
Geschick die kölnische Plastik aus dem Boden ge-
stampft, oder ist sie denselben Schulweg gegangen wie
ihre Schwestern in anderen Ländern ? Steht Süd-
deutschland und ein noch südlicheres Land denn ohne
Konnex mit Köln da ? (Ich verweise auf den Aufsatz
von H. Reiners in diesem Heft.) Hat die vielum-
worbene Kölner Malerei denn gar nicht mitzureden,
wenn ihrer Schwesterkunst die Biographie geschrieben
wird? Auch sonst bin ich in manchen Punkten mit
Lübbecke durchaus nicht einverstanden, vornehmlich
nicht mit seinen Datierungen und Nebeneinanderstellungen,
auf die im speziellen hier noch zurückzugreifen sein
wird. Was Lübbecke über den Schmuck der Mensa
des Domaltares sagt, den er etwas Ungewöhnliches,
eine auf England zurückgehende Einzelerscheinung nennt,
ist nicht ganz richtig, derartiger Schmuck war mancher-
orts — so in Sachsen — üblich, er ist nur einer schon
frühzeitig beliebten stofflichen Umkleidung des Altares
vielfach zum Opfer gefallen. Scharf, sehr scharf geht
Lübbecke mit den Figuren des Hansasaales ins Gericht.
Gewiß, es fehlt ihnen die starke künstlerische Pointe,
es sind Dekorationsfiguren mit etwas wenig Seele,
immerhin aber doch ganz respektable Leistungen, an
die man nun doch nicht unmittelbar den Maßstab der
Chorapostel anzulegen braucht; bilden sie doch eine
Sprosse der Leiter, auf der wir emporsteigen wollen, ohne
Sprünge machen zu müssen, wie Lübbecke sie uns zumutet.

Das Illustrationsmaterial ist sehr reichhaltig, nur
hin und wieder unglücklich auf einer Tafel zusammen-
gestellt, so gar, daß es, statt die Beweisführung zu
stützen, dieser direkt entgegen arbeitet; ich verweisq
beispielsweise auf Taf. XVII und XXXIII ff.

Was zu sagen war, ging eine nach außen hin be-
deutsam erscheinende Sache an ; es mußte ehrlich ge-
sagt werden, weil wichtige kunsthistorische Fragen zur
Beantwortung in die Hand eines überaus ernsten Ge-
lehrten gelegt werden sollten; es ist immer undankbar,
dort noch einmal zu kehren, wo bereits der Besen
eines anderen das frischgefallene Manna zusammen-
kehrte und nur Brosamen zurückließ, von denen sich
■ niemand mehr nähren kann. Äußert sich der Mangel
an peinlicher Genauigkeit nicht auch darin in etwa,
wenn eine wissenschaftliche Publikation derartig von
Druckfehlern — wimmelt wie die Lübbeckes? —
„Laß' erst es neun Jahr' in der Lade liegen."

Fritz Witte.
 
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