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Zeitschrift für christliche Kunst — 24.1911

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Feigel, August: Der Schottener Altar
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https://doi.org/10.11588/diglit.4275#0055

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1911

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 3.

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im Raum stehen, ist ganz bewunderungswert.
Sie kleben nicht an der Vorderfläche. Diese
räumliche Wirkung wird noch unterstützt
durch den raumbildenden Gegensatz von
kalten und warmen Tönen. Die Mauern
des Stalles sind vorne kalt, rötlichgrau und
werden rückwärts brauner und wärmer. Am
besten gelungen ist der Innenraum bei dem
Wochenbett der hl. Anna. Die Schrägstellung
der Rustikamauer, der Wiege und des Zubers
geben schon kräftige Anhaltspunkte für die
Tiefenvorstellung; das Überschneiden der
Figuren durch die Säulen erhöht diese Wir-
kung. Das Licht, das lebhaft auf dem roten
Kreuzgewölbe spielt, das an den Wänden
langsam im Hintergrund verklingt, und die
dunklen Töne des letzteren machen die
Wirkung vollständig. Die Außenseiten dieses
Polygons sind hellbräunlichgrün, der Hinter-
grund warm dunkelbraungrün, und das da-
zwischenliegende Gewölbe rot. Die neue Zeit,
die sich hier in der Licht- und Raummalerei
offenbart, kündigte sich zuerst in ihrem neuen
Verhältnis zum Menschen an. In dieser
Hinsicht bleibt unser Maler keineswegs hinter
seinen Zeitgenossen zurück. Es sind wirkliche
Menschen, mit Fleisch und Blut, keine Typen
mehr. Freilich wandelt sich das Charakte-
ristische öfter in das Häßliche. Besonders
die greisen Männerköpfe fallen durch ihre
Häßlichkeit auf. Es sind derbe Menschen,
unverkennbar semitischen Stammes. Auch
einige Bewegungsmotive, wie die Handhaltung
des erstaunten Joachim, dem der Engel
die freudige Nachricht überbringt, tragen
jüdischen Charakter. Öfter gelingt es dem
Maler, das Momentane in Bewegung und
Kopfhaltung vortrefflich zur Darstellung zu
bringen. Wie Joseph durch das Geräusch
der eintretenden Könige überrascht hinter dem
Vorhang hervorsieht und seinen Kopf zu
ihnen hinwendet, ist vorzüglich beobachtet und
wiedergegeben. Fast in jeder Szene könnte
man auf solche gut gelungene Bewegungen
hinweisen. Besonders schön durch Kopfhaltung
und Handbewegung ist der Jude charakterisiert,
der Joseph und Maria in den Tempel führt,
in dem der Christusknabe lehrt. Die ganze Ge-
stalt scheint zu sagen, hier in dem heiligen
Räume müsse man stille sein. Und wie ver-
schieden sind die Männer in ihrem gespannten
Zuhören geschildert! In deutlichem Gegen-
satz zu den charakteristischen, oft unschönen

Männertypen stehen die Frauen. Sie sind
zart, ebenmäßig, die Formen weicher. Das
Inkarnat der Männer ist kräftiger, braune
und rötliche Töne herrschen vor; die Schatten
sind durch breite feste Striche markiert, das
auf Stirn, Nasenrücken und' besonders auf
die Barthaare aufgesetzte Weiß unvertrieben.
Die Augenbrauen werden durch weiße, vertikal
gemalte Grannen stark betont. Die Gesichter
der Frauen sind viel heller, mit zarten Rosa-
tönen; die Schatten und die Zeichnung der
unteren Augenpartien und der Brauen werden
durch feine braune Linien gegeben, diese
jedoch nicht vertrieben, so daß der Gesamt-
charakter im Vergleich zu Kölner und west-
fälischen Bildern immerhin noch kräftig bleibt.
Die Bedeutung der Schottener Bilder, ihre
Stellung in der Entwicklungsgeschichte der
mittelrheinischen Kunst wird offenbar durch
einen Vergleich mit dem großen Friedberger
Altar der Darmstädter Galerie, der zeitlich
vorangeht. Zweifellos überragt der Fried-
berger Altar an monumentaler, feierlicher
Wirkung bei weitem die Schottener Tafeln.
Diese entbehren des Großzügigen-Monumen-
talen; sie wirken miniaturenhafter. Man muß
ihre Schönheiten mehr in Einzeldingen suchen.
In diesen offenbart sich nun ein weit in-
timeres Verhältnis zur Natur. Ein Innen-
raum beim Friedberger Altar setzt sich noch
zusammen aus hart aneinandenstoßenden
hellen und dunklen Flächen. Wie der Meister
des Schottener Altares das Licht und die Luft
in seine Innenräume hineinbrachte, wurde
oben angedeutet. Ansätze für solch ein liebe-
volleres Verhältnis zur Natur sind ja schon
im Friedberger Altar vorhanden. Ein so
merkwürdig gut gelungener Stuhl, der dort
bei der Begegnung unter der goldenen Pforte
dasteht, bezeugt doch eine starke Anschau-
ungskraft. Eine ebenso gute Perspektive, die
nicht berechnet, sondern gefühlsmäßig er-
scheint, zeichnet den Tisch bei der Himmel-
fahrt Christi aus, die auf einen der Giebel
sremalt ist. Und mit welcher Liebe sind die
Gegenstände, die auf dem Tische stehen, be-
obachtet, und die Verzierungen des Tischtuchs
wiedergegeben, vgl. Back: a. a.O.Tafel 10 u. 42.
Zugleich mit dem gesteigerten Naturalismus
tritt als Gegenspieler eine größere Freude am
Zierlichen, Gefälligen auf: zwei Tendenzen,
die einander gegenüberstehen. Die Frauen
werden gezierter, lieblicher. Diese Hinneigung
 
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