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Zeitschrift für christliche Kunst — 24.1911

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Humann, Georg: Ottonische Baukunst in Essen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4275#0065

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Abhandlungen.

Ottonische Baukunst in Essen.

(Mit Tafel V und 3 Abbildungen.)
n der ersten Hälfte des X. Jahrh. waren
die Bestrebungen der deutschen Herr-
scher vorzugsweise auf die Einigung
der einzelnen Stämme und die Ab-
wehr der äußeren Feinde gerichtet.
Nachdem das Reich allmählich zu Ein-
heit, Ansehen und Macht gelangt war,
konnten nach der Mitte des Jahr-
hunderts auch Wissenschaft und Kunst
gepflegt werden. Daß diese schon in kurzer
Zeit zur Blüte gelangten, ist nächst der Tätig-
keit in den Klöstern, namentlich in den großen
Abteien St. Gallen, Reichenau, Fulda und
Korvei, den Einflüssen zu danken, welche von
den ottonischen Herrschern und ihren An-
gehörigen ausgegangen waren. Ottos I. Bruder,
der Erzbischof Bruno von Köln, einer der
bedeutendsten und gelehrtesten Männer seiner
Zeit, weckte unter der Geistlichkeit neues
wissenschaftliches und religiöses Leben. Nicht
allein an seinem Bischofssitz, sondern auch
am Hofe seines Bruders entstanden durch ihn
und die von ihm geförderten Männer Mittel-
punkte wissenschaftlicher Bestrebungen. Sogar
der durch glänzende Geistesgaben und viel-
seitige Gelehrsamkeit ausgezeichnete Gerbert
von Reims, der später als Silvester II. den
päpstlichen Stuhl bestieg, verdankt den Ottonen
nach seinem eigenen Geständnis besondere
wissenschaftliche Anregungen.

Es ist eine merkwürdige Erscheinung, daß
auch viele Frauen damaliger Zeit, namentlich die
weiblichen Angehörigen des Kaiserhauses, an
diesen Bestrebungen sich eifrig beteiligten.
Die h. Mathilde, Gemahlin Heinrichs I., die
Kaiserinnen Adelheid und Theophano waren
hochgebildet. In den vorzugsweise für Töchter
edler Geschlechter auf sächsischem Boden
gestifteten Frauenklöstern wurden lateinische
Klassiker mit Eifer gelesen. In Gandersheim
zeichneten sich die Äbtissinnen Hathumoda
und Gerberga II. durch ihre Bildung aus. Die
letztere, eine Nichte Ottos des Großen, war
die Lehrerin der Nonne Hrotsuita von Ganders-
heim, die bekanntlich die Taten Ottos in der
Sprache des Virgil verherrlicht hat. In Quedlin-
burg verfaßte Hazecha eine lateinische Schrift

zu Ehren des h. Christophorus, die sie dem
Bischöfe Balderich von Speier widmete, und
die kluge und gebildete Äbtissin Mathilde, die
Tochter Ottos des Großen, wurde sogar für
befähigt gehalten, zeitweise die Reichsgeschäfte
zu führen.

Daß damals mit den Wissenschaften auch
die Künste gepflegt wurden, beweisen noch
ausgezeichnete Werke des Kunstgewerbes. Die
bedeutendsten Arbeiten der Goldschmiede-
Bronze- und Schmelztechnik befinden sich in
der Kirche des ehemaligen Kanonissenstiftes
Essen, welches in der zweiten Hälfte des X.
und in der ersten des XL Jahrh. unter Äbtis-
sinnen des sächsischen Kaiserhauses zu hoher
Blüte gelangt war.

Hier ist auch eins der kunstvollsten Bau-
werke des früheren Mittelalters erhalten, das
mit Sicherheit noch in die ottonische Zeit
gesetzt werden darf. Eine kunstgeschichtlich be-
deutende, um 873 vollendete, also karolingische
Basilika, die noch in wesentlichen Überresten
erhalten ist1), wurde gegen Ende des X. Jahrh.
im Mittelschiff erhöht und nach Osten und
Westen erweitert.

Der noch fast ganz erhaltene westliche Teil
zeigt eine reiche und kunstvolle Gestaltung.
Entsprechend der karolingischen, dreischiffigen
Basilika ist er ebenfalls dreiteilig. In den
Mittelbau, dessen Grundform aus einemRechteck
besteht, ist ein aus drei Seiten eines Sechs-
eckes gebildeter, von einer Halbkuppel be-
deckter Chor eingefügt. Hinter diesem be-
findet sich unten ein Umgang und darüber
eine Empore mit zwei seltsamen kleinen
Emporkammern. Alle Teile des Mittelbaues
werden unter sich und mit den seitlichen
Räumen durch Wendeltreppen verbunden, die
nicht, wie gewöhnlich, äußerlich als Rund-
bauten hervortreten und selbständig ausgebildet,
dem Hauptbau zugefügt, sondern mit seinem
ganzen Organismus in eigenartiger Weise ver-
schmolzen sind. Ihre Spindeln liegen in den
westlichen Ecken des (rechteckigen) Mittel-
baues und sind oben mittels schräger drei-
seitiger Flächen zu den entsprechenden Seiten

') Humann, »Zur Geschichte der karolingischen
Baukunst, 120. Heft der Studien zur deutschen Kunst-
geschichte« 1909, Straßburg, Heitz. S. 39 ff. mit Abb.
 
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