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Zeitschrift für christliche Kunst — 24.1911

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Witte, Fritz: Replik
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https://doi.org/10.11588/diglit.4275#0079

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1911. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 4.

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über Sachen, von denen nicht die Rede war, oder
ergeht sich in langen Sermonen der Entschuldigungen
und Selbstempfehlungen.

1. Petrusportal ist die allgemein eingebürgerte
Bezeichnung, die auch mit gutem Grunde Renard als
feiner Kenner Kölner Kunst beibehält. Lübbeckes
naiver Hinweis auf den ,,Peterspfennig" ist für mich
eine zu tiefsinnige germanistische Exegese, als daß ich
über sie ein Wort verlieren sollte.

2. Lübbeckes Druckfehler zu zählen war und ist
mir meine Zeit zu schade. Ich empfehle dem Leser
eine Stichprobe, beispielsweise in dem Abschnitt über
das Grabmal Engelberts (S. 80—87), wo sich rund
einige 20(!) derartige — Ungenauigkeiten finden!

3. Es ist mir allerdings bereits gelungen, die mir
gütigst von Herrn Lübbecke angedichtete „hoffnungs-
frohe Phantasie" aus dem Traumleben in die Wirk-
lichkeit zu versetzen. Nicht alle diese „Zwischen-
glieder" können der Sammlung Schnütgen einverleibt,
aber doch immerhin der Entwickelungsgeschichte der
Kölner Plastik dienstbar gemacht werden. Eine Probe
gab ich in Heft 12, 1910, weitere, qualitativ noch
bedeutendere Stücke werden sich in den nächsten
Heften hier vorstellen, selbst auf die Gefahr hin, von
Herrn Lübbecke in die zweite Rangklasse versetzt zu
werden, Stücke, die selbst unsere größten Museen
des Erwerbes für würdig erachteten. Mögen sie zum
Teil vielleicht durch den „Zufall an die Öffentlichkeit"
getragen sein, dieser Zufall resultiert doch zumeist aus
dem intensiven Nachspüren, das eine Notwendigkeit
ist, sobald es sich darum handelt, eine abgeschlossene,
zum mindesten lückenlose Geschichte zu schreiben.
Manche andere Stücke waren länger bekannt und in.
den Inventaren veröffentlicht, so die zwei Madonnen
in Kyllburg, die in Werden a. R. u. s. f. Bislang galten
solche Stücke als Werke bester Qualität.

4. Lübbecke sendet einen Toten als Sündenbock in
die Wüste, nennt ihn den „guten Kenner" kölnischer
Plastik. De mortuis nil nisi bene. — —

5. Wenn es Lübbecke nicht gelungen ist, Zu-
sammenhänge ernster Art mit Frankreich, Burgund
zu finden, so ist das bedauerlich. Ich verweise auf
meinen Aufsatz „Parallelen zwischen der französischen
und niederrheinischen gotischen Plastik" in Heft 3
dieser Zeitschrift; weitere Belege dafür, sowie für sehr
innige Beziehungen zu Westfalen, Flandern und
Holland sind leicht zu erbringen und sollen dem-
nächst hier erbracht werden. Für die Spätzeit hat
Lübbeccke solcheBeziehungenüberhaupt einfach ignoriert.

6. Die „Anlehnung des Meisters der Domchor-
apostel an vor- oder gleichzeitige französische Vorbilder"
ist von mir gar nicht in die Besprechung einbezogen
worden. Auch die Entwicklung der genannten Skulpturen
aus der Holzschnitzkunst stand mit keiner Silbe zur
Diskussion.

7. Brachte der hundertjährige Krieg zwischen
Frankreich und England die französischen Künstler „um
ihr Brot?" Antwort: Burgund. das für Köln in erster
Linie in Frage kommt, sah gerade in dieser Zeit
seine Kunst in der höchsten Blüte! (Man lese
das prächtige Buch von A. R. Maier, „Nikolaus Gerh.
v. Leiden", Heitz 1910, das sich durch vornehme,
sachliche Ruhe und Genauigkeit ungemein vorteilhaft
präsentiert.

8. Altarumkleidungen nach Art des Kölner Hoch-
altares sind veröffentlicht beispielsweise bei Bergner,
„Handbuch d. kirchl Kstalt.", der gar im Text sagt:
„Die Entwicklung würde . . . dem Seitenschmuck der
Grabtumba konform gegangen sein, ist aber durch die
vollständige Bekleidung sichtlich erstickt worden" (S. 262).
Außerdem nenne ich Kleve, Naumburg, vor allem
Bentlage bei Rheine i. W. Die noch erhaltenen
„Antependien" in reicher Goldschmiedearbeit mit frei-
plastischem Schmuck sind nichts anderes als Vorläufer.
Einfache Altaruntersätze mit architektonischer Auf-
teilung sind noch zahlreich. '

9. Bezüglich des Marienstatt er Altares behalte ich
meine Meinung, daß er als Ausgangspunkt nicht heran-
gezogen werden kann, sofern Lübbeckes Ansicht die
richtige ist, daß die Büsten der unteren Nischenreihe
gleichzeitig sind mit den Apostelfiguren der oberen
Sowohl stilistische, wie historische Gründe veranlassen
mich dazu, den Altar nicht unmittelbar nach Einweihung
der Kirche a. 1324 in Köln entstehen zu lassen.
Einmal suche ich vergebens nach einem Analogon für
derartige tiefe Unterschneidungen, nach einem bindenden
Beweise dafür auch, daß die Architektur der um 1324
beim Dombau beliebten Formenwelt so präzise ab-
gelauscht sei. Dann aber bitte ich um nähere Be-
gründung der an den Büsten beobachteten Haar- und
vor allem Haubentracht für das erste Viertel des
XIV. Jahrb.. Auf keinem der Kölner Bilder im
Wallraf-Richartz Museum, auf keiner weiteren Plastik,
auch nicht Süd- und Mitteldeutschlands, konnte ich
sie bislang feststellen Die „Hülle" und der „Kruseler"
sind ein um die Mitte des XIV. Jahrh. bezeugtes
Charakteristikum der rheinischen Tracht. 1356 tut
ihrer die Straßburger Ordnung Erwähnung Die Kruseler
wurde getragen über dem gekämmten, mit Ohrlöckchen
versehenen Haar oder über zwei Zöpfen, die über die
Schläfen weg unter dem Ohre her in den Nacken
fielen (esgoffion). Näheres zu lesen bei v. Heyden,
,,Trachtenkunde" S. 108 f. Sollte zudem eine so aus-
geprägte Modetracht sofort den Heiligen umgehängt sein ?

10. Das Petrusportal. Lübbecke läßt die Figuren
der Apostel 1375 in Angriff nehmen; 1420, also 45
Jahre später ist das Portal soweit fertig, daß die Figuren
aufgestellt werden können. Damit die Figuren stilistisch
in die Entwicklungsgeschichtehineinpassen, läßt Lübbecke
sie ganze 45 Jahre in einer Ecke stehen. Diese
„Werkhoftheorie" gestattete ich mir, in der Besprechung
anzugreifen, das tut auch H. Reiners. Der Pallanter
Altar (1429) kann dabei keine Rolle spielen, Stil-
unterschiede zwischen ihm und den Skulpturen des
Petrusportales können sehr wohl bestehen, auch, wenn
wir nur 20 Jahre rückwärts, also bis etwas 1410 gehen,
um einen halbwegs annehmbaren Zeitpunkt für den
Beginn der Arbeiten zu haben. Habichts Feststellungen
für Ulm können daran nichts wesentliches ändern, da
immerhin zu untersuchen bleibt, wie weit die Be-
ziehungen reichen, und welchen der Figuren das
historische Prävenire zuzubilligen ist.

Über die auf die Einwürfe Lübbeckes folgende
schwungvolle Rede über die Beziehungen der „Bahn-
brecher" zum „Gesetz" usw. gehe ich zur Tagesordnung
über. Den Satz aber über die „noch bleibenden vielen
Rätsel in der Kölner Plastik des XIV. und XV. Jahrb."
mache ich gern auch zu dem meinigen.
 
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